Das Ganze des Menschseins bezeugen

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Karl Meyer

Das Ganze des Menschseins bezeugen

Einführung in den Gottesdienst von Pater Dr. Karl Meyer OP am 20. Juli 1998 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Zusammen mit Pastor Schliski-Schultke darf ich Sie hier in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee wieder zum Gottesdienst begrüßen. An einem wichtigen Tag lädt uns Gott mit unserem ganzen Leben zu sich ein, und wir sind gekommen. Wir sind hier auch stellvertretend für viele andere Menschen, die mit uns verbunden sind.

Es ist 54 Jahre her, dass der letzte und größte Attentatsversuchs auf Adolf Hitler hier in Berlin gescheitert ist. Es ist 54 Jahre her, dass die falschen Götter des Nationalsozialismus unter der unbestechlichen Heiligkeit Gottes ihr wahres Gesicht zeigen mussten, dass sie nicht Götter des Lebens, sondern des Todes waren, indem sie in stetig wachsendem und schließlich unglaublichem Maße den Tribut an Gut, Blut und Leben nicht nur von anderen, sondern vom Deutschen Volk selbst, ohne zu fragen, einforderten. Mitten im Sturz suchten die unheiligen Götter noch einmal aufzutrumpfen und zu zeigen, dass auch kein anderer Gott Leben und Würde schenken kann.

Mitten in Scheitern und öffentlicher Schande hat Gott vor 54 Jahren Männer und Frauen ganz neu gefragt, ob sie auf eine letztgültige Weise und viel tiefer gründend als im Kampf die Grundlagen für ein neues Leben ihres Volkes legen wollten. Gott hat sie alle in der Stimme ihres Gewissens gefragt, ob sie das Ganze des Menschseins, die tiefere Würde des Menschseins bezeugen und dafür das leibliche Leben geben wollten, und sie haben ihm ihr ja gegeben. Manche unter ihnen hatte Gott mit dem Glauben an Jesus von Nazareth und sein herrliches Zeugnis für den Gott des Lebens, das sich in der Auferstehung zeigte, beschenkt. Sie haben durch Sein Wort und Seinen Geist Kraft gefunden und haben Jesu Zeugnis unserer Zeit vergegenwärtigt und ihren Geist seinem Geist vereint.

Viele der Zeugen haben im Geist Jesu die Gabe ihres Lebens und Geistes in diesem Raum uns hinterlassen. So ist es ein rechter Ort, den Tod und die Auferstehung Jesu hier zu feiern. Denn dadurch wurde uns der Geist grundlegend geschenkt.

Diese Feier ist eine Gabe für uns Heutigen, aber auch eine Frage an uns, was wir an Lebensgestalt, an der unser Herz hängt, für Menschen lassen wollen, was als Zeichen des Vertrauens auf die Kraft Gottes wir bewusst ins neue Leben unseres Volkes und der Menschheit einbringen wollen.

Es ist nicht zu übersehen: Wir stehen hier in zwei vom Geist Gottes geprägten, aber auch vom Ungeist verletzten Gestalten des christlichen Lebens. Pastor Schliski-Schultke und ich stellen das ausdrücklich dar. Es geht hier nicht nur um unsere Trennung in der Feier des Abendmahls, sondern um das ganze Leben der Kirchen.

Wie auch immer es mit uns steht, wir unterwerfen uns dem heiligen Gott und seinem gnädigem Gericht im Schuldbekenntnis, aber wir stehen vor Gott mit Jesus Christus, der unser Anwalt ist. Wer kann uns da anklagen? Den bei uns gegenwärtigen Herrn Jesus Christus begrüßen wir nach dem Bekenntnis im „Kyrie eleison“.







Weitere Reden

20.07.1998
Volkhard Schliski-Schultke