Ein starkes Zeichen für Frieden, Freiheit und Demokratie

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Klaus Wowereit

Ein starkes Zeichen für Frieden, Freiheit und Demokratie

Ansprache des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Klaus Wowereit am 20. Juli 2007 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute jährt sich zum 63. Mal der Tag, an dem sich tapfere Männer und Frauen gegen Hitler erhoben. Am 20. Juli 1944 brachte Claus Schenk Graf von Stauffenberg in der Wolfsschanze eine Bombe zur Detonation. Sie sollte Hitler töten. Das war ein ebenso entschlossener wie verzweifelter Versuch, Krieg und Völkermord zu stoppen. Er schlug fehl. Und doch war der Umsturzversuch nicht vergeblich. Sondern setzte ein starkes Zeichen für Frieden, Freiheit und Demokratie. Wir gedenken des Deutschen Widerstandes heute mit Dankbarkeit.

Als sich die Verschwörer zum Staatsstreich entschlossen, da wussten sie: Der Krieg konnte nicht gewonnen werden, er war schon verloren, ein Ende des Völkermords absehbar. Sie hätten in stiller Opposition warten, hätten sich und ihre Familien schützen können. Aber den leichteren Weg zu gehen, hat ihnen ihr Gewissen verbaut.

Sie mussten alles wagen, sie mussten ihr Leben und das ihrer Frauen und Kinder riskieren. Die meisten von ihnen waren Offiziere, die militärische Laufbahn war ihnen in die Wiege gelegt. Das zog schwerste Loyalitätskonflikte nach sich. Die Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg waren mit sich und ihrem Gewissen allein. Sie hatten keine Aussicht auf Unterstützung durch die Alliierten. Kein Ruhm als Tyrannenmörder winkte ihnen, im Gegenteil: Die Erinnerung an die Dolchstoß-Legende des Ersten Weltkriegs war noch stark im Bewusstsein verankert. Und damit die Erfahrung, wie sehr die Lügen um die Niederlage im Ersten Weltkrieg die Demokratie von Weimar belastet hatten.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg Claus Schenk Graf von Stauffenberg beschrieb das Dilemma folgendermaßen:

„Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem Gewissen. Ich könnte den Frauen und Kindern der Gefallenen nicht in die Augen sehen, wenn ich nicht alles täte, dieses sinnlose Menschenopfer zu verhindern.“

Das ist die Haltung des verantwortungsbewussten Offiziers, der sich totalitärem Befehl und Gehorsam widersetzt. Und zugleich liegt hier der Ausweg aus jenem Dilemma: Dem eigenen Gewissen mehr zu vertrauen als dem obersten Befehlshaber.

Und noch etwas anderes bewegte die Männer und Frauen des 20. Juli: Die Sorge davor, nicht nur zu scheitern, sondern auch von der Geschichte vergessen zu werden. Und damit eingestehen zu müssen, dass der Kampf für die höchsten moralischen Grundsätze des eigenen Gewissens vor der Geschichte wertlos sei.

Eben darin liegt die Herausforderung für die nachfolgenden Generationen. Wir müssen das Erbe des 20. Juli annehmen. Wir müssen alles tun, damit das Gedenken des deutschen Widerstands lebendig bleibt.

Der Umsturzversuch war nicht umsonst. Die Tragik des Scheiterns öffnet unseren Blick auf die Menschen und ihre Motive. Die Männer und Frauen des 20. Juli haben in Deutschlands dunkelster Stunde ein Zeichen gesetzt. Ein Zeichen für Freiheit und Menschlichkeit.

Aus ihrem Beispiel können wir lernen, dass Mut, Verantwortungsbewusstsein und Zivilcourage Werte sind, die man erkämpfen muss – für die es sich aber auch zu kämpfen lohnt.

Wir können lernen, dass Widerstand gegen Diktatur und Unterdrückung niemals umsonst ist – nicht einmal in scheinbar aussichtloser Lage.

Der Deutsche Widerstand hat für Werte gekämpft, die auch die unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind: Für Freiheit, Toleranz und Rechtstaatlichkeit im Innern. Und für Frieden, Ausgleich und europäische Integration in der Außenpolitik.

Zum lebendigen Gedenken gehört auch die Auseinandersetzung, gehört die kulturelle Aneignung und Aufarbeitung – auch wenn diese auf geteilte Reaktionen stößt. Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ hat viel dazu beigetragen, dass das Gedenken des Holocaust breite Bevölkerungsschichten erreicht und bewegt hat. In Jo Baiers Film „Stauffenberg“ gibt der Schauspieler Sebastian Koch dem Titelhelden ein Gesicht. Darauf sind große Entschlossenheit und tiefe Verzweiflung gleichermaßen zu erleben. Es ist das Gesicht des Aufstands vom 20. Juli.

Stauffenberg und seiner Mitstreiter als geistige Wegbereiter unserer Republik zu gedenken, ist wichtig, um Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Und indem wir an die Frauen und Männer des 20. Juli erinnern, gedenken wir auch der ganzen Breite des Widerstandes: Sie reichte von den Kommunisten über die Sozialdemokraten und die Bekennende Kirche bis hin zu mutigen Einzelkämpfern und Deserteuren. Der Widerstand hatte viele unterschiedliche Motive. Aber gemeinsam ist allen Widerstandskämpfern, das eigene Leben zu riskieren, um die Nazi-Barbarei zu beenden. Das ist heute, 63 Jahre nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 weitgehender Konsens. Und, die einzelnen Personen zu ehren, die mutig gegen die Tyrannei aufstanden: Das ist der Sinn unseres Gedenkens.

Wir verneigen uns vor den aufrechten Frauen und Männern des Widerstandes.







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