Es geht um die Tat

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Karl Heinz Bohrer

Es geht um die Tat

Gedenkrede von Prof. Dr. Karl Heinz Bohrer am 20. Juli 2013 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Meine Damen und Herren,

Wir wissen: Sie waren mehrheitlich keine Demokraten. Einige waren eher Nationalisten. Die zum Attentat Entschlossensten waren Offiziere der deutschen Armee, nicht zuletzt in Russland. Die Erinnerung an den 20. Juli ist, seitdem man ihn offiziell erinnert, ein Problem für das deutsche Geschichtsbewusstsein, sofern man von einem solchen sprechen kann. Fritz Stern, der in Breslau geborene New Yorker Historiker, vor drei Jahren der Redner im Hof des Bendlerblocks, sagte mir einmal, wie sehr es ihn Mitte der fünfziger Jahre verwundert, mehr: irritiert habe, dass dieser Tag offenbar nicht eingegangen sei in die deutsche Erinnerung, dass er beim größten Teil der Bevölkerung offenbar entweder keine Rolle spiele oder aber abgelehnt würde.

Das ist inzwischen, wenn auch erst seit einem Jahrzehnt, angeblich anders geworden. Heute gedenkt man der Verschworenen vom 20. Juli bereitwilliger. Nicht nur offiziell. Allerdings hat dieses Gedenken etwas Vages: Sie werden vor allem bedacht als Opfer der nationalsozialistischen Diktatur, als ein Teil jener Tausenden und Millionen Opfer, die diese Diktatur über Deutschland und Europa gebracht hat. Die Idee aber, dass man sie, besonders sie, als aktive Verschwörer ehren sollte, herausheben aus dem angstvollen Schweigen der Mehrheit oder aus der fanatischen Zustimmung einer Minderheit während jener blutigen dreißiger und vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts, eine solche Idee scheint für Viele noch immer schwierig zu sein. Angefangen von Studenten, die dazu eine Meinung äußern, bis hin zu der meinungsbildenden Klasse der Intellektuellen in Universität und Zeitungen.

Als anlässlich des amerikanischen Films Operation Walküre, mit einem für die Rolle des Attentäters Stauffenberg problematischen Schauspieler, die Frage nach dem Vorbildcharakter des Attentats und der in das Attentat Verwickelten aufkam, da veröffentlichte die führende liberale deutsche Tageszeitung eine Polemik des namhaften englischen Historikers Richard J. Evans aus Cambridge, dessen zentrales Argument lautete, Stauffenberg und die anderen Verschwörer des Komplotts entschlossen sich erst zum Widerstand, als sie erkannt hatten, dass der Krieg verloren sei und Hitler bereit, auch noch das, was von Deutschland übrig war, manisch zu opfern. Kein wirklich politisch-humanistisches Motiv sollte das heißen, besonders keines, das der Ermordung der deutschen und osteuropäischen Juden galt. Kein deutscher Historiker, kein politischer Journalist hat gegen diese Behauptung jemals Stellung bezogen. Dabei war Evans' These durch kenntnisreiche Forschung, also Dokumente über Beginn und Entwicklung der Verschwörung – eine gewiss sehr komplexe und auch unterschiedlich motivierte Verschwörung – längst zweifelhaft. Ohne hier darauf weiter einzugehen, ist es dennoch unumgänglich, nachdrücklich zu sagen, dass einige der entscheidenden Männer des 20. Juli, Militärs und Beamte, schon Ende der dreißiger Jahre, nicht von ungefähr seit 1938, im Jahr der berüchtigten „Kristallnacht“, zu der Überzeugung kamen, Hitler und das Naziregime müssten beseitigt werden. Und zwar deshalb, weil sie eine unmenschliche Bande von Kriminellen waren, die nicht nur Deutschland ins Unglück stürzen würden.

Auf eine andere Ansicht lief jedoch die unmittelbar nach dem 20. Juli im britischen Foreign Office kursierende Stellungnahme hinaus, in der es unter anderem hieß: „Die gegenwärtige Verhaftungswelle wird zur Entfernung zahlreicher Individuen führen, die uns hätten Schwierigkeiten bereiten können ... Gestapo und SS leisten uns einen hoch einzuschätzenden Dienst durch die Beseitigung aller jener, die nach dem Krieg zweifellos als 'gute Deutsche' posiert hätten.“ Das ist die zynisch klingende, aber dem Vernichtungskrieg der Nazis antwortende Einschätzung, die weniger aggressiv formuliert auch heute noch immer zu hören ist und in Evans' Artikel nachklingt. Diese Barriere, diese Zweifel an den Motiven der deutschen Anti-Hitler-Verschwörung hatte schon vor dem Krieg einer ihrer vornehmsten Repräsentanten, der in Oxford studierende Adam von Trott zu Solz zu spüren bekommen. Deutscher Patriotismus, der diesen weltläufigen Diplomaten auch prägte, war innerhalb der nationalsozialistischen Epoche von alliierter Seite unter absoluten Verdacht gestellt, zumal dieser Patriotismus bei der Mehrheit der Verschwörer, selbst bei den beteiligten Sozialisten, einen konservativen Ausdruck fand.

Auch Janusz Reiter, der ehemalige polnische Botschafter in Berlin, hat letztes Jahr in Erinnerung gerufen, wie sehr dieses nationale Element im Denken der Widerständler – Reiter zitiert einen in der Tat beklemmenden Satz über die polnische Bevölkerung aus einem Brief Stauffenbergs – für ihn ein Hindernis gewesen sei, des 20. Juli als bedeutendem Jahrestag der deutschen Geschichte und Europas solidarisch zu gedenken. Lassen wir es uns eingestehen: Noch immer scheint die Erinnerung an die „Weiße Rose“ oder die „Rote Kapelle“ Vielen hierzulande leichter zu fallen oder, dass man auch das Wort „Widerstand“ generalisiert, eine Verallgemeinerung, unter deren Dach dann auch der 20. Juli Platz findet. Hannah Arendts scharfe, politisch begründete Ablehnung des 20. Juli als Tag des ehrenden Gedenkens ist wahrscheinlich die noch immer als Autorität nachwirkendste. Umso mehr als die zu Eingang genannte Zugehörigkeit namhafter Verschwörer zur Armee, nicht zuletzt zur Armee in der Sowjetunion, Schatten auf das Komplott geworfen hat. Aber auch hier ist die Erklärung Axel von dem Bussches und anderer Offiziere der Ostfront zu erinnern, wonach die Entdeckung der systematischen Ermordung der polnischen und russischen Juden unter Beteiligung von Truppen der Wehrmacht das entscheidende Motiv war, die radikalste Lösung, nämlich die Tötung Hitlers, vorzubereiten. Das galt auch für diejenigen, die den Krieg gegen die Sowjetunion, d. h. gegen deren politisches System, ursprünglich nachdrücklich akzeptiert hatten.

So muss man also zu Rande kommen mit der Einsicht, dass der Entschluss und ihm folgend der Versuch, mit Hitler und seinem Regime Schluss zu machen, gerade aus dem Kreis der Verschwörer kam, deren Denken am wenigsten der Nachkriegsmentalität Westdeutschlands und Europas entsprach. Das gilt selbst für Helmuth James von Moltke und den „Kreisauer Kreis“, der ja aus christlicher Überzeugung nachdrücklich nicht das Attentat befürwortet hat. Mit den Worten Hans Mommsens, dem wir die wohl beste Darstellung des politischen Denkens der Widerständler verdanken, heißt es: „Es waren nicht die Demokraten und nicht die unterdrückten republikanischen Parteien, auch nicht die Kirchen als Institution, die Deutschland gegen Hitler zu verteidigen und die politische, militärische, vor allem aber die moralische Katastrophe abzuwenden versuchten, die durch den ungebremsten Amoklauf des späten Hitler-Regimes eintreten musste. Es waren in vieler Hinsicht Außenseiter, nach dem 20. Juli aus der Solidargemeinschaft der Nation Ausgestoßene, die den Entschluss fassten, unter unsäglich schwierigen Bedingungen und zuletzt im Bewusstsein äußerer Aussichtslosigkeit den Umsturz zu wagen und damit ein Zeichen gegen die in Hitler verkörperte Herrschaft der absoluten Inhumanität zu setzten, während die große Mehrheit der Nation und ihre Eliten schwiegen.“

Damit ist das Wort gefallen, das auch Antje Vollmer und Lars-Broder Keil in ihrem kürzlich veröffentlichten bewegenden Buch über die weniger bekannten Verschwörer hervorgehoben haben: ihre Einsamkeit, ihre soziale und psychische Isolation. Wenn wir ihren Mut, ihre Entschiedenheit trotz allergrößter Hindernisse ins Zentrum stellen wollen, dann hat man über diese Einsamkeit nachzudenken. Und dabei wird man auch einer besonderen Bedingung gewahr, die ihrer selbstverständlichen Ehrung noch immer im Wege steht und das Dilemma einer angemessenen Wahrnehmung des 20. Juli verursacht hat. Viele ihrer Namen verweisen auf den hohen Anteil des preußischen Adels und damit gleichzeitig auf den Namen eben des deutschen Landes, das nach dem Zweiten Weltkrieg qua alliiertem Beschluss von der Landkarte verschwand, sozusagen für immer aufhörte zu existieren. Die Namen Yorck, Schwerin, Kleist, Moltke, Schulenburg, Tresckow, Lehndorff, von dem Bussche, Haeften, Gersdorff sind preußische Namen, deren soziale Klasse und kulturelle Herkunft über Nacht zum bloßen Phänomen einer verschwundenen Zeit wurden. Die Distanz zum 20. Juli konnte auch der Umstand, dass Männer ganz anderer Herkunft beteiligt waren – sei sie sozialistisch, christlich oder akademisch-bildungsbürgerlich, wie Beck, Goerdeler, Jessen, Hassell, Popitz, Reichwein, Dohnanyi, Oster, Gerstenmaier, Mierendorff, Fritzsche, Dahrendorf, Bonhoeffer, Delp und vor allem Julius Leber –, nicht ändern. Auch die tausend Anderen nicht, die bis zum Ende des Krieges hingerichtet wurden. Und dass es zwischen den Männern aus historisch berühmten preußischen Adelsfamilien wiederum nicht nur individuelle, sondern entscheidend mentale und kulturelle Unterschiede gab, blieb ohnehin der Nachwelt unbekannt.

Einer nationalen Tradition verlustig gegangen und dem Patriotismus der Attentäter entfremdet, ja von ihm befremdet und stattdessen nach einer postnationalen Zukunft suchend, konnte für die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung der 20. Juli zunächst zu keinem Datum eines „anderen Deutschland“ werden. Es gab bei Licht gesehen ja auch kein anderes Deutschland. Denn den einsamen Tätern – vereinsamt selbst häufig in ihren Familien oder in ihrem sozialen Umkreis – stand die Mehrheit der bis zum Ende des Krieges niedergedrückten, aber noch immer vom Nazimilieu geprägten Volksgenossen gegenüber. Viele, die bis heute den 20. Juli distanziert betrachten, sind deren Nachkommen. Wenn sie auch häufig bald dezidiert linke Auffassungen vertraten und vertreten und von daher glaubten und glauben, ein moralisches Urteil sich erlauben zu können über diejenigen, die politisch anders dachten als wir heute und dabei ihr Leben verloren.

Wenn der 20. Juli als ein Gedenktag nicht populär geworden ist, dann liegt der ursprüngliche Grund hierfür – jenseits der verschiedenen genannten Ursachen – in der prekären Geschichtserinnerung dieses Landes überhaupt. Große Teile einer möglichen Erinnerung sind nicht mehr da. Geografische ohnehin nicht, vor allem aber temporale. Einerseits war das ein unbewusster Prozess des Verschwindens, andererseits aber entsprang das einer bewussten Geschichts-Revision. Diese ging so weit, dass sogar der Begriff „Deutsche Geschichte“ geleugnet wurde. Die Bismark'sche Reichsgründung als eine künstliche Konstruktion kam dem entgegen, denn die vielen deutschsprechenden Länder waren, sieht man von Preußen ab, nicht ambitioniert. Sie hatten keine nationale Idee von Deutschland. Die Bundesrepublik hat sich an diesem föderativen, eben auch provinzialen Muster bis heute orientiert.

Ein besonderer Ausdruck der Erinnerungslosigkeit – eine, die neuerlich ausländischen Beobachtern auffällt – ist die Abwesenheit von Gedenkstätten für die gefallenen deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs, für die im Luftkrieg gestorbenen Zivilisten und für die deutschen Städte, von deren einstiger Schönheit die anonyme Hässlichkeit von heute in vielen Fällen nur noch wenige Erinnerungsspuren zeigt. Das ist ein Thema, das der deutsch-englische Schriftsteller W. G. Sebald beim Namen nannte. Es ist aber nicht bloß das Schuldbewusstsein, das diese Erinnerungslosigkeit erklärt. Es ist vielmehr ein vages Gefühl, genannt „Verdrängung“, in dem keine klaren Unterscheidungen möglich sind: Wie soll man einerseits den Holocaust sozusagen rituell erinnern und andererseits die eigene Geschichte über dieses apokalyptische Datum hinaus? Das ist bis heute eigentlich nicht gelungen. Es ist eine Erinnerungslosigkeit, die etwas von der ererbten Melancholie dieses Landes hat, schon festgehalten in den kontemplativen Zeichnungen Albrecht Dürers bis zu den aktuellen Sentenzen Bertolt Brechts über „Deutschland, bleiche Mutter“.

Daraus erklärt sich die anhaltende Tendenz zu einer spezifischen, sentimentalen Identifikation. Womit? Nennen wir es das „universale Opfer“, das heißt: ein allen vom Nationalsozialismus Verfolgten geltendes Ritual, ganz unabhängig vom nationalen und politischen Kontext. Aber die Verschworenen vom 20. Juli waren nicht einfach Opfer. Sie waren Täter. Selbst noch, als sie vor dem furchtbaren Freisler, der Inkarnation des nationalsozialistischen Fanatikers, standen, eines Typs, von dem es Varianten, hundertfach, auch noch lange nach dem Krieg im einschlägigen Milieu von Jurisprudenz, Wirtschaft und Universität gab. Auch die Worte der Verurteilten vor Freisler waren Taten. Was uns davon überliefert ist, steht nicht einfach als Ausdruck einer Gesinnung, sondern als Demonstration einer uns beschämenden Charakterstärke einzigartig da.

Man müsste viele dieser damals im Gerichtssaal und in letzten Briefen formulierten Sätze zitieren, um nachzuvollziehen, dass die Stärke derjenigen, die wussten, dass sie zum Tode verurteilt würden, oder wussten, dass sie schon zum Tode verurteilt waren, aus geistigen Quellen kamen, die nicht mehr die unsrigen sind. Man denke an Adam von Trott zu Solz' hegelschen Idealismus, an Eugen Gerstenmaiers Anstimmen des Liedes „Eine feste Burg ist unser Gott“, an Claus Schenk von Stauffenbergs Zitieren von Stefan Georges Gedicht „Der Widerchrist“ am Vorabend des Attentates, an Fritz-Dietlof von der Schulenburgs kühn-ironische Herausforderung seiner Richter, an Wilhelm Leuschners letzten Anruf an die Einigkeit der Verschworenen, an Helmuth James von Moltkes christlich-spirituelle Unerschütterlichkeit. Diese Sprache, die den unmenschlichen Funktionsjargon der Nazis überlebt hatte und dessen Banalität und Kriminalität erst richtig ausstellte, wirkt aber auch in unserer Zeit wie von fern herübergewehte Worte. Dazu gehören schließlich Sätze, die der 24-jährige, Stauffenberg eng verbundene Hauptmann Friedrich Karl Klausing unmittelbar vor seiner Hinrichtung in Plötzensee an seine noch immer dem nationalsozialistischen Glauben hingegebenen Eltern geschrieben hat: „So fragt nicht mehr nach mir, sondern laßt mich damit ausgelöscht sein.“ Der autobiografisch-politische Hintergrund dieser Sätze verweist auf tragisch zu nennende Konflikte, die inzwischen völlig jenseits unserer Erfahrungen liegen.

Es bedürfte eines Geschichtsdarstellers vom Format russischer Erzähler oder des lakonischen Hans Magnus Enzensberger, um das Drama, das sich zwischen der Sprache des nationalsozialistischen Staates und der Sprache der Verschworenen des 20. Juli abspielte, angemessen zu verstehen und uns Nachgeborenen zum Verstehen zu bringen. Es bedürfte einer neuen Suche nach der verlorenen Zeit. Wir erinnern heute ja nur noch Namen, die selbst für die zweite, inzwischen sogar dritte Generation, die der Enkel, nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch aus sehr verschiedenen Erzählungen bzw. Büchern vorstellbar sind. Es war deshalb ein allererster Trugschluss, wenn man so lange gemeint hat, man sollte den 20. Juli unter dem Kriterium unserer eigenen politischen Kategorien beurteilen. Unumwunden ausgedrückt: Es wurde so etwas wie Gesinnungsschnüffelei getrieben. Es ist merkwürdig, dass diejenigen, die das gerne hatten oder noch immer hätten, nicht merkten oder merken, dass sie noch einmal etwas betreiben, das dem Tun ihrer vom Nazismus noch immer beeinflussten Vorväter ähnlich ist, wenn auch unter ideologisch verkehrtem Vorzeichen. Nein, um die richtige Gesinnung sollte es nicht gehen. Wenn man die Gesichter der Verschwörer auf ihren letzten Fotografien betrachtet, fällt einem Bertolt Brechts Satz ein: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“ Das ist wohl der tiefste Grund für ihre historische Entfernung von uns.

Aber es gibt auch eine Annäherung. Wenn es nicht um Gesinnung geht, so geht es doch um die Tat. Sie war einmalig. Sie kann nicht zurückgenommen oder variiert werden. Sie wurde unter Schweigen vorbereitet. Die Unkenntnis aller anderen von dem, was da vorbereitet wurde, war ihre Bedingung. Ich weiß nicht, ob man die existenzielle Bedeutung, die Jean-Paul Sartre dem Wort „Tat“ in eben jener Epoche gegeben hat, hier anwenden kann. Sartre verknüpfte die Tat mit einem emphatischen Begriff der „Freiheit“. Sein Beispiel nahm er aus der griechischen Tragödie: Orestes, der Sohn des ermordeten Agamemnon, kommt zurück und räumt in seiner Heimat auf, indem er die neuen Gewaltherrscher tötet. Auch Dietrich Bonhoeffer hat den Gedanken der Tat emphatisch mit der Fähigkeit zur Freiheit verbunden und nachdrücklich von bloßer Gesinnung unterschieden. Wir sind heute zu Recht skeptisch gegenüber mythologischen Symbolen. Und für das Gedenken des 20. Juli brauchen wir auch keine Symbole. Wir brauchen nur ein Quäntchen psychologischer Intelligenz. Und die müsste uns auf einfachere Weise das sagen, was Sartre auch gemeint hat: Sie haben es getan. Das ist es. Nichts anderes. Das brauchen wir. Wir brauchen so etwas wie ein Paradigma.

Je länger die Zeit wird, in der wir uns von dem Tag, der als 20. Juli 1944 auf unserem historischen Kalender steht, zeitlich entfernen, desto mehr ist das Beispielhafte der Verschwörer jenes Tages zu begründen und zu erinnern. Sie selbst verstanden ihr Beispiel noch im Sinne eines symbolischen Ehrenkodex – sei er christlich-humanistisch oder preußisch-aristokratisch gewesen. Henning von Tresckow brachte es auf die Formel „coûte que coûte“. Das Attentat musste, selbst so spät noch, ausgeführt werden – um jeden Preis! um den Preis ihres Lebens, aber auch um den Preis seines Gelingens. Denn es sollte symbolisch wirken. Was könnte beispielhafter sein als der Verschwörer Mut, ihr Mut auch zum Außenseiter? In einer so gefahrlosen, aber auch den Konformismus begünstigenden Gesellschaft wie der unseren – seit dem Attentat so friedfertigen Epochen –, ist die Zivilcourage noch immer etwas Notwendiges, wenn auch inzwischen Außergewöhnliches geworden. Um wie viel mehr die existenzielle.






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