Wachsam bleiben ist eine Botschaft der heutigen Gedenkfeier

Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück


Begrüßung des Vorsitzenden des Vorstands der Stiftung 20. Juli 1944 am 20. Juli 2018 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin


Zur Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944 zum 74. Jahrestag des 20. Juli begrüße ich Sie alle sehr herzlich.


Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:


„Ich möchte, dass man weiß, dass es keine namenlosen Helden gegeben hat, dass es Menschen waren, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten.“


Das schrieb der tschechische Journalist und kommunistische Widerständler Julius Fučik in der Gefängniszelle. Peter Steinbach beginnt damit sein Vorwort zur neuen Mierendorff-Biographie von Axel Ulrich und auch ich möchte seinen Wunsch an den Anfang dieser Begrüßung stellen: Wir erinnern uns heute an Menschen aus dem deutschen Widerstand mit ihren Namen, Gesichtern, Sehnsüchten und Hoffnungen.


Dazu zunächst ein Gruß an die Angehörigen, die – verteilt über vier Generationen – in großer Zahl hier sind. Stellvertretend für alle darf ich die drei ältesten der anwesenden Angehörigen begrüßen, nämlich Sie, sehr geehrte Frau von Maltzahn als Nichte von Albrecht von Hagen. Ebenso herzlich Sie, liebe Frau von Hammerstein als Ehefrau von Franz v. Hammerstein und schließlich Sie, liebe Frau Hermes als Tochter von Josef Wirmer.


Spürt man den Lebensläufen nur dieser drei Männer nach, zeigt sich dass die Widerständler aus allen Schichten, Glaubensrichtungen und Weltanschauungen Deutschlands kamen, der Arbeiterschaft, dem kommunistischen, dem sozialdemokratischen, dem gewerkschaftlichen, dem kirchlichen, dem bürgerlichen, dem konservativen und dem militärischen Widerstand. Unter Einsatz ihres Lebens und unter den Bedingungen der Diktatur haben sie über die Grenzen ihrer Überzeugungen hinweg den Aufstand unternommen. Es ging dabei nicht nur gegen, sondern vor allem für etwas: zunächst das NS-Unrechtsregime mit seinen unsäglichen Verbrechen zu beenden. Sodann einen demokratisch verfassten Rechtsstaat zu errichten. Das lässt sich aus dem zentralen Konsensdokument des Umsturzversuchs ablesen, nämlich der von Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler vorbereiteten Regierungserklärung für die Zeit nach Hitler. Ihr Beginn lautet:


„Erste Aufgabe ist die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts“(…)“Keine menschliche Gemeinschaft kann ohne Recht bestehen; keiner, auch derjenige, der glaubt, es verachten zu können, kann es entbehren. Für jeden kommt die Stunde, da er nach dem Recht ruft.“


Und schließlich:


„Dazu ist es notwendig, Unabhängigkeit, Unversetzbarkeit und Unabsetzbarkeit der Richter wiederherzustellen.“


Sätze, deren Aktualität im In- und Ausland sich auch heute ohne weitere Kommentare erschließen.


An dieser Stelle begrüße ich sehr herzlich Sie, lieber Herr Müller, gewissermaßen doppelt, als Regierender Bürgermeister wie als Bundesratspräsident, ebenso wie Sie, sehr geehrter Herr Bundestagsvizepräsident Oppermann, und Sie, sehr geehrter Herr Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes Professor Kirchhof.


Besonders freuen wir uns, dass Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister Maas, heute als Vertreter der Bundesregierung die Gedenkansprache halten. Letztes Jahr haben Sie als Bundesminister der Justiz ein Buch mit dem Titel „Furchtlose Juristen“ herausgegeben, in dem 17 Juristen portraitiert werden, die sich auf ganz unterschiedliche Weise gegen den Nationalsozialismus gewandt haben. In diesem Zusammenhang möchte ich an einen anderen mutigen Juristen erinnern, dessen 50. Todestag wenige Tage zurück liegt, nämlich Fritz Bauer. Er hat in der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen die Grundlage der „gesellschaftlichen Selbstaufklärung“ gesehen. Es ging nicht um Bestrafung allein, schon gar nicht um Rache, sondern um die Zivilisierung der deutschen Nachkriegsgesellschaft angesichts der Barbarei der NS-Zeit, an der eben auch zahlreiche „Furchtbare“ Juristen beteiligt waren. Gerade wegen dieser Selbstaufklärung können wir auf unseren Rechtsstaat stolz sein. Für ihn hat der deutsche Widerstand gekämpft. Hier zeigt sich ein Paradox, das wir immer wieder offen legen müssen: Auf den deutschen Widerstand berufen sich neuerdings besonders gerne Rechtspopulisten. Sie reklamieren bekanntlich für sich den Alleinvertretungsanspruch, den wahren Willen des Volkes zu erkennen. Ihr Agieren und ihre Sprache ist totalitär. Der Widerstand aber war gerade antitotalitär. Deshalb stelle ich bei dieser Gelegenheit erneut und ausdrücklich - auch im Namen der Familien der Angehörigen - klar, dass sich die Stiftung 20. Juli 1944 auf das Schärfste distanziert, wenn Rechtspopulisten versuchen – wie es jetzt an jedem 20. Juli geschieht – Frauen und Männer aus dem Widerstand für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Das ist nichts anderes als Missbrauch.


Die Stiftung 20. Juli 1944 hat sich in der frühen Bundesrepublik gegen Schmähungen der Angehörigen - vor allem der Witwen - des Widerstands gewandt; ebenso setzt sie sich jetzt gegen derartige Vereinnahmungen ein. Ihr Hauptaugenmerk liegt darin, mit ihren – bescheidenen – Mitteln einen Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates zu leisten, indem sie Kenntnisse über den Widerstand in seiner ganzen Breite und Vielfalt gegen den totalitären NS-Staat vermittelt. Hier wenden wir uns vor allem an Jugendliche, Soldaten der Bundeswehr und das Ausland.


So freuen wir uns, dass so zahlreiche Mitglieder des Diplomatischen Korps heute anwesend sind.


Für die Bundeswehr begrüße ich sehr herzlich Sie, liebe Frau Bundesministerin von der Leyen, ebenso wie Sie, sehr geehrter Herr Generalinspekteur Zorn. Wir freuen uns, dass der neue Traditionserlass der Bundeswehr die herausgehobene Bedeutung des militärischen Widerstands für die Tradition der Bundeswehr betont. Dies wird heute Nachmittag – wie jedes Jahr – beim Feierlichen Gelöbnis unterstrichen, bei dem Pater Mertes sprechen wird.


Schließlich freuen wir uns über die zahlreichen Jugendlichen. Herzlich begrüße ich Schüler der Klosterschule Roßleben aus Thüringen, aus der zahlreiche Widerständler kamen, wie auch Schüler der Max-Ulrich-von-Drechsel-Realschule aus Regenstauf in Bayern, die mit ihrem Namen an den katholischen Widerstandskämpfer Max Ulrich Graf von Drechsel erinnert.


Vor 100 Jahren endete das Kaiserreich und die Weimarer Republik nahm ihren Anfang. Wie wir wissen, scheiterte sie am Ende vor allem am Mangel an Demokraten. Die Ausgangslage ist heute glücklicherweise anders. Angesichts der enormen Anfeindungen gegen Rechtsstaat und Demokratie im In- und Ausland müssen wir allerdings mehr denn je wachsam bleiben. Vor diesem Hintergrund verstehen Sie bitte auch den heutigen Aufruf im Tagesspiegel von rund 400 Angehörigen des Widerstands für ein vereintes Europa und für Humanität und gegen Abschottung und Populismus. Wachsam bleiben ist auch eine Botschaft der heutigen Gedenkfeier zum 20. Juli: wachsam gegenüber totalitären Parolen, ihren sprachlichen Grenzverschiebungen und historischen Umdeutungen. Die Geschichte des Widerstands mahnt uns ganz im Sinne des Vermächtnisses von Dietrich Bonhoeffer und ich schließe mit diesem Zitat von ihm:


„Nichts von dem, was wir im anderen verachten, ist uns selbst ganz fremd.“


 


 

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