Begrüßung

Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944 am 20. Juli 2021 um 12:00 Uhr in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin, anlässlich des 77. Jahrestages des 20. Juli 1944


- Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück -


Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident Haseloff,
sehr geehrter Herr Bundesminister Heil,
sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Müller
sehr geehrter Herr Präsident des Abgeordnetenhauses Wieland,
sehr geehrter Herr Generalinspekteur Zorn,


Ganz besonders begrüße ich die Angehörigen, die auch in diesem Jahr aus Gründen der Vorsicht in der fortwährenden Pandemie nicht hier in Plötzensee sein können und die – wie etwa die Schüler und Schülerinnen unserer Partnerschulen und viele andere – diese Gedenkstunde im Fernsehen und Internet verfolgen.


Seitens der Stiftung möchte ich unseren Kuratoriumsvorsitzenden Axel Smend und seine Nachfolgerin ab dem morgigen Tag, Valerie Riedesel, begrüßen. Auch im Kuratoriumsvorsitz unserer Stiftung voll-zieht sich der Generationenwechsel von der Kinder- zur Enkelgeneration. Gleich in welcher Generation möchten die in der Stiftung versammelten Angehörigen der Frauen und Männer aus dem Widerstand mit ihrem familiären und persönlichen Bezug, mit ihrem Erleben und ihren Erinnerungen ihren Beitrag dazu leisten, dass uns das Vermächtnis des Widerstands bewusst bleibt.


Wir haben in dem Filmbeitrag zu Beginn gehört, dass hier – hinter dieser Mauer – in der NS-Zeit über 2800 Menschen aus mehr als 20 Nationen hingerichtet worden sind. Unter Instrumentalisierung einer willfährigen Justiz wurden diese Morde als rechtmäßig verschleiert. Das Todesurteil stand in der Regel aber fest, bevor die Gerichtsverhandlung überhaupt begann. Der zutiefst verbrecherische Charakter der totalitären NS Diktatur ergreift jeden, der den Hinrichtungsraum von Plötzensee betritt.



  • Wo, wenn nicht hier spüren wir, wie wichtig das Vermächtnis des Widerstands gegen das NS-Regime ist: totalitäre Verführungen und Angriffe zu erkennen und ihnen entgegen zu treten, bevor es zu spät ist.

  • Wo, wenn nicht hier, wird uns der Wert unserer rechtsstaatlich verfassten Demokratie bewusst. Angesichts der anhaltenden Angriffe auf den Rechtsstaat im In- und Ausland wird es nicht reichen, wenn wir alle nur zugucken. Wir müssen vielmehr etwas tun. Der amerikanische Historiker Timothy Snyder hat zwanzig Lektionen aus dem Widerstand für heute verfasst. Die erste lautet: „Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam.“ Und die letzte: „Sei so mutig wie möglich.“


Anders als das NS Regime es immer suggerieren wollte, hat eben nicht nur eine „kleine Clique“ von Offizieren Widerstand geleistet. Wir wissen heute, dass die Frauen und Männer aus dem Widerstand aus allen Schichten, Glaubensrichtungen und politischen Lagern der Gesellschaft kamen – aus der Arbeiterschaft und dem Bürgertum, sie waren Kommunisten und Konservative, Gewerkschafter und Militärs, Gläubige und auch Menschen, die schlicht aus Anstand und ethischer Überzeugung handelten und dabei ihr Leben riskierten. Und wir wissen auch, dass die Verschwörer versucht haben, unter den Bedingungen der Diktatur über die Grenzen ihrer politischen Lager hinweg, zusammen zu wirken. Es war der hier im Januar 1945 ermordete Sozialdemokrat Julius Leber, der sich im Juni 1944 mit ausdrücklicher Billigung Stauffenbergs mit Vertretern des kommunistischen Widerstands getroffen hat. Er zählte zu jenen, die Hitler und seiner Bewegung von Anfang an Widerstand leisteten; schon am 23. März 1933 wurde er unter Missachtung seiner Immunität auf dem Weg zur Reichstagssitzung in der Kroll-Oper festgenommen, als er gegen das sogenannte Ermächtigungsgesetz stimmen wollte. Mehrere Jahre blieb er in Gefangenschaft, u. a. im Konzentrationslager Sachsenhausen


Auch seine Frau Annedore Leber gehörte zum Widerstand. Unermüdlich hat sie sich in den Nachkriegs-jahren dafür eingesetzt, die Erinnerung an die Männer und Frauen, die an ein anderes Deutschland geglaubt und dafür gekämpft hatten, in Erinnerung zu halten. Im Februar 1962 begleitete sie gemein-sam mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Willy Brandt – für den Julius Leber stets Vorbild gewesen war und der selbst nach 1933 als sozialdemokratischer Netzwerker aus dem Exil den Kampf gegen Nazi-Deutschland unterstützt hatte – Robert F. Kennedy, den Bruder des damals noch nicht ermordeten US-Präsidenten, bei seinem Besuch hier in Plötzensee.


Es ist bewegend, dass heute Nachmittag eine Gruppe von US-Weltkriegsveteranen auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, im Ehrenhof des Bendlerblocks einen Kranz niederlegen möchten, um die Frauen und Männer aus dem Widerstand zu ehren. Einer von ihnen war bei der Befreiung des Konzentrations-lagers Dachau dabei; ein anderer ist in Deutschland in einer jüdischen Familie geboren, wurde als Drei-zehnjähriger in die USA geschickt und hat seine Angehörigen nie wieder gesehen. Welche Bedeutung das Vermächtnis des Widerstands über die Bundesrepublik hinaus hat, können wir auch daran erkennen.


Und so möchte ich heute mit den Worten der unbeugsamen Demokratin Annedore Leber schließen: „Es ist der Wert unserer abendländischen Kultur, dass der Einzelne aus der Reihe tritt, um für das Recht, für das Leben und die Seele des Mitmenschen einzustehen“.

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