"Da wir nun aus Glauben gerecht gesprochen worden sind, haben wir Frieden mit Gott."

Franz Freiherr von Hammerstein

„Da wir nun aus Glauben gerecht gesprochen worden sind, haben wir Frieden mit Gott.“

Predigt von Pfarrer Dr. Franz Freiherr von Hammerstein am 19. Juli 1968 in der Sühne-Christi-Kirche, Berlin

Da wir nun aus Glauben gerecht gesprochen worden sind, haben wir Frieden mit Gott. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, da wir wissen, dass die Trübsal Geduld wirkt, die Geduld aber Bewährung, Erfahrung, die Bewährung aber Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden, weil die Liebe Gottes ausgegossen ist in unsere Herzen (Römer V).

Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden? Die Hoffnung damals war, zu überleben, das Schiff doch noch vom Kurs in den Abgrund, in immer tiefere Verstrickung mit dem Verbrechen wegzubringen. Die Hoffnung war nach dem Zusammenbruch des tausendjährigen Reiches, über ideologische, konfessionelle und nationale Grenzen, über Klassengrenzen hinweg zusammenzuarbeiten, eine friedliche Welt zu gestalten.

Natürlich ist die Hoffnung und der Friede, der durch sie entsteht, letztlich nicht irdisch, nicht von uns abhängig, sondern wird von Gott gegeben und kann nicht enttäuscht werden. Trotzdem wurden die meisten Hoffnungen, soweit sie sich auf diese Welt bezogen, erst einmal zerbrochen, sie wurden zu Schanden, sie wurden schändlich ermordet – außer wenn wir diese Hoffnungen wieder aufnehmen, wenn wir weiter hoffen und Hoffnung verwirklichen, soweit das möglich ist. Die damalige Hoffnung ist für uns Verpflichtung, oder wir verraten sie. Wir dürfen sie nicht einfach verherrlichen, nicht wohlgefällig meditieren, nicht als vages Gefühl hinnehmen, sondern müssen sie analysieren, müssen uns von ihr anstacheln lassen, nicht nur den himmlischen Frieden, in den diejenigen, derer wir heute hier gedenken, eingegangen sind, zu suchen, sondern auch den irdischen Frieden, der von himmlischen Frieden untrennbar ist.

Dieser Friede ist in Vietnam, in Nigerien-Biafra, im Nahen Osten und auch im Zentrum Europas bedroht. Wir müssen denen Widerstand leisten, die Kriege und Krisen mit ihren Waffen, mit ihrem Geld, mit ihren Ideologien, mit ihren oft nur angeblich humanen Interessen anheizen. Das Wort „Mauern“ draußen verpflichtet uns nicht zuerst, an die Mauer in Berlin zu denken, sondern vor allem an die Mauern von Vorurteilen, von Hass, von Gleichgültigkeit, die wir immer neu aufrichten.

Es ist ein Jammer, wie stark wirtschaftliche Interessen, nationaler Stolz, Beharren auf angeblichen Rechtsstandpunkten – die Grenzen von 1937, das Münchener Abkommen – uns in neue Schuld stürzen.

Es ist ein Jammer, dass wir in Versuchung sind, immer nur für uns zu hoffen, anstatt wie damals die Männer und Frauen des Widerstandes für ihre Zellennachbarn und für Juden, Polen, Russen oder Tschechen, die zu Boden getrampelt wurden.

Ich komme gerade aus der Tschechoslowakei, wo ich einen Abend mit einem ehemaligen Häftling des KZ Sachsenhausen verbracht habe. Er war als 21-jähriger Student, als tschechischer Widerstandskämpfer dorthin gebracht worden. Das erste, was er mir erzählte, war, dass er als Atheist mit einem deutschen Kameraden, Klaus Rendtorff, einem evangelischen Pfarrerssohn, der wegen Verbreitung katholischer Flugschriften – Predigten des Grafen Galen gegen die Euthanasie – ebenfalls in Sachsenhausen war, lange Gespräche über Glaube und Welt geführt habe. Zum Abschied habe Rendtorff ihm seine Geige geschenkt. Diese Begegnung eines Tschechen mit einem Deutschen im KZ mache ihm noch heute Hoffnung für ein neues friedliches Zusammenleben unserer Völker und gebe ihm Kraft, die schwierigen politischen Entscheidungen dieser Tage zu meistern.

Die Hoffnung dieser Menschen, dieser tschechischen oder polnischen Widerstandskämpfer ist, dass wir einerseits die Konsequenzen aus den Verbrechen, die im deutschen Namen geschehen sind, ziehen:

Null und Nichtigerklärung des Münchner Abkommens,

Anerkennung der Oder-Neiße Grenze,

Anerkennung zweier deutscher Staaten.

Die Hoffnung ist andererseits, und das ist im Grunde die Voraussetzung für alles andere, dass wir Vertrauen säen. In einer Welt des Misstrauens, wo keiner dem anderen über den Weg traut, arbeiten Sühnezeichengruppen gleichzeitig in Polen, Auschwitz, in der CSSR, Theresienstadt und in Israel. Junge Menschen gehen an diese Orte des Grauens, weil ihnen die im deutschen Namen begangenen Verbrechen leid tun, weil sie die Völker und Menschen kennen lernen wollen, die damals als Untermenschen abgestempelt waren. Sie leben und arbeiten mit diesen Menschen, um Vertrauen und gemeinsame Hoffnung zu schaffen, zu wecken und lebendig zu erhalten.

Ein polnischer Journalist – Widerstandskämpfer – hat diese jungen Deutschen in Auschwitz beobachtet, dem Auschwitz, an das wir an dem Denkmal draußen täglich erinnert werden sollen, und hat dann einen Artikel geschrieben, dem er zu unserer Überraschung die Überschrift „Hoffnung“ gab. Warum geben junge, in Auschwitz arbeitende Deutsche einem unerhört skeptischen polnischen Journalisten Hoffnung? Ist das dieselbe Hoffnung, die wir heute mitnehmen sollen? Sie geben ihm offenbar die Hoffnung, dass neues Vertrauen, dass Versöhnung möglich ist. Sie geben ihm die Hoffnung, dass die politischen und ideologischen Gegensätze unterwandert werden können. Er schreibt: „Es waren insgesamt 16 dieser neuzeitlichen Apostel, die nicht in luxuriösen Wagen als Dollartouristen, sondern in der Eisenbahn so wie Millionen in unserem Land reisen, nach Auschwitz kamen, um mit uns bescheiden zu leben und mit uns zu arbeiten.”

In einem kommunistischen Land werden wir nicht als Kommunisten oder Kapitalisten, sondern als Apostel, als Christen, begrüßt. Wir werden begrüßt, weil wir auf diesem schrecklichen Friedhof aus Asche und Knochen auf polnischem Boden unter polnischer Leitung arbeiten, um die ermordeten Polen und Juden zu ehren, weil wir das Schweigen brechen und zu den Brüdern der Menschen gehen, deren vergossenes Blut noch heute zu Gott schreit: „Horch, das Blut deines Bruders schreit zu dir von der Erde.“ Der polnische Journalist schließt seinen Artikel mit der Feststellung, dass er zu diesen jungen Deutschen Vertrauen gewonnen habe, dass ihre Überzeugungen ihm die Hoffnung gegeben haben für einen Neuanfang zwischen unseren Völkern: „Auschwitz ist dann weder Schweigen noch Ende einer Fahrt, sondern der Beginn eines Weges und die Stimme, die in die Zukunft führt,” schreibt er.

Reinhold Schneider hat uns 1946 ein Wort zugerufen, was immer noch gültig ist: „Gesegnet sei unter uns derjenige, dem sein Gewissen hilft, das Schuld-Bewusstsein zu suchen und zu finden; er kann dadurch eine innere Wandlung erfahren und der Träger einer besseren Zukunft – einer neuen Hoffnung – werden und auch besserer Taten.“






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