Das Bild des deutschen Widerstands in Frankreich

INCLUDEPICTURE "file:///G:/Stiepani/Bilder/LOGO_GDW.jpg" \* MERGEFORMATINET Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Etienne François

Das Bild des deutschen Widerstands in Frankreich

Vortrag von Prof. Dr. Etienne François am 19. Juli 1998 im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Erlauben Sie zu Beginn dieses Vortrags, dass ich Sie dazu einlade, sich in Gedanken einige Tage vor den 20. Juli zu versetzen, und zwar nach Paris, am 14. Juli - allerdings nicht am diesjährigen 14. Juli, der ganz unter dem Zeichen des Triumphs der französischen Fußballmannschaft bei der Weltmeisterschaft stand, sondern am 14. Juli 1994, vor vier Jahren. An diesem Tage erlebte man nämlich in Paris zwei noch einige Jahre vorher völlig unvorstellbare Ereignisse: auf der einen Seite die Teilnahme von deutschen Truppenverbänden an der Militärparade, und auf der anderen Seite die Anwesenheit auf der Ehrentribüne, neben dem Staatspräsidenten und auf seine Einladung, von mehreren Vertretern des deutschen Widerstands - eine Anwesenheit, deren Bedeutung umso höher zu bewerten ist, als sie fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Attentat gegen Hitler stattfand.

Welche Entwicklungen innerhalb der französischen Öffentlichkeit haben dazu geführt? Wie kann man erklären, dass sich ein Land, dessen politische Kultur so tief in der Erfahrung und Erinnerung der Résistance wurzelt, fünfzig Jahre nach Ende des Kriegs entschloss, dem deutschen Widerstand diese späte Anerkennung zukommen zu lassen? Wie vollzog sich der Wandel von der Negierung des deutschen Widerstands zu seiner allmählichen Entdeckung und schließlich zu seiner Würdigung und vollen Anerkennung? Dies sind die Fragen, auf welche dieser Vortrag antworten möchte.

I.

Dass man in Frankreich am Ende des Krieges und in den Jahren danach nichts von dem deutschen Widerstand gewusst hätte, lässt sich in keinem Falle sagen. Im Gegenteil - gleich nach dem Ende des Krieges wurde in Frankreich von mehreren Seiten über ihn berichtet und publiziert. Die vom Jesuitenpater Jean du Rivau und einer Gruppe von ehemaligen Deportierten gegründete Zeitschrift „Documents/Dokumente“, die sich zum Ziel gesetzt hatte, für die Versöhnung zwischen Franzosen und Deutschen im Geiste des Christentums und der Demokratie zu arbeiten, veröffentlichte zum Beispiel in ihrer Nummer vier vom Dezember 1945 mehrere Artikel über Gestalten des christlichen Widerstands; vier Jahre später, im Mai 1949, hielt in der Pariser Sorbonne auf Einladung von französischen Professoren der unerbittliche Gegner des NS-Regime und ehemalige Buchenwald-Häftling Eugen Kogon einen viel beachteten Vortrag (in deutscher Sprache) anlässlich der Veröffentlichung seiner Studie über den SS-Staat. Zwischen 1946 und 1956 schließlich erschienen in französischer Übersetzung etwa zehn Bücher von Zeitzeugen und Historikern, die den deutschen Widerstand zum Thema hatten - vom Tagebuch des Botschafters Ulrich von Hassel (erschienen 1946) bis hin zur Geschichte des deutschen Widerstands des Freiburger Historikers Gerhard Ritter (1956).

Die Wirkung dieser frühen Berichterstattung auf die Öffentlichkeit blieb aber gleich null. Im Allgemeinen wurde bis zu Beginn der sechziger Jahre der deutsche Widerstand schlichtweg ignoriert. Und in den seltenen Fällen, wo man Oppositionshandlungen erwähnte, äußerte man sich darüber in äußerst kritischer, ja negativer Weise - wobei immer zum Schluss, und zwar mit dem größten Nachdruck, die These vertreten und wiederholt wurde, man könne in Bezug auf Deutschland höchstens von Opposition sprechen, aber in keinem Fall von Widerstand. Hier nur ein Beispiel (unter vielen) aus einem Artikel des Publizisten Jean Lequillier in der Zeitschrift „Mercure de France“, 1948 erschienen: „Insgesamt muß man zum Schluß kommen, daß es in Deutschland keinen inneren Widerstand gab; es gab höchstens eine versteckte und träge Opposition von einigen Politikern, einigen Beamten und einigen Generälen. Diese Opposition hatte aber Angst, aktiv zu werden; in den meisten Fällen ging man nicht über den Ausdruck von Mißfallen hinaus. Man muß leider feststellen, daß auch bei diesen Gegnern von Hitler die Diktatur den Verantwortungssinn, das politische Bewußtsein und den Willen, persönliche Initiativen zu ergreifen, abgeschwächt hatte.“

Diese abweisende bzw. negative Haltung galt im Übrigen nicht nur für die öffentliche Meinung, sondern herrschte auch unter den Fachhistorikern. Der Historiker Maxime Mourin, der meines Wissens nach 1948 die erste umfassende französische Darstellung des deutschen Widerstands schrieb, hütete sich sorgfältig vom Widerstand zu sprechen. Der Titel seines Buchs lautete „Les complots contre Hitler“ („Die Verschwörungen gegen Hitler“) und gleich in der Einleitung zu seiner ansonsten gut informierten Studie schrieb er: „Sogar die Begriffe Opposition und Oppositionelle - mit den Dimensionen von ideologischer Überzeugung und von Selbstlosigkeit, die damit verbunden sind - passen in den meisten Fällen nicht, wenn man von den Verschwörungen gegen Hitler spricht. Dort ging es vor allem um Machtkämpfe, die ihre Motivation hauptsächlich in Klasseninteressen oder in Gründen der politischen und militärischen Opportunität hatten, während sich niemand um das kümmerte, was in den Konzentrationslagern oder in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten passierte.“ Eine solche Beurteilung erinnert im übrigen an der Erklärung von Churchill am 2. August 1944 vor dem Unterhaus, wo er die These vertrat, es handle sich beim 20. Juli lediglich um „Ausrottungskämpfe unter den Würdenträgern des Dritten Reiches“.

Als zweites Beispiel sei mir erlaubt, Henri Michel, den führenden Historiker des Widerstands in Frankreich, zu erwähnen. Henri Michel, der selber in der Résistance aktiv gewesen war, der später zum Direktor des Instituts für die Erforschung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs ernannt wurde (ein Institut, das in Anlehnung an das Beispiel des Münchner Instituts für Zeitgeschichte gegründet worden war und direkt dem Premier unterstellt war), und der eine zentrale - und wichtige - Rolle in der wissenschaftlichen Erforschung des Widerstands spielte, definierte in der Mitte der 50er Jahre den Begriff Widerstand mit Worten, die de facto den deutschen Widerstand ausschlossen. Er bezeichnete ihn nämlich als „einen patriotischen Kampf für die Befreiung des nationalen Bodens und als einen weltanschaulichen Kampf für die Würde des Menschen“. Für ihn war klar: es gab keinen deutschen Widerstand, höchstens Formen der Opposition. In einer 1959 erschienenen Nummer der von seinem Institut herausgegebenen Zeitschrift „Revue d’Histoire de la Deuxième Guerre Mondiale“ schrieb er: „Die deutsche Opposition gegen Hitler brachte nichts was sich mit der sprudelnden geistigen Kreativität des französischen Widerstands vergleichen ließe. Der größte Unterschied zwischen der deutschen Opposition und dem europäischen Widerstand besteht eben darin, daß sie erst spät und begrenzt aktiv wurde.“

Henri Michel und die anderen französischen Historiker waren übrigens nicht allein dieser Ansicht. 1958 fand in Lüttich der erste internationale Kongress über die Geschichte des Widerstands statt. Die Organisatoren hatten dabei eine Sitzung über den deutschen Widerstand vorgesehen; verantwortlich dafür war der deutsche Historiker Helmut Krausnick - eine in allen Hinsichten unanfechtbare Gestalt. Als er seinen Vortrag begann, so erzählte mir der französische Historiker François Bédarida, gab es Unruhe im Publikum, mehrere Teilnehmer verließen ostentativ den Vortragsraum, empört darüber, dass man den angeblichen deutschen Widerstand zum europäischen Widerstand rechnete.

Wie lässt sich diese anhaltende negative bzw. ignorierende Haltung gegenüber dem deutschen Widerstand von Seiten der Mehrheit der französischen Öffentlichkeit und der französischen Historiker erklären? Warum herrschte diese weitgehend verbreitete Ablehnung der Verwendung des Begriffs Widerstand, um die Opposition gegen Hitler zu bezeichnen?

Eine erste Erklärung ist ohne Zweifel in der Stärke des sogenannten „Résistance-Mythos“ im Nachkriegsfrankreich zu suchen, wobei ich den Mythos Résistance im positiven Sinne verstehe, das heißt als eine Deutung und Darstellung der jüngsten Vergangenheit, die sinnstiftend für die Mehrheit der damaligen Franzosen war und die ihnen erlaubte, das Trauma des Zusammenbruchs und der Niederlage von 1940 zu überwinden und den Neuanfang nach dem Krieg zu bewältigen. Dieser Mythos beruhte insbesondere auf der Überzeugung, dass, wenn auch die Widerstandskämpfer nur eine Minderheit waren, sie doch die überwiegende Mehrheit des französischen Volkes hinter sich hatten, dass alle Franzosen - über die parteipolitischen und ideologischen Unterschiede hinaus, innerhalb Frankreichs wie auch außerhalb - in ihrem Willen einig waren, Frankreich von der fremden Besatzung zu befreien, und dass das Vichy-Regime nur die Sache von einigen Verrätern und Kollaborateuren, Handlangern der Nazis, ohne jede Legitimität und Repräsentativität, gewesen war. In einem solchen Zusammenhang hatte die Geschichtsschreibung über die Résistance vor allem eine legitimatorische Funktion. Geschrieben von Historikern, die selber der Résistance angehört hatten, in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen und Verbänden, die aus der Résistance entstanden waren, setzte sie sich als erstes Ziel, die Selbstdeutung der Résistance zu vermitteln, ihren Kampf zu würdigen und ihre führenden Persönlichkeiten zu verherrlichen.

Eine zweite Erklärung ist in der Tatsache zu suchen, dass das wenige, was man über den deutschen Widerstand im Nachkriegsfrankreich wusste, sich vor allem auf den militärischen und konservativen Widerstand bezog. Nun wurde dieser Teil des deutschen Widerstands fast automatisch mit den schlechten Erinnerungen der Besatzungszeit in Verbindung gebracht, und seine emotionale und politische Ablehnung war um so stärker, als die Werte und Vorstellungen, die die Résistance entwickelt hatte, eher links orientiert waren. Die spontane Sympathie der französischen Öffentlichkeit und spezieller der Anhänger der Résistance galt eher den Personen und Gruppen, die aus linker Überzeugung gegen das NS-Regime gekämpft hatten. Dies war im übrigen nicht nur der Fall für die Kommunisten (die damals ein Fünftel bis ein Viertel der Wählerschaft ausmachten), für die es sowieso klar war, dass die Männer des 20. Juli nur eine reaktionäre antisowjetische Clique darstellten, sondern galt auch für viele nicht-kommunistische Kreise - und erklärt ihre Sympathie für die DDR, weil man unter ihren führenden Persönlichkeiten mehrere fand, die eine aktive Rolle in der französischen Résistance gespielt hatten - von Franz Dahlem und Hermann Axen, bis hin zum ersten Botschafter der DDR in Paris, Ernst Scholz.

II.

Die ersten Ansätze einer Differenzierung des Blickes und einer vorsichtigen Anerkennung des deutschen Widerstands lassen sich erst zu Beginn der 60er Jahre beobachten. Ein wichtiger Meilenstein in dieser Richtung war ohne Zweifel das Buch des Historikers Marcel Baumont. Diese im Jahre 1963 erschienene Untersuchung trägt zwar einen Titel, der noch scheinbar an die alten Vorbehalte anknüpft: sie spricht nämlich von der „Großen Verschwörung gegen Hitler“. Der Inhalt ist aber differenziert und gut informiert; Marcel Baumont hat keine Bedenken mehr gegen die Verwendung des Begriffs Widerstand, er unterstreicht die ethisch-moralische Bedeutung des deutschen Widerstands (den er als „Aufstand des Gewissens“ und als „moralische Revolte gegen die Barbarei“ bezeichnet), nimmt Abstand von der üblichen Darstellungsweise und liefert als erster eine neue Grundinterpretation des deutschen Widerstands.

In der Folge erschien eine Reihe von Büchern, die sich bisher vernachlässigten Aspekten und Persönlichkeiten widmen, weg von der bis jetzt üblichen Fixierung auf den 20. Juli und den militärisch-konservativen Widerstand. Als Beispiele dieser Neuorientierung seien die Bücher von Leon Poliakov, Saul Friedländer und Pierre Joffroy über Kurt Gerstein, das erste 1974 erschienene Buch von André Bogaert über Georg Elser (ein Buch, in welchem er seinen Mut, seine Entschlossenheit und seine Hellsichtigkeit unterstreicht - im Gegensatz zu der überwiegenden Mehrheit der Deutschen, die erst dann klar sahen, als der Krieg verloren war), das 1967 erschienene und dem kommunistischen Widerstand gewidmete Buch von Gilles Perrault über die sogenannte Rote Kapelle, das eine besonders große Resonanz fand, oder noch die 1969 im KP-eigenen Verlag erschienene Untersuchung von Florimond Bonte über „Die deutschen Antifaschisten im französischen Widerstand“ erwähnt.

Den Wendepunkt stellte schließlich das 1980 erschienene Buch von Gérard Sandoz „Ces Allemands qui ont défié Hitler“ („Diese Deutschen, die Hitler herausforderten“) dar. Dieses Buch, dessen Autor im übrigen Deutschland nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verlassen und dem Widerstand angehört hatte, war das erste Buch, das dem französischen Leser eine breite und umfangreiche Information gab. Bezeichnend in dieser Hinsicht ist die Tatsache, dass es nur ein Drittel seines Textes dem militärisch-konservativen Widerstand widmete. Sein Anliegen bestand viel eher in der Absicht, „nachzuweisen, daß mehrere Zehntausende Deutsche mit Entschiedenheit gegen die blutrünstige NS-Diktatur gekämpft haben, und, daß - entgegen einer weit verbreiteten Meinung - das deutsche Volk nicht in seiner Gesamtheit für das Dritte Reich schuldig ist“. „Trotz ihrer Schwächen, ihrem Zögern, ihren unsicheren Versuchen“, so schreibt Gérard Sandoz weiter, „verdienen die deutschen Widerstandskämpfer um so mehr unsere Achtung, als sie hoffnungslos einsam waren, im Gegensatz zu den Widerstandskämpfern der anderen europäischen Länder, die mit einer breiten materiellen und moralischen Unterstützung rechnen konnten“.

Worauf ist diese Entwicklung zurückzuführen? Ein erster Grund ist in der Abschwächung des Résistance-Mythos zu suchen. Diese Abschwächung hing nicht nur mit dem Wandel der Generationen, der Abdankung und dem Tod von de Gaulle zusammen, sondern auch mit dem nicht zuletzt durch den Fortgang der historischen Forschung beschleunigten Wandel der Wahrnehmung des Vichy-Regime und der Vichy-Jahre. Paradigmatisch in dieser Hinsicht ist die 1973 in französischer Übersetzung erschienene Untersuchung des amerikanischen Historikers Robert Paxton, der in seiner bahnbrechenden Studie die Autonomie des Regimes, seine breite Akzeptanz in der französischen Öffentlichkeit bis 1942, seine Verwurzelung in spezifisch französischen Traditionen und seine aktive Rolle in der Gestaltung einer antisemitischen Politik und in der Judenverfolgung ans Licht brachte.

Eine weitere Erklärung liefert die Veränderung der Haltung der französischen Öffentlichkeit Deutschland gegenüber, wie man sie am Fortschreiten der Aussöhnung zwischen beiden Ländern, an der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrags („Elysée-Vertrag) 1963, am deutlichen Rückgang und am erfolgreichen Abbau der deutschfeindlichen Einstellungen beobachten kann. Die Ernennung von Willy Brandt, einem kompromisslosen und entschiedenen Gegner der ersten Stunde, zum Bundeskanzler spielte im übrigen eine nicht unbeträchtliche Rolle; sie markiert zum Beispiel den Wendepunkt in der Art, wie die einflussreiche Tageszeitung „Le Monde“ über den 20. Juli 1944 und genereller über den deutschen Widerstand berichtete.

Als dritten Grund für diese Entwicklung möchte ich schließlich - mit etwas mehr Ausführlichkeit - die Tiefenwirkung der Initiativen erwähnen, die meistens unmittelbar nach dem Ende des Krieges von kleinen Gruppen ergriffen worden sind, die selber aktiv aus ethischen, weltanschaulichen und politischen Gründen an der Résistance teilgenommen hatten, die oft deswegen deportiert worden waren, und die - in der Résistance-Bewegung sowie in den KZs - die Wirklichkeit des deutschen Widerstands entdeckt hatten. Lange Zeit waren diese Initiativen marginal geblieben. Aber mit dem Beginn der Trendwende um die Mitte der 60er Jahre konnten sie endlich voll zum Tragen kommen und es steht außer Zweifel, dass sie entscheidend zum Wandel des Bildes des deutschen Widerstands in der französischen Öffentlichkeit beigetragen haben.

Ein erstes Beispiel in dieser Hinsicht ist der immer noch im deutsch-französischen Dialog sehr aktive und sicher Ihnen allen bekannte Joseph Rovan. Joseph Rovan, 1918 in München geboren, seit 1934 in Frankreich lebend, beteiligte sich früh am Widerstand. Eine seiner Aufgaben bestand darin, neben der Fälschung von Personalausweisen, Schulungskurse und politische Bildungskurse in Lyon, der Hauptstadt der Résistance, für Untergrundkämpfer zu organisieren. 1943, so erzählt er, hielt er die folgende Rede: „Eins müßt Ihr vor allem begreifen: dieser Krieg ist nicht ein Krieg wie die vorigen von 1870 oder 1914; diesmal ist es kein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland. Gestern Abend hörte ich den britischen Rundfunk; dort erfuhr ich vom Ende der Studentengruppe aus München, der “Weißen Rose“ (im Übrigen war einer der Beteiligten mein Vetter): Sie haben denselben Kampf wie wir geführt und sind für dieselbe Sache gestorben.“ Ein Jahr später wurde er verhaftet und anschließend nach Dachau deportiert. Wem begegnet er dort? Sicher vielen Franzosen (die im übrigen mehrheitlich nicht von der Gestapo oder der Wehrmacht verhaftet worden waren, sondern von der französischen Polizei und Gendarmerie), aber auch zahlreichen Deutschen und Österreichern aller politischen Tendenzen, „Kameraden“, so schreibt er in seinen Memoiren, „die denselben Kampf wie wir geführt hatten, meistens vor uns: ehe der erste Franzose in Dachau eintraf, waren schon 100.000 Deutsche und Österreicher dort inhaftiert worden“. Gleich nach seiner Befreiung, getragen von den Erfahrungen und den Überzeugungen, die er im Widerstand gewonnen hat, setzt er sich zwei Ziele: auf der einen Seite, am Wiederaufbau eines demokratischen Deutschlands zu arbeiten - daher sein programmatischer und mit Recht berühmt gewordener Aufsatz in der Zeitschrift „Esprit“ mit dem Titel „L’Allemagne de nos mérites“ (d.h. übertragen: Wir werden das Deutschland haben, was wir verdient haben) und sein Engagement im Rahmen der französischen Militärverwaltung und in enger Zusammenarbeit mit deutschen Gegnern des Nationalsozialismus wie Eugen Kogon und Walter Dirks für die Volksbildung; auf der anderen Seite, die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen - daher unter anderem seine Mitwirkung an der vorhin erwähnten Zeitschrift „Documents“ und insbesondere die zahlreichen Berichte und Artikel, die er dort veröffentlicht bzw. schreiben lässt, um die französische Öffentlichkeit über den deutschen Widerstand in seiner ganzen Vielfalt und Unterschiedlichkeit (bis hin zum kommunistischen Widerstand oder zum Nationalkomitee Freies Deutschland) zu informieren - wobei er von Beginn an großen Wert darauf legt, den deutschen Widerstand als solchen zu nennen. „Diese Bezeichnung“, so schreibt er 1947, „mag für viele wie ein Paradox, ja wie eine Provokation klingen. Nichts wäre aber trügerischer, als in Schablonen zu denken, als sich einzubilden, man wäre ein guter Resistant, und aus allen Deutschen ohne Unterschiede lauter Nazis machen zu wollen“. Sein Engagement für die Sache des deutschen Widerstands hat übrigens nie nachgelassen: noch 1994 - für den 50. Jahrestag des 20. Juli - gab er eine Sondernummer der Zeitschrift „Documents“ unter dem Titel heraus: „Nein an Hitler: Opposition und Widerstand gegen das NS-Regime“ (Non à Hitler, oppositions et résistances contre le régime nazi).

Als zweites Beispiel dieser frühen Anerkennung des deutschen Widerstands von Seiten der Résistance möchte ich den spanischen aber auf französisch schreibenden und in Paris lebenden Schriftsteller Jorge Semprun erwähnen - ein Schriftsteller, dessen meiste Bücher ins Deutsche übersetzt wurden und dem vor einigen Jahren der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde. Der erste Roman, in welchem er die Erinnerung an den Widerstand und an die Deportation (nach Buchenwald) verarbeitete, erschien 1963 in Frankreich unter dem Titel „Le grand voyage“ (die deutsche Übersetzung erschien 1981 unter dem Titel „Die große Reise“). Sein Ursprung war ein ganz anderer als der von Rovan: er stammte aus Spanien (sein Vater war Minister in der republikanischen Regierung) und stand der KP nahe - er war nach dem damaligen Sprachgebrauch ein „Rotspanier“. Seine Erfahrungen sind aber identisch: sehr bewegend ist zum Beispiel die Beschreibung seiner Begegnung, als er noch in Auxerre gefangen war, mit einem deutschen Wachsoldaten, der ihn fragt: „Warum sind Sie verhaftet?“ Es entwickelt sich über mehrere Tage ein Dialog mit diesem Soldaten aus einer Arbeiterfamilie aus Hamburg, wo dieser sich immer deutlicher vom Regime distanziert: „Ich habe keinen Krieg gewollt“; „ich habe nichts mit der Gestapo zu tun“, und offensichtlich unter dem Einfluss dieses Gesprächs einige Tage später beschließt, diese ihm unliebsame Funktion als Wächter von Widerstandskämpfern (für die er Sympathie und Verständnis hat) aufzugeben, ihm erklärt, dass er sich zur Ostfront gemeldet hat und ihm zum Abschied Zigaretten schenkt. Einige Wochen später, als er in Buchenwald angekommen ist, schließt er Freundschaft mit deutschen kommunistischen Mithäftlingen und betont nachdrücklich seine Bewunderung für deren Mut, Entschiedenheit und Hilfsbereitschaft - wie zum Beispiel im Falle des Mitgefangenen Walter, der seit zwölf Jahren im Lager war und vor Freude weinte, als er von der großen russischen Offensive hörte: „Walter weinte vor Freude“, so schreibt Semprun, „er hatte ausgehalten, er hatte bewiesen, daß er seiner selbst und des Lebenszieles, das er sich vor langen Jahren in einer Wuppertaler Fabrik gesteckt hatte, würdig war“. Typisch auch - und für mich ganz besonders bewegend, weil ich dort das Echo der Erinnerungen meines Vaters wiederfinde, der auch deportiert wurde - ist die Art wie er - im Gegensatz zu anderen französischen Mitgefangenen, die noch in der alten Vorstellung leben, der Krieg wäre eine Krieg zwischen Frankreich und Deutschland - auf der einen Seite betont, dass es für ihn „nicht den geringsten Unterschied“ zwischen den Gestapoleuten und den Vichy-Polizisten gibt, und auf der anderen Seite sich weigert, die Deutschen als „Boches“ zu bezeichnen und sie en bloc zu verurteilen: „Es sind Deutsche, und oft Nazis“; und er schreibt weiter: „es geht um einen gemeinsamen Kampf, es geht um die Freiheit, es geht um einen gemeinsamen Kampf von Deutschen und Nicht-Deutschen für die Befreiung vom Nationalsozialismus“.

III.

Wenn ich nun abschließend einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung der zehn bis fünfzehn letzten Jahre werfe, so fällt mir zuerst die verblüffende Konvergenz der französischen und deutschen Widerstandsforschung auf. Vor sechs Monaten veröffentlichte das französische Pendant des „Instituts für Zeitgeschichte“, das sogenannte „Institut d’Histoire du temps présent“ eine ausführliche Bestandsaufnahme der Schwerpunkte und der neuen Tendenzen der Forschungen über den Widerstand in Frankreich. Unter den Aspekten, die dabei hervorgehoben wurden, greife ich nur die vier wichtigsten auf. Sie zeigen in aller Deutlichkeit, dass die Fragestellungen, die Ansätze und die Neuorientierungen genau dieselben wie in Deutschland sind. Ein erster betrifft die Klärung und die Präzisierung der Begriffe - wobei unmittelbar an die hier in Deutschland vor einigen Jahre geführte Diskussion über Widerstand, Resistenz und Dissens angeknüpft wird. Der zweite Aspekt bezieht sich auf das Bemühen der heutigen Historiker, von einem einheitlichen und statischen Bild des Widerstands Abstand zu nehmen. Diese stärkere Differenzierung geschieht auf der einen Seite durch die größere Berücksichtigung des zeitlichen Wandels, der Kontinuitäten und der Brüche, und auf der anderen Seite durch die Hervorhebung der inneren Komplexität - manchmal bis hin zur inneren Widersprüchlichkeit - des Widerstands. „Die Vielfalt der Facetten“ so schreibt der Gründungsdirektor des Institut d’Histoire du Temps Présent François Bédarida (dessen Jugend maßgeblich von den Erfahrungen der Résistance geprägt wurde) „ist die Regel und nicht die Ausnahme. Der Widerstand ähnelt mehr einem Mosaik als einer gut geordneten Zeichnung. Dort liegt seine historische Wahrheit genauso wie seine moralische Beispielhaftigkeit“. Der dritte Aspekt ist das Bemühen um eine systematische Kontextualisierung des Widerstands durch seine Einordnung in den sozialen, politischen und kulturellen Gesamtzusammenhang. „Der Widerstand“, so schreibt der Historiker Pierre Laborie, „kann nicht für sich betrachtet werden. Er wirkt im Gegenteil wie ein Brennglas und gibt Aufschluss über die Strömungen, die Spannungen und die Brüche der ganzen Gesellschaft eines Landes“. Als letzter Punkt sei die Hervorhebung der ethisch-moralischen Dimension des Widerstands erwähnt, insofern als er einen Bruch, eine Übertretung, eine Ausnahme und - um Bonhoeffer zu zitieren - eine „verantwortliche Tat“ darstellt. Dort vor allem sucht man heutzutage seine tiefere Einheit - über alle sozialen und ideologischen Unterschiede hinweg. „Der Widerstand ist das Kind des notwendigen Gewissens und des Bewußtseins des Notwendigen“, schreibt mit Recht der vorhin zitierte François Bédarida („la résistance est fille de la conscience nécessaire, de la conscience du nécessaire“). Und als Echo dazu möchte ich zwei weitere Sätze zitieren, die beiderseits des Rheins das Primat des ethischen Moments dokumentieren: der eine wurde am 21. Juli 1944 von Henning von Tresckow in seinem Abschiedsbrief geschrieben: „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben zu geben“; der zweite stammt vom Historiker Marc Bloch; es ist ein Zitat von Lamennais, das er 1943, als er im Untergrund kämpfte, in sein Notizbuch schrieb, in Vorausahnung seines baldigen Todes: „Es klebt ein Mangel an jedem schönen Leben, das nicht auf dem Schlachtfeld, auf dem Schafott oder im Gefängnis endet.“

Im Hinblick auf den deutschen Widerstand hatte diese Neuorientierung der französischen Widerstandsforschung zwei wichtige Konsequenzen: auf der einen Seite die volle Anerkennung des deutschen Widerstands als einen Teil des europäischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus (in jeder französischen Darstellung des Widerstands wird heute der deutsche Widerstand gleichberechtigt neben dem Widerstand in den anderen Ländern thematisiert); auf der anderen Seite eine bessere Wahrnehmung der Eigenart des deutschen Widerstands, insbesondere seiner tragischen Dimension als „Widerstand ohne Volk“.

Als zweite Beobachtung der Entwicklung der letzten Jahre stelle ich fest, dass nach der Trendwende der 60er und 70er Jahre das Interesse in Frankreich für den deutschen Widerstand - in seiner Vielfalt und in seiner Wirklichkeit - in keinem Fall nachgelassen hat. Es hat sich im Gegenteil bestätigt und vertieft, und zwar zunehmend als ein gemeinsames Anliegen von Franzosen und Deutschen. Es sei als erstes Beispiel auf die Publikationen des französischen Germanisten (und Sohn eines spanischen Widerstandskämpfers) Gilbert Badia über die von der französischen Regierung für die deutschen und österreichischen Antifaschisten in Südfrankreich errichteten Internierungslager hingewiesen, wie auch auf das sofort auf französisch übersetzte Buch des deutschen Germanisten Albrecht Betz über die deutschen Intellektuellen, die nach der Machtergreifung durch die Nazis Zuflucht in Frankreich suchten, und deren Engagement. Ein weiteres Beispiel liefert der Erfolg der Ausstellungen über den deutschen Widerstand, die zuerst ab 1984 vom Institut für Auslandsbeziehungen in 34 unterschiedlichen Städten Frankreichs gezeigt wurden, und noch mehr der Erfolg der von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand vorbereiteten Ausstellung, die zwischen November 1995 und Mai 1996 in Paris, ausgerechnet in den Räumen des Museums, das dem Gedenken von zwei führenden Persönlichkeiten des französischen Widerstands gewidmet ist, Jean Moulin und Maréchal Leclerc, gezeigt wurde. Dieselbe Ausstellung wurde übrigens später mit einem ähnlichen Erfolg in anderen Städten gezeigt - insbesondere in Lyon, der Hauptstadt der Résistance, im Winter 1997.

Als weiteres Zeichen dieser intensiven Beschäftigung möchte ich die letztes Jahr vom französischen Bildungsministerium getroffene Entscheidung anführen, die Geschichte des deutschen Widerstands zu einem der zentralen Prüfungsthemen des nationalen Wettbewerbs für die Rekrutierung der künftigen Germanisten in den Gymnasien und an den Universitäten („agrégation“) zu machen - eine Entscheidung, die dazu führte, dass mindestens fünf neue Bücher über den deutschen Widerstand, mit Verfassern nicht nur aus Frankreich, sondern auch aus Deutschland (Ost und West) auf den Markt kamen, von den Neuauflagen von früheren Veröffentlichungen nicht zu sprechen: die französische Übersetzung des Buches von Inge Scholl über die Weiße Rose erlebte zum Beispiel 1995 ihre dritte Auflage, und zwar im renommierten Verlag „Editions de minuit“, der im Untergrund während des Krieges von Mitgliedern der Résistance gegründet worden war.

Als letztes Beispiel sei mir schließlich erlaubt auf zwei Entscheidungen des Jahres 1994 in Berlin hinzuweisen: auf der einen Seite die Entscheidung, den Namen von Julius Leber - als führende Persönlichkeit des deutschen Widerstands aber auch als Elsässer - den Kasernen des ehemaligen Quartier Napoléon zu geben; auf der anderen Seite die gemeinsam von der französischen und der deutschen Seite getroffene Entscheidung, den Namen von Marc Bloch unserem deutsch-französischen Zentrum für Sozialwissenschaften zu verleihen - in Erinnerung an einen Mann, der nicht nur einer der größten Historiker unseres Jahrhunderts war, sondern auch ein aktiver Widerstandskämpfer, der am 16. Juni 1944 von der Gestapo in der Nähe von Lyon hingerichtet wurde.

Wie man sieht, stellt der Widerstand - als Geschichte, als Erinnerung und als Vermächtnis - einen wesentlichen Bestandteil des gemeinsamen Erbes von Deutschen und Franzosen dar. Diese Anerkennung bildet eine wichtige Errungenschaft der letzten Jahre. Ohne Zweifel ist der Widerstand ein Gebiet, wo wir noch viel voneinander zu lernen haben und wo es sich lohnt, noch intensiver zusammenzuarbeiten - nicht zuletzt, weil in beiden Ländern die Historiker des Widerstands mit denselben Fragen und Herausforderungen konfrontiert sind. In einem kürzlich erschienen Buch fasste Henry Rousso, der neue Direktor des „Institut d’Histoire du Temps Présent“, diese Herausforderungen in drei knappen und prägnanten Sätzen zusammen, die ich hier in deutscher Übersetzung zitieren möchte: „Auf keinen Fall soll sich die Übertragung der Geschichte des Widerstands auf die passive Verherrlichung der Helden und der Opfer reduzieren“; „Die Erinnerung an den Widerstand kann nur Gewinn daraus ziehen, wenn sie sich dem kritischen Blick der Geschichtswissenschaft stellt“; „Das beste Mittel, dem Erbe des Widerstands treu zu bleiben, besteht darin, daß man seine Geschichte gegen die Gefahr der Mythologisierung und der Ideologisierung verteidigt“.

Es handelt sich dabei für mich um eine tiefe Überzeugung. Diese Überzeugung wurde bestärkt durch die Erfahrungen der intensiven deutsch-französischen Zusammenarbeit, die ich in den letzten Jahren durchgeführt habe. Ihre Ursprünge liegen aber tiefer: sie sind nämlich in den Erfahrungen zu suchen, die mein Vater nach der Rückkehr von seiner Inhaftierung im KZ Neuengamme meinen Geschwistern und mir vermittelt hat und die mich bis heute prägen. Die Geschichte des Widerstands ist insofern nicht nur ein Teil unserer gemeinsamen Geschichte; sie ist auch ein Teil meiner persönlichen Geschichte. Aus diesem Grund fühle ich mich Ihnen gegenüber in doppelter Weise zu Dank verpflichtet: zuerst für Ihre ehrenvolle Einladung, und dann - und vor allem - für Ihre Aufmerksamkeit.