"Der Widerstand gegen Hitler bleibt eine wichtige Mahnung"

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Axel Smend

„Der Widerstand gegen Hitler bleibt eine wichtige Mahnung“

Ansprache des Vorsitzenden des Vorstands der „Stiftung 20. Juli 1944“ Dr. Axel Smend am 19. Juli 2009 im Berliner Rathaus

Zwei Persönlichkeiten, die so lange ich zurückdenken kann immer beim Senatsempfang dabei waren, fehlen heute Abend; Persönlichkeiten aus unserem Angehörigenkreis, Johanna Rahtgens und ihr Schwiegersohn Ulrich Schaeffer. Beide sind kürzlich verstorben, gerade deshalb sind sie auch heute Abend hier bei uns und in unseren Gedanken.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister von Berlin, meine sehr geehrten Damen und Herren,

Herr Bürgermeister Wolf, Ihnen, danke ich für Ihre Worte. Sie machen wiederum nachdenklich und regen an, gerade am Vorabend des 65. Jahrestages des Attentats auf Adolf Hitler.

Gestatten Sie mir im Jahre 2009 noch eine Bemerkung, Herr Wolf: Heute vor 20 Jahren konnten wir noch nicht hier im Berliner Rathaus gemeinsam des 20. Juli 1944 gedenken. Da stand noch die Mauer. Aber mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ sind vor 20 Jahren Hunderttausende in Leipzig und Plauen und vielen anderen Städten der DDR auf die Straße gegangen und haben Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gefordert. Vielen war beklommen zumute: Aber der Mut war stärker. Und mit ihrer friedlichen Revolution haben sie den Weg zur Einheit unseres Vaterlandes gebahnt. Ihr mutiger Einsatz hat unendlich viel zum Ansehen unseres Volkes in der Welt beigetragen.

In der Satzung der „Stiftung 20. Juli 1944“, für die ich hier ebenso spreche wie für den Zentralverband Demokratischer Widerstandskämpfer, ist u.a. ein enges Zusammenwirken mit der Regierung des Landes Berlin fest verankert, wenn es um die Erfüllung unserer Aufgaben geht. Zu Recht, wie die Geschichte lehrt, denn Berlin war nicht nur die Hauptstadt des nationalsozialistischen Deutschlands, sondern auch die Hauptstadt des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.

Das Land Berlin ist immer ein Motor gewesen, das Andenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus lebendig zu erhalten. Ich nenne nur stichwortartig:

Die Errichtung eines Denkmals im Hof des Bendlerblocks durch den damaligen Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter im Jahre 1952/53.

Die Errichtung der Gedenkstätte in Plötzensee, die an die vielen Widerstandskämpfer, die dort ihr Leben lassen mussten, erinnert.

Seit mehr als 50 Jahren finden vor allem jährliche Gedenkfeiern hier in Berlin statt.

Das Land Berlin hat die ersten Pläne für die spätere Gedenkstätte Deutscher Widerstand Mitte der 1960er Jahre skizziert. Der spätere Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker hat 1983 dann den Auftrag gegeben, hier die ganze weltanschauliche Breite und soziale Vielfalt des Widerstandes gegen die Hitler-Diktatur darzustellen.

In keiner anderen deutschen Stadt wird mit derart vielen Straßen- und Schulnamen im alltäglichen Gedächtnis an den Widerstand erinnert und

das Land Berlin war es auch, das unsere Stiftung unterstützt hat bei der Eröffnung einer Ausstellung über Stauffenberg in der Partnerhauptstadt Berlins, Los Angeles, am 15. Januar diesen Jahres zusammen mit dem Goethe-Institut.

Das unverändert hohe, 65 Jahre nach den Ereignissen deutlich zunehmende öffentliche Interesse am deutschen Widerstand gegen Hitler darf nicht voreilig als Nachweis seiner unangefochtenen Bedeutung und Wertschätzung interpretiert werden. Hierauf möchte ich kurz eingehen.

Die Attentäter und ihre Mitstreiter, so ein Vorwurf, hätten Hitler nur töten wollen, um günstigere Friedensbedingungen zu erreichen. Gewiss fiel es schwerer, den Umsturz herbeizuführen, als Hitler Erfolge errang: Erst das militärische Desaster öffnete neue Chancen. Dennoch: Der militärische Widerstand gegen Hitler begann bereits 1938; aber ein langer Weg führte zum 20. Juli 1944.

Kurz vor dem 20. Juli 1944 äußerte Henning von Tresckow über die tieferen Beweggründe der Verschwörer: „Das Attentat muss erfolgen … Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“

Tatsache ist schließlich: In der Zeit vom 20. Juli 1944 bis zum 8. Mai 1945 starben – an der Front und in der Heimat – viel mehr deutsche Staatsangehörige als zwischen dem 1. September 1939 und dem Attentat Stauffenbergs. Hinzu kommen die bis zuletzt vielen Opfer von Hitlers Vernichtungspolitik sowie die Kriegsopfer, die andere Länder zu beklagen hatten.

Ein weiterer Vorwurf lautet: Den Verschwörern habe es an demokratischem Bewusstsein gemangelt. Deshalb seien sie als Vorbilder für die Bundesrepublik Deutschland ungeeignet. Richtig ist: Alle Verschwörer wollten die Rückkehr zum Rechtsstaat, ohne deshalb allerdings für eine Demokratie im Sinne der Bundesrepublik einzutreten. Überhaupt schien manchem Verschwörer die Demokratie kein erstrebenswertes Ziel – dies ist nach den Erfahrungen der Weimarer Republik aus der Zeit heraus zu erklären und auch zu verstehen. Dennoch: Maßgebende Gründerpersönlichkeiten der Bundesrepublik wie Konrad Adenauer, Eugen Gerstenmaier, Kurt Schumacher und Andreas Hermes kamen aus Gefängnissen und Konzentrationslagern, aus dem Untergrund oder aus der Emigration.

Gewiss gehörten manche Mitstreiter des 20. Juli im Jahre 1933 zunächst auch zu jenen, die Hitlers Regierungsübernahme begrüßt haben, die sich von seiner Propaganda, seinen Lügen und Scheinerfolgen blenden ließen, die den zutiefst verbrecherischen Charakter seiner Herrschaft zunächst verkannten – ähnlich wie ein erheblicher Teil der Deutschen, aber auch maßgebliche Politiker im Ausland. Doch hier ist zu fragen: Verdienen nur jene Hochachtung, die von vorneherein Gegner Hitlers waren? Oder sollte eine abwägende Betrachtung auch jene Deutschen würdigen, denen erst allmählich die Augen aufgingen, die sich dann aber von Tradition, Eid, Gehorsam und Kameradenloyalität lösten, ihre Angst überwanden, um in den aktiven Widerstand zu gehen?

Gerade der Soldateneid bedeutet für viele Verschwörer ursprünglich eine hohe Hürde. Doch Thomas von Aquin und auch Bonhoeffer erklären jeden Widerstand gegen Tyrannei und Eintreten für eine gerechte Ordnung für legitim. Generaloberst Beck erklärte, soldatischer Gehorsam stoße an eine Grenze, wenn Wissen, Gewissen und Verantwortung es verböten, einen Befehl auszuführen. Dann sei es nicht nur erlaubt, sondern Pflicht, Widerstand zu leisten.

Der antidiktatorische Widerstand gegen Hitler gründete auf vielfältigen Motiven. Dazu gehörten die Zerstörung des Rechts und die Verfolgung der Kirchen; zudem die Versuche der Machthaber mit Verführung und Gewalt den Geist und das Gewissen gleichzuschalten. Viele Verschwörer wandten sich schließlich gerade auch gegen Kriegsverbrechen, gegen den Massenmord an den Juden und anderen Minderheiten.

Nach dem 8. Mai 1945 blieb es um die Überlebenden des deutschen Widerstandes gegen Hitler lange still – wohingegen Frankreich die Opfer und Überlebenden der Résistance stürmisch als Helden feierte, die gegen einen fremden Usurpator aufgestanden waren. Golo Mann schrieb 1958: „So hat man sie zweimal ignoriert und vergessen. Verwirrt und betäubt, kümmerte man sich nicht um sie im Chaos des ausbrennenden Krieges; damals begriff man gar nicht den Verlust an menschlicher Substanz, den Deutschland durch die Katastrophe des 20. Juli erlitt.“ Und Joachim Fest, sicherlich einer der besten Kenner des Nationalsozialismus und des Widerstandes sagte 2004 in seiner Rede zur Verleihung des Eugen-Bolz-Preises: „Der 20. Juli ist immer ein Gedenktag 3. Klasse geblieben. Wann je wäre eine Nation, die auf sich hält, ähnlich geringschätzig mit einem Datum und einer Personengruppe umgegangen, in deren moralischer Pflicht sie steht?“

Der Widerstand gegen Hitler bleibt also eine wichtige Mahnung: Die Würde des Individuums bedarf keiner Begründung. Sie ist Selbstzweck, die der staatlichen Gewalt vorausgeht und ihr übergeordnet bleiben muss. Nur der Rechtsstaat schützt die Würde des einzelnen wirksam. Darin liegt das wichtigste Vermächtnis des 20. Juli 1944.

Und dieses Vermächtnis systematisch weiter zu tragen, ist heute eine der wesentlichsten Aufgaben und Pflichten der Stiftung 20. Juli 1944 – weiter zu tragen nach draußen, speziell zur Jugend, zu unseren Soldaten in der Bundeswehr und ins Ausland.

Es war das Land Berlin, das sich der Erinnerung an den gescheiterten Widerstand als einer patriotischen Tat aktiv annahm. Heute erscheint dies als eine Selbstverständlichkeit; wir aber wissen, dass dies in den 1950er Jahren grundsätzlich anders war.

Die Stiftung 20. Juli 1944, und damit meine ich alle Angehörigen, dankt den hier versammelten Repräsentantinnen und Repräsentanten des Landes Berlin, dass es in so vielfältiger Form an den Widerstand erinnert und dies auch heute Abend mit diesem Zusammentreffen dokumentiert.







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