Die Erinnerung wachhalten
Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Robert von Steinau-Steinrück
Die Erinnerung wachhalten
Ansprache des Vorsitzenden des Vorstands der „Stiftung 20. Juli 1944“ Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück am 19. Juli 2011 im Berliner Rathaus
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Wolf,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
für Ihre Einladung danke ich Ihnen im Namen der Stiftung 20. Juli 1944. Es ist eine gute Tradition, dass sich die Angehörigen unserer Stiftung alljährlich hier im Roten Rathaus am Vorabend des 20. Juli versammeln. Und eine gute persönliche Kontinuität ist es auch, dass Sie, lieber Herr Bürgermeister Wolf, uns hier begrüßen. Ihnen dafür herzlichen Dank!
Bitte lassen Sie mich an dieser Stelle drei unserer Gäste aus Frankreich herzlich willkommen heißen, die die „Association Nationale Mémoires du Mont Valérien“ und damit die französische Resistánce vertreten, nämlich die Präsidentin Madame Tellier, sowie Monsier Faber, der Vizepräsident und Monsieur Meyer. Sie nehmen auf unsere Einladung hin an den morgigen Gedenkfeiern teil. Mehr dazu morgen.
Aufgabe der Stiftung 20. Juli 1944 ist es, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in unserem kollektiven Gedächtnis haften bleibt. Wir wenden uns vor allem an Jugendliche, an Soldaten und an das Ausland. Gerade aus der Perspektive des Auslandes spielt die Stadt Berlin eine große Rolle. Die Stadt strahlt eine ungeheure Faszination im In- und Ausland aus. Ein Teil dieser Faszination kommt auch daher, dass die Spuren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und vor allem des Krieges und der Folgen überall zu sehen sind. Auch der Widerstand gehört dazu. Nur so erklärt es sich, dass die jetzt vorliegende ungekürzte Ausgabe des 1947 geschriebenen Buches von Hans Fallada, „Jeder stirbt für sich allein“, nicht nur in Deutschland, sondern in zahlreichen Ländern, ein Bestseller geworden ist.
Der Erfolg dieses großartigen Buches belegt, dass im In- und Ausland ein gewaltiges Interesse am Widerstand gegen den Nationalsozialismus besteht. Es geht um die Geschichte eines Arbeiter-Ehepaares, das seinen einzigen Sohn im Krieg verloren hat. Daraufhin beginnt das Paar auf Karten vor den Nationalsozialisten zu warnen, wird überführt und 1943 hingerichtet.
Diesen Roman möchte ich zum Anlass nehmen, hier in nur wenigen Sätzen die Geschichte einer jungen Berlinerin zu erzählen, die sich auf ähnliche Weise in den Widerstand begeben hat. Es ist die Geschichte von Liane Berkowitz. Sie beteiligte sich im Mai 1942 – ganz ähnlich wie in der Geschichte von Hans Fallada – an einer Aktion mit Zetteln, die sie in der Gegend zwischen Kudamm und Uhlandstraße anklebte. Auf den Klebezetteln stand:
„Ständige Ausstellung – Das Naziparadies – Krieg – Lüge – Gestapo – Wie lange noch?“.
Sie gehörte zu der Gruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack. Im Herbst 1942 wurde sie von der Gestapo verhaftet. Bei ihrer Verhaftung war sie im dritten Monat schwanger. Es gibt bewegende Briefe von ihr aus der Haft; eine schwangere 19-jährige in Sorge um ihr Kind und ihren Verlobten. Er, Friedrich Rehmer, war ebenfalls im Zuge der Klebezettelaktion verhaftet worden. Im Januar 1943 wurden sie und ihr Verlobter vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Drei Monate später brachte sie ihr Kind Irina zur Welt. Sie richtete mehrere Gnadengesuche an die nationalsozialistische Führung – und wurde darin vom Reichskriegsgericht und anderen unterstützt. Sie hoffte auf ihre Begnadigung. Doch Adolf Hitler selbst war es, der am 21. Juli 1943 seine Unterschrift unter die Ablehnung des Gnadengesuches setzte. Im August 1943 wurde Liane Berkowitz hingerichtet, ihr Verlobter war schon im Mai hingerichtet worden. Ihre kleine Tochter Irina Berkowitz starb im Oktober 1943 in einem Krankenhaus, möglicherweise im Rahmen der nationalsozialistischen Krankenmordaktionen.
Diese Geschichte macht sprachlos und ist erschütternd. Sie belegt abermals die unglaubliche Härte und Brutalität der Nationalsozialisten. Daneben zeigt sie uns noch etwas anderes: Neben den (bekannten) Widerstandskämpfern, an die wir im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 denken, hat es in Deutschland und hier in Berlin viele wenig bekannte Menschen gegeben, die ebenfalls Widerstand geleistet und ihn mit dem Leben bezahlt haben. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Erinnerung gerade auch an sie wach zu halten. Ihnen, Herr Bürgermeister Wolf danke ich, dass das Land Berlin dafür viel unternimmt, nicht zuletzt mit der Arbeit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, mit der wir eng kooperieren.
Robert von Steinau-Steinrück
Die Erinnerung wachhalten
Ansprache des Vorsitzenden des Vorstands der „Stiftung 20. Juli 1944“ Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück am 19. Juli 2011 im Berliner Rathaus
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Wolf,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
für Ihre Einladung danke ich Ihnen im Namen der Stiftung 20. Juli 1944. Es ist eine gute Tradition, dass sich die Angehörigen unserer Stiftung alljährlich hier im Roten Rathaus am Vorabend des 20. Juli versammeln. Und eine gute persönliche Kontinuität ist es auch, dass Sie, lieber Herr Bürgermeister Wolf, uns hier begrüßen. Ihnen dafür herzlichen Dank!
Bitte lassen Sie mich an dieser Stelle drei unserer Gäste aus Frankreich herzlich willkommen heißen, die die „Association Nationale Mémoires du Mont Valérien“ und damit die französische Resistánce vertreten, nämlich die Präsidentin Madame Tellier, sowie Monsier Faber, der Vizepräsident und Monsieur Meyer. Sie nehmen auf unsere Einladung hin an den morgigen Gedenkfeiern teil. Mehr dazu morgen.
Aufgabe der Stiftung 20. Juli 1944 ist es, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in unserem kollektiven Gedächtnis haften bleibt. Wir wenden uns vor allem an Jugendliche, an Soldaten und an das Ausland. Gerade aus der Perspektive des Auslandes spielt die Stadt Berlin eine große Rolle. Die Stadt strahlt eine ungeheure Faszination im In- und Ausland aus. Ein Teil dieser Faszination kommt auch daher, dass die Spuren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und vor allem des Krieges und der Folgen überall zu sehen sind. Auch der Widerstand gehört dazu. Nur so erklärt es sich, dass die jetzt vorliegende ungekürzte Ausgabe des 1947 geschriebenen Buches von Hans Fallada, „Jeder stirbt für sich allein“, nicht nur in Deutschland, sondern in zahlreichen Ländern, ein Bestseller geworden ist.
Der Erfolg dieses großartigen Buches belegt, dass im In- und Ausland ein gewaltiges Interesse am Widerstand gegen den Nationalsozialismus besteht. Es geht um die Geschichte eines Arbeiter-Ehepaares, das seinen einzigen Sohn im Krieg verloren hat. Daraufhin beginnt das Paar auf Karten vor den Nationalsozialisten zu warnen, wird überführt und 1943 hingerichtet.
Diesen Roman möchte ich zum Anlass nehmen, hier in nur wenigen Sätzen die Geschichte einer jungen Berlinerin zu erzählen, die sich auf ähnliche Weise in den Widerstand begeben hat. Es ist die Geschichte von Liane Berkowitz. Sie beteiligte sich im Mai 1942 – ganz ähnlich wie in der Geschichte von Hans Fallada – an einer Aktion mit Zetteln, die sie in der Gegend zwischen Kudamm und Uhlandstraße anklebte. Auf den Klebezetteln stand:
„Ständige Ausstellung – Das Naziparadies – Krieg – Lüge – Gestapo – Wie lange noch?“.
Sie gehörte zu der Gruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack. Im Herbst 1942 wurde sie von der Gestapo verhaftet. Bei ihrer Verhaftung war sie im dritten Monat schwanger. Es gibt bewegende Briefe von ihr aus der Haft; eine schwangere 19-jährige in Sorge um ihr Kind und ihren Verlobten. Er, Friedrich Rehmer, war ebenfalls im Zuge der Klebezettelaktion verhaftet worden. Im Januar 1943 wurden sie und ihr Verlobter vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Drei Monate später brachte sie ihr Kind Irina zur Welt. Sie richtete mehrere Gnadengesuche an die nationalsozialistische Führung – und wurde darin vom Reichskriegsgericht und anderen unterstützt. Sie hoffte auf ihre Begnadigung. Doch Adolf Hitler selbst war es, der am 21. Juli 1943 seine Unterschrift unter die Ablehnung des Gnadengesuches setzte. Im August 1943 wurde Liane Berkowitz hingerichtet, ihr Verlobter war schon im Mai hingerichtet worden. Ihre kleine Tochter Irina Berkowitz starb im Oktober 1943 in einem Krankenhaus, möglicherweise im Rahmen der nationalsozialistischen Krankenmordaktionen.
Diese Geschichte macht sprachlos und ist erschütternd. Sie belegt abermals die unglaubliche Härte und Brutalität der Nationalsozialisten. Daneben zeigt sie uns noch etwas anderes: Neben den (bekannten) Widerstandskämpfern, an die wir im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 denken, hat es in Deutschland und hier in Berlin viele wenig bekannte Menschen gegeben, die ebenfalls Widerstand geleistet und ihn mit dem Leben bezahlt haben. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Erinnerung gerade auch an sie wach zu halten. Ihnen, Herr Bürgermeister Wolf danke ich, dass das Land Berlin dafür viel unternimmt, nicht zuletzt mit der Arbeit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, mit der wir eng kooperieren.