"Die Vesper ist die Stunde der Frauen."

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Karl Meyer

„Die Vesper ist die Stunde der Frauen.“

Ansprache von Pater Dr. Karl Meyer OP am 20. Juli 2008 im Vespergottesdienst in der Kirche Maria Regina Martyrum, Berlin

An jedem Tag singen wir in den Tagzeiten Gott das Lob. Das Lob Gottes ist grundlegend aufgerichtet in Leben, Leiden und Tod Jesu. So ist seit alten Zeiten die Liturgie der Tagzeiten Teilhabe an dem großen Tag des Leidens Christi.

Die Vesper heiligt die beginnende Abendstunde mit ihrer Ruhe, verbindet diese aber mit einer furchtbaren Ruhe.

Die dreizehnte Station des Kreuzwegs heißt: Der Leichnam Jesu wird vom Kreuz genommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt.

Die Vesperbilder bilden diese Szene immer wieder ab.

Der Tag ist die Zeit der großen Entscheidungen. Jesus trifft sie, und von seiner Mutter heißt es: Maria stand unter dem Kreuz, sie litt mit ihrem Sohn, und sie war einverstanden.

Die Vesper ist die Zeit der tiefen Konsequenzen, der bedrückenden und bedrohlichen Nachhaltigkeit.

Große Hoffnungen führten zu den Entscheidungen, aber das alles ist völlig zunichte gemacht.

Da besteht die Gefahr der Verzweiflung, da kann aber auch die tiefe Gottzugehörigkeit noch vertieft werden. „Sie war sich seiner sicher.“ (Kardinal Carlo Martini)

„Maria bewahrte das alles und erwog es in ihrem Herzen.“

So ist der Sohn zu einer neuen Geburt aus dem Glauben in ihren Schoß gelegt. Diese tiefe tödliche Not beantwortet der Vater im Himmel mit der Auferweckung des gläubigen Herzens.

Die Vesper ist die Stunde der Frauen.

Maria von Magdala ist immer dabei, sie bleibt am Grab und lässt ihren Herrn nicht, bis sie ihn trifft.

Die Männer sind nicht ausgeschlossen. Der Jünger, den Jesus liebte, bleibt und wird an die Mutter des Glaubens verwiesen. Sie alle halten dem anhaltenden Tod und der Trauer stand.

Nach dem 20. Juli 1944, nach den großen Entscheidungen, bei denen die Frauen dabeistanden, mitlitten und einverstanden waren, kam dann mehr denn je die Stunde der Frauen. Es war eine lange Zeit der nachhaltigen Trauer, der großen Gefahren und des Innewerdens des Vertrauens in die Richtigkeit und Würde des Handelns der Ehemänner oder der Söhne. Nina von Stauffenberg hat das Innewerden, die tiefe Gemeinschaft mit ihrem Mann in großer Not im KZ Ravensbrück in ein Gedicht gebracht, d.h. es ist etwas für sie sehr Kostbares.

Du bist bei mir.

Wenn auch dein Leib verging.

Und immer ist’s, als ob

Dein Arm mich noch umfing.

Dein Auge strahlt mir zu

Im Wachen und im Traum

Dein Mund neigt sich zu mir

Dein Flüstern schwingt im Raum:

„Geliebtes Kind! Sei stark,

Sei Erbe mir!

Wo Du auch immer bist,

Ich bin bei Dir!“

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Leben wird immer wieder strittig sein und streitig gemacht werden. Das Interesse am Zerstören ist gewachsen. Die Möglichkeit des Völkermordes ist ins Unermessliche gewachsen. Heute ist für das Leben von Anfang an einzustehen. Dem Leben treu zu bleiben, es gut zu pflegen, ist eine immense Aufgabe.

Moralische Appelle sind dafür gut, aber sie reichen nicht aus. Es braucht Kraft dazu. Wir dürfen auf einen großen Schatz an gelebtem, an inne gewordenem Glauben zurückgreifen, den uns die Frauen, die Mütter, die Schwestern, die Freundinnen, oder auch die Helferinnen der Inhaftierten und zum Tode Verurteilten wie z.B. die beiden Mariannen hinterlassen haben.

Es ist deswegen auch eine Stunde des Dankes für diesen großen Schatz, dieses reiche Erbe. Mögen die kommenden Generationen mit diesem Kapital wuchern und dem Leben Raum schaffen.

Amen.