Ein Tag der Erinnerung

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Dieter Thomas

Ein Tag der Erinnerung

Ansprache von Dieter Thomas, Mitglied des Vorstandes der Stiftung „Hilfswerk 20. Juli 1944“, anlässlich der Enthüllung einer Gedenktafel am 9. April 1970 im ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg

Verehrte liebe Freunde!

Immer wieder wurden wir in den vergangenen Monaten – und das ist heute so und wird bis zum 9. Mai so bleiben – an die dunklen Zeiten erinnert, die sich jetzt zum 25. Male jähren. Es waren die Wochen und Monate, in denen die nationalsozialistische Schreckensherrschaft einem letzten und grausigen Höhepunkt entgegenging und als zugleich alles Unrecht, alles Verbrechen und alles Leid, das sie über die Menschen in nahezu ganz Europas gebracht hatte, unbarmherzig auf unser Land zurückschlug. Auch heute ist ein solcher Tag der Erinnerung und Gesinnung an jene Zeit, der Tag, an dem im Taumel der von allen Seiten nach Deutschland einströmenden Kriegsgegner, das katastrophale Ende vor Augen, Hitler den Befehl gab, hervorragende Männer unseres Volkes hier in diesem düsteren Lager dem Henker auszuliefern. Es waren Männer, die seit Monaten und noch länger in Lagern und Gefängnissen lagen, gequält von mörderischen Untersuchungen und Verhören, gedrückt vom Schicksal der Freunde, die ihnen im Tod schon vorausgegangen waren und gedrückt von unsagbarem moralischen und materiellen Elend, in das Volk und Land gestürzt worden war. Dabei einsam und abgeschnitten von denen, die zu ihnen gehörten und denen ihre persönliche Liebe und Sorge galt.

Wenn wir uns heute hier versammeln, um ihrer in Dankbarkeit und Ehrfurcht zu gedenken, so gilt unser respektvoller Gruß vor allem ihren Frauen, ihren Kindern, ihren Familien und ihren Freunden, die heute mit uns zusammen sind. Sie haben nicht nur mitgelitten, sondern in vielen Fällen aktiv an der Seite der Männer, der Väter, der Freunde gestanden und schließlich über ihr so unendlich schweres Schicksal hinaus das Erbe der Toten weitergetragen. Wir alle haben ihnen zu danken.

25 Jahre sind eine lange Zeit. Es ist noch nicht lange her, da nannte man eine solche Zeitspanne ein Menschenalter. Neue Generationen sind herangewachsen, für die jene Zeit bereits Geschichte ist, die sie mit eigenem Erleben nicht mehr verbinden können. Die Wucht der Ereignisse, die auch nach 1945 über die Menschheit hereingebrochen ist, hat manche Perspektive verzerrt, Vorstellungen, ja Grundsätze beiseite geschoben, viele meinen sogar überholt. Wie war es in diesem nationalsozialistischen Staat? Was bedeutete Widerstand gegen ein totalitäres System, das gerade moralische Werte wie kaum ein anderes ruinierte für den Einzelnen, für sein Leben, für das Leben seiner Familie? Denn sie, die damals überstanden, waren ja keine Übermenschen, sondern Menschen wie du und ich, die auch ihr Leben liebten, es gestalten und erleben wollten. Einzelne von vielen Fragen, und immer weniger Menschen in diesem Land werden Antworten auf diese Fragen geben können, denn die Jahre und die Menschen vergehen. Damit wächst aber auch die Sorge, dass nachträglich manche falsche Markierung für jene Zeit gesetzt wird, dass Vergleiche mit Ereignissen unserer Zeit gesucht werden, die nicht passen und auch nicht stimmen.

Der Bundespräsident hat am 20. Juli des vergangenen Jahres in Plötzensee Bemerkenswertes dazu gesagt, aber wir alle wissen auch, jede Zeit und jede Generation hat ihre eigenen und neuen Probleme. Wir können unserer Zeit, die keinen Frieden seit diesen Jahren gefunden hat und in der es immer wieder erschreckende Gewalttätigkeit, Terror und Missachtung der Menschenwürde gibt, nicht entweichen. Aber lassen Sie uns heute und hier, in dieser kurzen Stunde des Gedenkens, unsere Gedanken losgelöst vom Alltag in Liebe und Dankbarkeit allein zu jenen Männern zurückgehen, deren Leben heute vor 25 Jahren hier endete. Und dabei soll nicht vom hohen Rang und der herausragenden Bedeutung, die gerade diese Männer im deutschen Widerstand gegen das Unheil des Nationalsozialismus hatten, die Rede sein, sondern nur von jedem einzelnen Menschen, der auf dem Platz, auf den er in jener heillosen Zeit gestellt war, das tat, was er für seine Pflicht hielt, für die wahren Dienste am Volk und Land und für die unvergänglichen Werte: Freiheit, Recht und Menschenwürde. Wir danken ihnen und ehren das Opfer von Pfarrer Dr. Dietrich Bonhoeffer, Admiral Wilhelm Canaris, Hauptmann Ludwig Gehre, Generalmajor Hans Oster, General Dr. Friedrich von Rabenau, Generalstabsrichter Dr. Karl Sack, Hauptmann Dr. Theodor Strünck. Ihre Namen stehen auf dieser Tafel, die uns an ein großes Leben und ein würdevolles Sterben in der Gewalt ihrer Henker mahnen soll. Und mit ihren Familien und Freunden zusammen ehren wir in dieser Stunde, in diesen Männern zugleich alle, denen in jenen 12 Jahren gewaltsam und gegen Recht und Gesetz ihr Leben genommen wurde und zu deren letzten Ruhestätte wir nicht gelangen können.