Ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Janusz Reiter

Ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft

Gedenkrede des ehemaligen polnischen Botschafters in Deutschland Janusz Reiter am 20. Juli 2012 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße, Berlin

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Dies ist der schwierigste Redeauftrag, den ich je angenommen habe. Und doch bin ich dankbar für ihn. Ich betrachte ihn als ein Zeichen, dass das polnisch-deutsche Verhältnis reif dafür ist, auch über dieses schwierige, komplexe Thema miteinander zu sprechen. Es ist eins von den Themen, von denen Völker oft glauben, dass sie so „intim“ seien, dass sie deshalb Fremden, Ausländern, unzugänglich seien. Und es kommt möglicherweise noch die Sorge hinzu, dass sich Andere mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte schwer tun könnten. Ja, ich will gar nicht leugnen, dass ich mich diesem Thema nur vorsichtig zögernd angenähert habe und dass ich meine Distanz vielleicht auch deshalb überwinden konnte, weil ich das Glück hatte, Menschen zu begegnen, für die der deutsche Widerstand ein Teil ihrer Familiengeschichte ist wie für meinen Freund Jan von Haeften. Und auch mein anderer Freund Fritz Stern, der hier vor zwei Jahren gesprochen hat, hat mir Mut gemacht, mich diesem Thema zu stellen.

Sie mögen sich fragen, warum ich mich – wie viele in Polen – mit diesem Thema schwer getan habe. Ich glaube, die einfachste und ehrlichste Antwort lautet: Weil sich viele, vielleicht die meisten Angehörigen des deutschen Widerstandes mit Polen schwer getan haben. Die Frage, die ich mir stellen musste, war, ob ich dieses zum wichtigsten Maßstab meiner Beurteilung der Männer und Frauen im Widerstand gegen die NS-Herrschaft erklären kann?

Nein, das wäre verkürzt und ungerecht. Und zwar nicht nur, weil es doch rühmliche Ausnahmen gab. Wenn ich erkenne, dass die Menschen des deutschen Widerstandes, ob Einzeltäter wie der Tischler Georg Elser oder die Gruppe Weiße Rose, der Kreisauer Kreis und die Rote Kapelle, die kirchliche Opposition und selbstverständlich die an dem Umsturzversuch des 20. Juli Beteiligten, Respekt verdienen, dann nicht etwa, weil sie schon immer auf der richtigen Seite gestanden haben, sondern weil sie den Mut hatten, dem Unrechtsregime zu widerstehen. Und ich denke hier auch an Menschen, die eigentlich nicht zum organisierten Widerstand gehörten, die aber wie Berthold Beitz einfach den Anstand hatten, tapfer zu handeln und Menschenleben retteten, er in seinem Falle viele polnische Juden und polnische Christen.

Wenn wir heute die Widerstandsangehörigen würdigen, dann also nicht, weil sie schon immer recht hatten, sondern weil sie sich entschlossen, gegen den übermächtigen Strom ihrer Zeit zu gehen und ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Und auch wenn wir heute wissen, dass sie und nicht die Mehrheit in die richtige Richtung gingen, wie viele wussten das damals? Und wie viele zogen die Konsequenz, dass wissen nicht genug war, dass man etwas tun musste? Wer diese Konsequenz zog, war zur Einsamkeit im eigenen Volk verurteilt. Das ist der Preis, den die meisten Gegner von Diktaturen zahlen müssen. Und diese Gegner des „Dritten Reichs“ hatten es mit einer besonders „erfolgreichen“, einer besonders populären Diktatur zu tun, die auch ihre Niederlagen dafür zu nutzen wusste, die Bevölkerung auf ihrer Seite zu halten.

Ihr Widerspruch blieb zunächst politisch folgenlos, er war aber niemals sinnlos. Auch in der polnischen Geschichte gibt es gescheiterte oder gar hoffnungslose Auflehnungen, die man doch im nationalen Gedächtnis pflegt. Denn: Effizienz ist eben nicht das höchste Kriterium der Beurteilung von menschlichem Handeln.

Wir wissen heute, dass die Mitverschworenen Zweifel hatten, ob ihre Tat Erfolg haben würde. Die meisten verstanden, dass sie politisch kaum noch etwas bewegen konnten. Dafür war es zu spät. Manche, wie Helmuth James Graf von Moltke und Dietrich Bonhoeffer, waren seit langem zutiefst überzeugt, dass erst eine Niederlage Deutschlands seine innere Befreiung und Erneuerung möglich machen würde.

Es war auch zu spät, um die Ehre Deutschlands zu retten. Die war damals bereits verloren. Und die heldenhafte Tat einer kleinen Gruppe von Menschen konnte Deutschland nicht von der Schande der nationalsozialistischen Verbrechen reinigen. Diese Chance bot sich erst später, Jahre nach dem Ende des Krieges, nach dem Zusammenbruch Deutschlands. Erst dann konnte der gescheiterte Widerstand seine tiefe Bedeutung offenbaren: als eine Quelle moralischer Legitimation des neuen, demokratischen Deutschland. Erst dann trug er dazu bei, dass Deutschland sich wandeln konnte, und ein besseres Land, eine bessere Gesellschaft wurde und auch seine Ehre wiedererlangte.

Vielen Angehörigen des militärischen Widerstands wurde vorgeworfen, dass ihnen die Tatkraft gefehlt habe, dass sie zögernd und entscheidungsunfähig gewesen seien. Preußische Offiziere waren halt in der Regel keine talentierten Verschwörer, auch wenn es Ausnahmen gab wie Graf von Stauffenberg und die anderen mutigen Männer. Umso eindrucksvoller war ihre Charakterstärke und ihr Gewissensernst.

Wie geht man mit solchen historischen Figuren um? Verdienen antisemitische Judenretter, und solche gab es im besetzten Europa, unseren Respekt? Ja, sie verdienen eine kritische Würdigung. Mündige Bürger brauchen keine Angst davor zu haben, sich mit wichtigen Figuren ihrer Geschichte kritisch auseinander zu setzen, anstatt diese nur aus der Distanz zu bewundern. In Zeiten der totalitären, diktatorischen Herrschaft entsprechen menschliche Schicksale nur selten dem Schönheitsideal gotischer Kathedralen. Jeder, der in einer Diktatur gelebt hat, weiß das. Für die Angehörigen des deutschen Widerstands galt das auch.

So ist es bekannt, dass viele von ihnen unfähig waren, sich von dem traditionellen Antisemitismus zu lösen. Die meisten Angehörigen des Widerstands standen auch in der preußisch-wilhelminischen Tradition der Verachtung für Polen und die anderen slawischen Völker. Mit Unverständnis und Befremden liest man heute eine oft zitierte Passage aus einem Brief von dem von mir bereits genannten Grafen von Stauffenberg, dem mutigen Grafen von Stauffenberg, an seine Frau aus Polen im September 1939, ich zitiere: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun.“

Über die gleiche Zeit des Polenfeldzuges schreibt Joachim Fest, ich zitiere: „Die Vorgänge in Polen gehören zur Geschichte des Widerstands, weil sie die Bedeutung einfacher moralischer Maßstäbe sichtbar machten und erkennen ließen, ob sie schwerer wogen als die traditionellen Begriffe, von denen die soldatische Welt eng umstellt war. Spätestens zu diesem Zeitpunkt jedenfalls verfiel das Recht auf Irrtum über den Charakter des Regimes ... Womöglich noch wichtiger war, dass der Widerspruch gegen das Regime seither nicht mehr allein mit Hitlers außenpolitischem Vabanquespiel und seiner Inkaufnahme übergroßer militärischer Risiken begründet werden konnte, sondern ein elementares moralisches Motiv besaß.“

Steht das, was Fest schreibt, nicht in einem krassen Widerspruch zu Stauffenbergs Brief? Ja, aber das ist genau einer der Widersprüche, auf die wir immer wieder stoßen, wenn wir uns mit dem deutschen Widerstand, insbesondere dem militärischen, auseinandersetzen. Die Ablehnung des Verbrechens schloss die Verachtung für die Opfer des Verbrechens nicht immer aus. Und mehr noch, die Stimme des Gewissens wurde manchmal schnell zum Schweigen gebracht. Die Faszination des militärischen Erfolgs erwies sich als stärker. So muss man sagen: Der September 1939 markiert den militärischen Triumph und den Beginn einer militärischen Niederlage der Wehrmacht.

Das Phänomen des deutschen Widerstands hat viele Menschen in dem kommunistisch regierten Polen schon früh fasziniert. Bereits 1965 schrieben die katholischen Bischöfe in ihrem Brief an die deutschen Amtsbrüder – eine der mutigsten Versöhnungsgesten in der neueren Geschichte Europas – folgende Worte, ich zitiere: „Wir wissen sehr wohl, wie ganz große Teile der deutschen Bevölkerung jahrelang unter übermenschlichem nationalsozialistischem Gewissensdruck standen, wir kennen die furchtbaren inneren Nöte, denen seinerzeit rechtschaffene und verantwortungsvolle deutsche Bischöfe ausgesetzt waren, um nur die Namen Kardinal von Faulhaber, von Galen, von Preysing zu erwähnen. Wir wissen um die Märtyrer der Weißen Rose, der Widerstandskämpfer des 20. Juli, wir wissen, dass viele Laien und Priester ihr Leben opferten /.../ Tausende von Deutschen teilten als Christen und Kommunisten das Los unserer polnischen Bürger.“

Fünf Jahre später erschien das Buch von Anna Morawska „Christ im Dritten Reich“ über Dietrich Bonhoeffer, in dem die Autorin nicht nur den großen Theologen porträtierte, sondern das Ringen und die Dilemmata der deutschen Hitlergegner analysierte. Das Buch wurde zu einer Schlüssellektüre für die kritischen katholischen Intellektuellen in dem damaligen Polen. Tadeusz Mazowiecki, der 1989 der erste Ministerpräsident des demokratischen Polen wurde, schrieb damals eine ausführliche, enthusiastische Rezension.

In diesem Geiste setzte sich auch Stefan Niesiolowski mit dem deutschen Widerstand auseinander. Er schrieb bereits in den 1970er Jahren seine ersten Essays über den deutschen Widerstand. Ein Intellektueller, aber auch einer der mutigsten Oppositionellen, heute ein Mitglied des polnischen Parlaments und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Er ist heute hier mit uns und ich bin sehr dankbar dafür.

Was die deutsche Hitler-Opposition für diese und andere polnische Intellektuelle interessant machte, war nicht ihre politische Rolle im engeren Sinne. Der Vergleich mit dem polnischen Untergrundstaat hatte wenig Sinn, denn dieser war gut organisiert und in der Bevölkerung tief verankert. Im Mittelpunkt des Interesses der polnischen Intellektuellen stand immer der Einzelne in der totalitären Diktatur mit seinen Gewissensnöten, mit seiner ethischen Verantwortung. Und so einmalig die Situation im „Dritten Reich“ war, den oppositionellen Intellektuellen in dem damaligen Polen waren die moralischen Probleme vertraut. Und da viele von ihnen engagierte Christen waren, galt ihr besonderes Interesse den Christen in Deutschland, unter denen Bonhoeffer die faszinierendste Figur war.

Das entscheidend Neue aber an den Aufsätzen von Morawska, Mazowiecki und Niesiolowski war nicht die Darstellung historischer Ereignisse, sondern das Deutungsmuster. „Die Frage“ – schrieb Mazowiecki 1971 – „warum das Christentum im Deutschland des Dritten Reiches versagte, könnte man mit einer scheinbar einfachen und teilweise wahren, wenn auch unvollständigen Erklärung beantworten: Dieses Christentum teilte das Schicksal mit der Realität, in der es wurzelte /.../ Es geht hier aber nicht darum, warum es politisch, sondern auch, warum es moralisch versagte /.../, warum das Christentum und seine Kirchen kein ausreichendes moralisches Gegengewicht darstellten“. Und er fährt fort: „Es ist dies eine Gewissensfrage für die Christen in Deutschland und für die Christen überhaupt“. Für die Christen in Deutschland und für die Christen überhaupt. Mazowiecki so wie Morawska lehnen damit das traditionelle und damals offizielle Deutungsmuster ab, der Nationalsozialismus mit seinen Verbrechen sei ein „typisches Produkt der deutschen Geschichte“, das woanders unmöglich sei und deshalb für die anderen keine Konsequenzen habe.

Dabei wussten sie sehr wohl, die polnischen Intellektuellen, dass Polen in dem Denken der deutschen Opposition im „Dritten Reich“ keinen wichtigen Platz einnahm. Nur wenige, wie der Sozialdemokrat Theodor Haubach oder der Zentrumspolitiker Paulus van Husen, erkannten, dass die Verständigung mit Polen ein notwendiger Teil einer Neuorientierung Deutschlands nach dem Ende des Krieges sein würde. Es kam kaum zu Begegnungen der deutschen Hitlergegner mit Vertretern des polnischen Widerstands. Die letzteren waren auch nicht gewillt, den Kontakt mit dem deutschen Widerstand zu suchen. Denn solche Versuche bargen das Risiko in sich, das Vertrauen der westlichen Alliierten aufs Spiel zu setzen und dadurch noch stärker unter Stalins Druck zu geraten.

Die Nachricht von dem Attentat in der Wolfsschanze hat trotzdem in Warschau großes Aufsehen erregt. Die Führung des polnischen Untergrundstaates war gerade dabei, die Entscheidung über einen militärischen Aufstand vorzubereiten. Das Attentat, auch wenn es misslang, wurde als ein Zeichen dafür interpretiert, dass Deutschland geschwächt war. Das steigerte, wenn es stimmte, die Erfolgsaussichten des Aufstands. Manche sahen schon Parallelen zum Ersten Weltkrieg, der für Polen damals mit der Entwaffnung der in Warschau stationierten deutschen Truppen im Herbst 1918 zu Ende ging. Doch die Parallele war falsch. Am 1. August 1944 brach der Warschauer Aufstand aus. Hitler-Deutschland hatte trotz der Nervosität nach dem Umsturzversuch vom 20. Juli genug Kraft, den Aufstand niederzuschlagen, etwa 150.000 Menschen umzubringen und die Stadt in eine gespenstische Ruine zu verwandeln.

łodzimierz Borodziej schrieb vor einigen Jahren einen Aufsatz, in dem er als eine Art Gedankenexperiment versuchte nachzuzeichnen, wie die Geschichte weiter verlaufen wäre, wenn das Attentat gelungen wäre. In seiner fiktiven Geschichte Europas nach dem 20. Juli setzt sich der Warschauer Aufstand durch, aber Polen wird ein geteiltes Land. In seinem westlichen Teil, dessen Grenze die Weichsel ist, entsteht ein demokratischer Staat, der zusammen mit Deutschland an der europäischen Integration teilnimmt. Sein östlicher Teil gerät unter sowjetischen Einfluss und wird von Kommunisten regiert. Erst in den späten 1980er Jahren kommt es dort und in anderen sowjetisch kontrollierten osteuropäischen Ländern zu einer friedlichen Revolution, die auch einer Wiedervereinigung Polens den Weg ebnet.

Wir können nicht wissen, welche Richtung die Geschichte genommen hätte, wenn das Attentat am 20. Juli 1944 gelungen wäre. Der Wert solcher Gedankenexperimente liegt darin, sich bewusst zu machen, dass es keinen historischen Determinismus gibt. Wenn man bedenkt, wo Deutsche und Polen in ihrem Verhältnis vor nicht so vielen Jahrzehnten standen und wo wir heute sind, dann sehen wir einen Epochenwechsel. Im November 1989 fand dieser Epochenwechsel einen symbolischen Höhepunkt in Kreisau. Die Versöhnungsmesse mit Ministerpräsident Mazowiecki und Bundeskanzler Kohl fand nicht zufällig in Kreisau, Krzyżowa, statt. Das Erbe der Kreisauer wurde als eine Quelle der Inspiration für das neue polnisch-deutsche Verhältnis anerkannt. Kreisau ist übrigens nicht der einzige Ort des deutschen Widerstands, der heute in Polen liegt. Auch die Wolfsschanze gehört dazu und nicht zuletzt Steinort, das ehemalige Schloss der Grafen von Lehndorff, über die Antje Vollmer in ihrem Buch „das Doppelleben“ so einfühlsam schreibt.

Wie gehen wir mit diesem Erbe um? Diese Frage gilt nicht nur den Orten des Widerstands. Sie ist im Grunde genommen eine Frage nach der Stellung der Geschichte in dem polnisch-deutschen Verhältnis. Wir empfinden oft verständlicherweise Freude darüber, dass wir uns von der erdrückenden Last der Geschichte lösen konnten. Doch Geschichtslosigkeit ist genauso gefährlich wie Geschichtsbesessenheit. Manches deutet darauf hin, dass Geschichtsbilder in unserem immer mehr verunsicherten Europa an Bedeutung gewinnen, weil sie Menschen Orientierung bieten. Nur, wie erfüllen sie diese Funktion, wenn es immer weniger unter uns gibt, die die prägenden Kapitel der Geschichte als erlebte Geschichte kennen? Macht der zeitliche Abstand Geschichtsbilder objektiver oder manipulierbarer?

Der verstorbene amerikanische Historiker Tony Judt macht in seinem letzten Buch auf das Problem konkurrierender historischer Wahrheiten in der deutschen öffentlichen Diskussion aufmerksam, und fragt nach den Konsequenzen einer „Normalisierung“ der Geschichte in Deutschland. Und Timothy Snyder, dessen Buch „Bloodlands“ eine der wichtigsten Publikationen zur europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert ist, fragt in dem Gespräch mit Judt, welche Stellung die Geschichte Osteuropas im europäischen Geschichtsbild haben wird. Und er warnt, ich zitiere: „Das Fehlen der osteuropäischen Geschichte kann auch außerhalb Osteuropas ein Problem werden. Ohne eine klare Darstellung dessen, was dort geschah, können die Deutschen in die nationale Geschichte zurückrutschen oder in die Geschichte einer nationalen Opferrolle.“

Die osteuropäische Geschichte ist im gewissen Sinne ein weißer Fleck im europäischen Geschichtsbewusstsein. Das gilt, trotz umfangreicher historischer Literatur zu dem Thema, auch für Deutschland. Wenn wir ein vertrauensvolles, verlässliches Verhältnis zwischen Deutschland und Polen wollen, müssen wir unsere Geschichte gegenseitig verstehen und respektieren.

Und ich bin hier, um zu bezeugen, dass ich trotz aller kritischen Distanz zu einem Teil des Gedankenguts des deutschen Widerstandes, diesem für das Selbstverständnis Deutschlands so wichtigen Kapitel der Geschichte Respekt erweise. Ich bin auch überzeugt, dass Deutschland die Kenntnis und das Verständnis der Erfahrung Mittel- und Osteuropas insbesondere unter Hitler und Stalin braucht. Nicht zuletzt, weil diese Erfahrung aufs engste verknüpft ist mit der deutschen Geschichte.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen sowie den anderen mittel- und osteuropäischen Ländern ist heute frei von der früheren Ambivalenz. Deutschland ist über einen langen Weg im Westen angekommen, um Heinrich August Winkler zu zitieren. Deutschland hat die Tradition der Sonderwege abgelegt. Auch Polen ist nach so vielen fehlgeschlagenen Versuchen im Westen angekommen. Beide Länder akzeptieren ihren Platz in Europa, beide haben keine rivalisierenden Ambitionen. Im Sommer 1944, als das Attentat in der Wolfsschanze und hier misslang und der Warschauer Aufstand niedergeschlagen wurde, haben auch die Tragödien diese beiden Völker nicht verbinden können.

Ja, solche nationalen Traumata sind immer etwas Intimes. Und gleichzeitig sind sie in ihrer Konsequenz in der Regel auch Teil des Schicksals der Anderen, der Nachbarn. Deshalb bin ich so dankbar dafür, dass Sie mich eingeladen haben, an diesem Tag zusammen mit Ihnen zu sein. Ich verstehe und teile Ihre Trauer und hoffe, dass auch Sie meine, unsere Trauer teilen, insbesondere um die Opfer des Warschauer Aufstandes. Wenn das heute möglich ist, dann sehe ich darin ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft.






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