"Er ist das Licht der ganzen Welt."

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Karl Meyer

„Er ist das Licht der ganzen Welt.“

Einführung in den Gottesdienst von Pater Dr. Karl Meyer OP am 20. Juli 2004 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Sehr verehrte, liebe Schwestern und Brüder in Jesus Christus!

Pfarrer Carsten Bolz und ich als die beiden Leiter des Gottesdienstes grüßen Sie am 60. Jahrestag des 20. Juli 1944 ganz herzlich. Dieser Gruß gilt besonders Ihnen, die diesem Ort durch schwere Erfahrung für Ihr ganzes Leben verbunden sind.

Der, der Sie an diesem Morgen eigentlich grüßt und Sie von Herz zu Herz anspricht, Sie willkommen heißt, ist unser Herr Jesus Christus selbst. Er ist unserer Gemeinde mehr als jeder andere präsent. Er hat uns hierher geführt.

Wir gedenken Seines Zeugnisses für die Liebe Gottes zur Welt, das er unverwandt bis zum Kreuz abgelegt hat. Gott hat sein Zeugnis durch die Auferstehung ratifiziert. Deshalb ist Jesus Grund unserer Hoffnung für die Welt. Wir gedenken heute auch vieler Frauen und Männer, die aus dem heiligen Geist in dieses Zeugnis eingetreten sind. Sie haben aus Verantwortung vor Gott gehandelt und gelitten. Nicht jeder hat die Verbindung zu Jesus Christus erkennen können, aber der Geist weht, wo er will.

Das Wort des Evangeliums, das die katholische Liturgie für diesen Tag vorsieht, spricht davon, dass der Anspruch Gottes selbst den intimen familiären Zusammenhängen vorgeordnet sind. Das ist eine Realität, die viele Opfer des Terrors in tiefem Schmerz und doch frei bezeugt haben.

Propst Lütcke von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg hat heute den Predigtdienst übernommen. Er wird die Losung des heutigen Tages aus dem Johannes-Evangelium für unser Leben auslegen.

Viele große Probleme liegen vor uns. Welches Antlitz wird die durch die Globalisierung zusammenwachsende Welt haben? Dass auf der Erde eine herzlich vereinte Menschheit lebe, ist Gottes Interesse. "Alle sollen eins sein wie wir eins sind", betet Jesus zu seinem Vater und gibt sein Leben dafür. Nach Gottes Plan soll die Kirche "Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung der Menschen mit Gott und untereinander" sein. Dennoch sind wir seit Jahrhunderten in verschiedene christliche Kirchen mit nicht nur oberflächlichen Unterschieden gespalten. Das Vermächtnis Jesu – sein Abendmahl, die Eucharistie – begehen wir auch heute in getrennten Feiern. Wir sind nicht auf der Höhe Christi.

Auf der Höhe Jesu Christi sind die Zeugen, deren wir gedenken. „Die Kirche des ersten Jahrtausends ist aus dem Blut der Märtyrer entstanden: Sangius martyrum – semen christianorum. .... Am Ende des zweiten Jahrtausends ist die Kirche erneut zur Märtyrerkirche geworden.. ... Das Zeugnis für Christus bis hin zum Blutvergießen ist zum gemeinsamen Erbe von Katholiken, Orthodoxen, Anglikanern und Protestanten geworden. ... Das ist ein Zeugnis, das nicht vergessen werden darf. .... Alle christlichen Gemeinschaften .... besitzen Märtyrer des christlichen Glaubens. Trotz des Dramas der Spaltung haben diese Brüder und Schwestern [aus unseren Kirchen] in sich selber eine so radikale und absolute Hingabe an Christus und seinen Vater bewahrt, daß sie so weit zu gehen vermochten, ihr Blut zu vergießen“, schreibt Johannes Paul II. „Aber besagt vielleicht nicht genau diese Hingabe Einbezogen werden in das , was ich als ‚Dialog der Bekehrung’ bezeichnet habe?“ Und an anderer Stelle schreibt er: „..... die Märtyrer unseres Jahrhunderts, die viel zahlreicher sind, als man glauben würde, [zeigen], wie auf einer tiefen Ebene Gott unter den Getauften die Gemeinschaft unter dem höchsten Anspruch des mit dem Opfer des Lebens bezeugten Glaubens aufrechterhält. .... .... Ich glaube, daß die unvollkommene, aber real gegebene Gemeinschaft (in den sichtbaren Kirchen) .... darin schon vollkommen ist, was wir als den Gipfel des Gnadenlebens betrachten, den Märtyrertod, die intensivste Gemeinschaft, die es mit Christus geben kann, der sein Blut vergießt und durch dieses Opfer, jene, die einst in der Ferne waren, in die Nähe kommen läßt. .... In der Ausstrahlung, die vom Erbe der Heiligen ausgeht, [die allen Gemeinschaften angehören] , erscheint der ‚Dialog der Bekehrung’ zur vollen und sichtbaren Einheit nun unter einem Licht der Hoffnung. Diese Allgegenwart des Heiligen ... ist Zeichen und Beweis für den Sieg Gottes über die Kräfte des Bösen, die die Menschheit spalten .... Dies sollte auch einen ökumenisch beredten Zug haben. Der Ökumenismus der Heiligen, der Märtyrer, ist vielleicht am überzeugendsten. Die communio sanctorum, die Gemeinschaft der Heiligen, spricht mit lauterer Stimme als die Urheber der Spaltungen. ... Die größte Verehrung, die alle Kirchen an der Schwelle des dritten Jahrtausends Christus darbringen werden, wird der Beweis der allmächtigen Gegenwart des Erlösers durch die Früchte von Glaube, Hoffnung und Liebe in Männern und Frauen vieler Sprachen und Rassen sein, die Christus in den verschiedenen Formen der christlichen Berufung nachgefolgt sind.“

Erst kürzlich hat Johannes Paul II. gesagt: „Der Glaube, die Verantwortung und der Mut eines jeden von uns erweisen sich als notwendig, damit das Geschenk Christi an die Welt sich in seinem ganzen Reichtum offenbaren kann. ... Heute ist eine Verantwortlichkeit nötig, die sich nicht nur darauf beschränkt, zu schützen und zu bewahren, was ihr anvertraut ist, sondern die den Mut hat, mit den Talenten zu wirtschaften, um sie zu vervielfältigen.“

Der Glauben eines jeden Nachkommen Abrahams, der seine Heimat verließ, verlangt deswegen heute von uns „die ständige Überwindung dessen, was mir lieb, eigen und wohlbekannt ist, um sich dem unbekannten Raum zu öffnen, indem man sich auf die gemeinsame Wahrheit und die gemeinsame Zukunft unser aller in Gott stützt. Alle sind wir aufgefordert, an diesem Prozeß der Überwindung des bekannten nächstliegenden Kreises teilzunehmen. .... Jesus Christus – das will heißen: Treue zur Berufung durch den Vater, offenes Herz gegenüber jedem Menschen, dem man begegnet, Weg, auf dem man vielleicht nicht einmal einen Ort hat, wo man sein Haupt hinlegen kann, und schließlich das Kreuz, durch das man zum Sieg der Auferstehung gelangt. ... Der Glaube an ihn ist also das unaufhörliche Sich-Öffnen des Menschen für das unaufhörliche Eintreten Gottes in die Welt des Menschen, ist das Sich-Bewegen des Menschen auf Gott zu, auf einen Gott, der seinerseits die Menschen zueinander führt. So geschieht es, daß alles, was dem Einzelnen gehört, Eigentum aller wird, und alles, was dem anderen gehört, zugleich auch mein wird.“

Plötzensee erhebt einen hohen Anspruch an uns und gibt uns einen Impuls zur Einheit. Beten und hören und singen wir also einmütig zusammen und begleiten wir einander in unseren Feiern in Ehrfurcht und Demut.

Jedes Volk hat in dem Einigungsprozess der Menschheit als große Familie Gottes ein besonderes Charisma und einen besonderen Auftrag. So gibt es in der Tat „das heilige Deutschland“, dem Graf Stauffenberg sein Leben widmete.

Sie, verehrter Herr Bundespräsident, sind nicht nur Repräsentant des Volkes, sondern erster Hüter dieser tiefliegenden Gaben unseres Volkes. Seien Sie an dieser denkwürdigen Stätte mit aller Hochachtung und Herzlichkeit gegrüßt. Plötzensee ist mit anderen Orten des Leidens sicher ein vornehmer Ort, wo wir nicht nur mit dem Genius unseres Volkes, sondern auch mit seiner Leidenschaft für das Gute in Berührung kommen können.

Ihnen, Herr Bundeskanzler, ist das häufig undankbare Tagesgeschäft auferlegt, im Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Kräfte konkrete Lösungen für unser Gemeinwesen zu finden. Seien auch Sie zusammen mit manchen in der Politik Verantwortlichen herzlich willkommen geheißen.

Dass Sie an diesem Tag, der Ihnen selbst manches an Wort und Stellungnahme abverlangt, zuerst Hörer des Wortes sein wollen, dass Sie vor jeder eigenen Handlung und Tat mitfeiern wollen, was Gott uns als Vorgabe geschenkt hat, ist ein gutes Zeichen. Sein Segen liegt darüber.







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