Es sind der Mut und die Opferbereitschaft, die uns bis heute beeindrucken.

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Harald Wolf

Es sind der Mut und die Opferbereitschaft, die uns bis heute beeindrucken.

Ansprache des Bürgermeisters von Berlin Harald Wolf am 19. Juli 2007 im Berliner Rathaus

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie alle sehr herzlich hier im Roten Rathaus. Auch im Namen des Regierenden Bürgermeisters, Klaus Wowereit, möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie unserer Einladung zu diesem Empfang auch in diesem Jahr wieder gefolgt sind. Dem Senat von Berlin liegt es sehr am Herzen, mit Ihnen gemeinsam am Vorabend des 20. Juli der mutigen Männer und Frauen des 20. Juli 1944 zu gedenken. Diese wichtige Tradition wollen wir auch weiterhin pflegen.

Vor allem aber möchte ich mich bei Ihnen bedanken für Ihr Engagement. Viele von Ihnen treten seit Jahrzehnten mit großem Elan dafür ein, dass jener 20. Juli vor 63 Jahren nicht in Vergessenheit gerät. Sie tun sehr viel dafür, damit sich auch die junge Generation mit dem auseinandersetzt, was damals geschehen ist. Das ist auch dem Berliner Senat sehr wichtig. Denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann daraus Lehren ziehen für die Zukunft. Ich danke Ihnen nochmals sehr herzlich für Ihr wichtiges Engagement.

Glücklicherweise hat das Gedenken an den 20. Juli in den vergangenen Jahren endlich einen größeren Stellenwert erhalten. Es ist heute gesamtdeutscher Konsens, dass der 20. Juli 1944 zu den großen Daten in der deutschen Geschichte zählt. Leider hat es lange Jahrzehnte gedauert, bis die Deutschen den Widerständlern um Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit großer Mehrheit Respekt gezollt haben. Der Staatsstreich einer Minderheit warf wohl ein zu schlechtes Licht auf den Gehorsam beziehungsweise das Schweigen der Mehrheit.

Inzwischen hat sich die Sichtweise glücklicherweise geändert. Anlässlich des 60. Jahrestages des 20. Juli hatte „Der Spiegel“ im Jahr 2004 eine Umfrage in Auftrag gegeben. Diese Umfrage zeigte: Egal ob Ost oder West, Jung oder Alt – fast drei Viertel der Deutschen achten oder bewundern die Attentäter heute. Darüber bin ich sehr froh. Denn die mutigen Männer und Frauen des 20. Juli verdienen unsere Anerkennung und unseren Respekt.

Unvorstellbares Leid wäre zu verhindern gewesen, hätten die Verschwörer um Stauffenberg Erfolg gehabt. So ist es kaum vorstellbar, dass die Deutschen ohne Hitler bis zum bitteren Ende gekämpft hätten. Amerikaner und Briten waren bereits in der Normandie gelandet, Stalins Divisionen standen nur hundert Kilometer vor der Grenze Ostpreußens. Mit Hitlers Tod wäre der Krieg vermutlich schnell an allen Fronten zu Ende gewesen.

Aber das Attentat scheiterte. Danach kamen noch mehr als vier Millionen Deutsche ums Leben. Es starben unzählige Rotarmisten, GIs und Briten; hunderttausende KZ-Häftlinge wurden noch nach dem 20. Juli 1944 in Auschwitz oder anderswo ermordet.

Und doch war der Widerstand nicht vergebens. Das hofften schon damals auch die Verschwörer selbst - trotz aller Zweifel am Erfolg ihres Vorhabens. So ließ Henning von Tresckow im Sommer 1944 Stauffenberg folgende Worte übermitteln, ich zitiere:

„Es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat.“

Es sind dieser Mut und diese Opferbereitschaft, die uns bis heute beeindrucken. Und Henning von Tresckow behielt Recht: Der 20. Juli 1944 rückte den deutschen Widerstand ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Vielleicht hat es dieser Staatsstreich dem Ausland später auch erleichtert, nach 1945 überhaupt wieder zu einer Versöhnung mit Deutschland zu finden.

Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass die Frauen und Männer des 20. Juli nicht als einzige Widerstand gegen Hitler leisteten. Widerstand leisteten auch die Studenten der „Weiße Rose“ ebenso wie der „Kreisauer Kreis“ oder der einsame Attentäter Georg Elser. Widerstand leisteten Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftsvertreter, aber auch Menschen, die Juden versteckten oder gegen den Abtransport ihrer Nachbarn protestierten.

Ihr Beispiel widerlegt die These, dass sich alle Menschen unter den Bedingungen von Terror und Unterdrückung gleich verhalten. Selbst im Schatten der nationalsozialistischen Diktatur gab es Menschen, die ihrem Gewissen folgten, die an ihren moralischen Maßstäben festhielten, obwohl das für sie selbst lebensbedrohlich war. Es war zwar nur eine kleine Minderheit, die in unterschiedlicher Form und aus unterschiedlichen Motiven Widerstand leistete. Aber es sind diese Wenigen, die uns bis heute Orientierung bieten.

Die Erinnerung an den 20. Juli 1944 zeigt uns, dass es nichts Wertvolleres gibt als Freiheit, Demokratie und die Achtung des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde. Und wie wichtig es ist, für diese Werte einzustehen und sie gegen Angriffe wirkungsvoll zu verteidigen. In diesem Sinne können uns die Zivilcourage, das Verantwortungsbewusstsein und die Menschlichkeit der Widerständler um Stauffenberg bis heute Vorbild sein. Das ist das Vermächtnis der Frauen und Männer des 20. Juli. Dieses Erbe wollen wir bewahren und an die nachfolgenden Generationen weitergeben.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen interessante Begegnungen und Gespräche und heiße Sie nochmals herzlich willkommen im Roten Rathaus.







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