Eugen Bolz

Festvortrag
der Gedenkstätte Deutscher Widerstand am 19. Juli 2020 um 19:00 Uhr in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand anlässlich des 76. Jahrestages des 20. Juli 1944
PER LIVESTREAM (ohne Publikum)


 – Prof. Dr. Peter Steinbach –


Titel: „…gegen den Mißbrauch der Staatsgewalt“. Eugen Bolz und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus


Meine sehr geehrten Damen und Herren,


Ich freue mich, heute in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand über Eugen Bolz sprechen zu können. Das hat nichts mit meiner früheren baden-württembergischen Wahlheimat zu tun. Denn immer war es mir wichtig, auf die Vielfältigkeit des Widerstands hinzuweisen. Das bedeutet, auch Regimegegner in den Blick zu nehmen, die weniger bekannt sind.


Ihre Würdigung bleibt ein Anliegen unserer Gedenkstätte. Sie fühlt sich weiterhin dem Auftrag des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker verpflichtet, die ganze Breite, Vielfalt und Widersprüchlichkeit des Widerstands in zeitlicher Entwicklung und gradueller Steigerung darzustellen.


Eugen Bolz, 1881 in Rottenburg am Neckar geboren, wurde 1919 württembergischer Justizminister, vier Jahre später Innenminister, 1928 schließlich Staatspräsident. Heute würde er Ministerpräsident genannt werden. Am 23. Januar 1945 wurde er in der Hinrichtungsstätte Plötzensee enthauptet und starb am selben Tag wie der Kreisauer Helmuth James Graf von Moltke.


Bolz gehörte zu den älteren Regimegegnern; er war bereits 40 Jahre alt, als der Erste Weltkrieg endete. Ob der Württemberger Eugen Bolz den Schlesier Moltke, den mehr als ein Vierteljahrhundert jüngeren, gut gekannt hat? Wir wissen es nicht, ich bezweifle es.


Beider Hinrichtungstag spiegelt nicht nur Gleichzeitigkeit, sondern vor allem Verbundenheit im Tod als Folge des Versuchs, die Herrschaft Hitlers zu brechen.


Nicht erst der gemeinsame Todestag stellt also einen Zusammenhang her, sondern der Versuch, gemeinsam Deutschland von der nationalsozialistischen Herrschaft zu befreien.


Moltke und Bolz hinterließen Angehörige, die ihnen alles bedeutet hatten. Sie setzten sich ohne Rücksicht auf die eigene Gefährdung mit dem Regime und Freisler auseinander, bewiesen Konsequenz und Mut, irgendwann dann auch Stärke in ihrer Ergebenheit in das ihnen von den Nationalsozialisten zugedachte Ende.


Das war keine Gemeinsamkeit in Passivität. Widerständige fühlten sich nicht als Opfer, sondern immer als Täter, Täter des Widerstands, der aktiven Gegnerschaft zur NS-Herrschaft, des Protests gegen den Unrechtsstaat.


Warum ist Bolz weitgehend unbekannt? Er war ein sehr gläubiger, praktizierender Katholik, zutiefst christlich und bürgerlich. Er hatte sich in Württemberg gegen die KPD und „Hitlerbewegung“ gewandt und sogar die Zusammenarbeit mit der SPD Kurt Schumachers mit Rücksicht auf die eigene Parteibasis der Zentrumspartei nicht gewollt. Das war später nicht leicht verständlich. Denn verhaftet in eine vergangene Zeit zu sein, entfremdet zunehmend von der Gegenwart.


Bolz bekämpfte die Nationalsozialisten und blieb doch tief geprägt durch seine Zeit. Der Mensch sei seine Zeit ähnlicher als seinem Vater, lesen wir in den „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ von Jacob Burckhardt. Manchmal aber löst sich der Mensch von diesen Vorprägungen, gewinnt Distanz, kultiviert Nonkonformität, sucht Widerspruch und beweist Widerstandskraft, die sich im Gegensatz zur Macht beweisen muss.


In der kritischen Zeit der Präsidialkabinette zu Beginn der 1930 Jahre war Eugen Bolz als Reichstagsabgeordneter der Zentrumspartei einer der wichtigsten Unterstützer von Reichskanzler Heinrich Brüning. Immer entschlossener wandte sich Bolz gegen den Nationalsozialismus und bekämpfte ihn, weil er Hitler und dessen Bewegung klarsichtiger als andere aus Bürgertum und Militär durchschaut hatte.


In der ständigen Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist Bolz mit einem Zitat präsent in dem Raum, der den Weg zum Umsturzversuch vom 20. Juli behandelt. Dort ist ein zentraler Satz aus seiner Denkschrift aus dem Frühjahr 1934 zu lesen:


„Bei offensichtlichen und dauerndem Mißbrauch der Staatsgewalt besteht ein Notwehrrecht des Volkes“.


Bolz denkt also früh über das „Gebot der Gehorsamsverweigerung“ nach. Er ist offensichtlich viel rascher viel weiter als die meisten seiner späteren Mitverschwörer, die sich später aus der Kooperation mit dem Regime befreien und eine Haltung des Widerspruchs finden müssen.


Die soeben zitierte Proklamation eines „Notwehrrechts“ nimmt eine Formulierung vorweg, die seit 1968 Bestandteil unseres Grundgesetzes ist. Im Art. 20 Abs.4 GG heißt es: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.


Eugen Bolz gehört mit seiner Frau Maria, wie der Karlsruher Rechtsanwalt Reinhold Frank, der Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll, der Königsbronner Johann Georg Elser oder die Freiburgerin Gertrud Luckner zu den südwestdeutschen Regimegegnern. Regionale Herkunft aber erklärt nichts, umso weniger, als wir wenig über den Weg wissen, der Eugen Bolz in den Umkreis Stauffenbergs und Goerdelers führte.


Selbst der Bolz sehr zugewandte Biograph Max Miller betonte in den frühen 50er Jahren, er habe „keine Kenntnis“ von der „Widerstandsarbeit vor dem Krieg“. Allerdings spiegelt dieser Satz das Widerstandsverständnis der frühen Bundesrepublik. Selbstbehauptung galt lange eben nicht als Widerstand. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH anerkannte man zunächst nur die aktive Beteiligung am Versuch als Widerstand, wenn „aus dem Zentrum der Macht heraus“ das Gesamtsystem gestürzt werden sollte.


Wie breit und vielfältig der Widerstand insgesamt war, wurde erst wahrgenommen, als er – wie Fritz Bauer formulierte - als „Beschwerde des Menschen“ gegen Unrecht, Willkür, Verbrechen akzeptiert und respektiert wurde.


Eugen Bolz hat die Gefährdung des Individuums, die Herausforderung des Glaubens und die Folgen der durch Willkür entgrenzte Macht früh geahnt, erkannt, erfahren und analysiert.


Im Frühjahr 1934 zog er eine Summe seiner Gedanken und verfasste eine der bedeutenden Selbstverständigungsschriften des Widerstands. Sie konnte natürlich nicht publiziert werden. Mit ihr schuf sich Bolz jedoch eine feste moralische Grundlage für seine Beurteilung der Politik, der eigenen Erfahrungen und der Zeitströmungen. Mit diesen Maßstäben konnte er politische Verhältnisse einordnen und bewerten und die dafür Verantwortlichen benennen, sich zu seiner Verantwortung für die Zukunft bekennen. Dissidenz und Nonkonformität als Voraussetzung der Widerständigkeit, hier sind sie zu greifen.


„Katholische Aktion und Politik“, dieses 1934 entstandene Manifest, gehört zu den Grundschriften und Bekenntnissen des deutschen Widerstands und weist in seiner Grundsätzlichkeit weit über seine Entstehungszeit hinaus. Schon deshalb lohnt es sich, das Leben und die Haltung des langjährigen württembergischen Innenministers und Staatspräsidenten, des Reichstags- und Landtagsabgeordneten Eugen Bolz zu vergegenwärtigen. Dann können wir begreifen, an welche Traditionen er anknüpfte, was ihn mit der Kraft ausstattete, hinzusehen, zu erkennen, sich zu empören, zu handeln und nach dem Scheitern seinen Weg konsequent zu gehen.


Bolz hatte zwei Leitlinien.


Die eine gründete sich fest, geradezu unerschütterlich in seinem Glauben und macht deutlich, dass er zu den Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts gehört.


Die zweite bezog sich auf die Weimarer Reichsverfassung und ihre Werte. Er war niemals nur ein Vernunft-, sondern immer auch ein Herzensrepublikaner. Er verkörperte so über das Ende der Republik hinaus ein Verfassungsdenken, an das mit dem Grundgesetz angeknüpft werden konnte.


Da die Weimarer Verfassungswerte seine politisch-moralische Richtschnur blieben, durchschaute Eugen Bolz politische Zeittendenzen. Da er gläubiger Katholik war, konnte er sich dem weltanschaulichen Führungsanspruch der Nationalsozialisten widersetzen.


Damit knüpfte er an zwei Traditionen an, die ein Milieu der Resistenz und Nonkonformität begründeten, das die Nationalsozialisten nicht zersetzen konnten.


Bereits beim Stiftungsfest seiner studentischen Verbindung verlangte er „mehr Wahrheit und weniger Schein, mehr Qualität und weniger Anstrich.“ Den Umbruch der Werte begriff er als Herausforderung, verlangte, mit denen zu „wetteifern“, die sich kritisch von der Verfassung abwandten. Er ermutigte dazu, „einer lebensschwachen, wahrheitsscheuen Zeit ein geschlossenes, einheitliches Weltbild und Lebensziel entgegen zu setzen.“


Bolz war kein Fatalist.


Die Erfolge der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1932 waren ein Schock. Bolz sah sich umgegeben von „eingefrorenen Köpfen“ und wollte sich nun „geistig vorbereiten für alles, was kommt“. Sein Motto wurde: “Innerlich frei werden und in steter Gewissensforschung ans Werk!“ Die Bevölkerung schien „berauscht“ und „fiebernd“. Er ahnte, „nichts (sei) unsinniger, als berauschten Köpfen die Gewalt des Staates zu überliefern.“ Er war sich vor anderen sicher, dass die Nationalsozialisten nur an die Macht kommen wollten, „um die Diktatur vorzubereiten und zu übernehmen.


Seine damaligen Gegner sammelten sich u.a. im Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbund. Dieser erklärte, der „Zentrumskatholizismus“ und damit Bolz strebten nach der „Alleinherrschaft der Katholischen Kirche“. Nicht Hitler, sondern der christliche Politiker des Zentrums Bolz wurde von den Deutschen Christen als „Diktator“ diffamiert.


Im Frühjahr 1932 wurden die württembergischen Nationalsozialisten stärkste Landtagsfraktion. Aber sie konnten keine Regierung zustande bringen, weil Bolz die Bildung einer nationalsozialistisch geführten Regierung verhinderte und einfach wegen des parlamentarischen Patts geschäftsführend im Amt blieb. Auch durch massive Proteste ließ er sich nicht bewegen, zu weichen. Er verlangte von Papen Klarheit wurde deshalb als „süddeutscher Hochverräter“ beschimpft.


Die Nationalsozialisten bekämpften Bolz vehement, seitdem er das Verbot aller politischen Kampfverbände gefordert hatte. So war er gewarnt, als er Ende August 1932 erstmals direkt mit Hitler sprechen musste, um die bevorstehende Reichstagssitzung interfraktionell abzustimmen. Als Papen auf der erneuten Auflösung des Reichstags beharrte, prophezeite Bolz nicht nur den politischen Erdrutsch, sondern weitere Verfassungsbrüche; dann sei die „Diktatur unvermeidbar“.


Wenige Wochen später wiederholte Bolz diese Warnung in einem Vortrag, den er an der „Hochschule für Politik“ in Berlin hielt: „Ich fürchte von jeder Diktatur eine weitere gefährliche Radikalisierung unseres Volkes. Wer mit dem Gedanken der Diktatur spielt, spielt mit der Revolution.“ Er war entschlossen, „das Letzte (zu) versuchen, um auf dem Wege der Verfassung durchzuhalten. Was über den verfassungsmäßigen Rahmen hinausgeht, kann man nur als Revolution bezeichnen. Dieses Unglück zu verhüten, ist eine der wichtigsten politischen Gegenwartsaufgaben.“ (Bolz 13.12.1932)


Die von Franz von Papen durchgesetzte Reichstagswahl vom 6.11.1932 hatte die Kommunisten und die Deutschnationalen gestärkt, die Sozialdemokratie geschwächt. Aber auch die NSDAP hatte zwei Millionen Stimmen und 34 Sitze verloren. Dennoch war Hitler drei Monate später Reichskanzler und setzte wieder Neuwahlen an. Mit der Reichstagswahl vom 5. März 1933 kamen in Stuttgart die württembergischen Nationalsozialisten Marr und Mergenthaler an die Macht, forderten den Rücktritt von Bolz und hetzten, nun hätte es sich „ausgebolzt“.


Bolz machte wie viele andere Diffamierte und Ausgegrenzte die „bitterste“ Erfahrung, nämlich „daß man das Vertrauen in seine nächste Umgebung verliert.“


Der bis dahin als schwankend empfundene Boden brach weg, es entstand gleichsam, wie Hannah Arendt viel später in dem berühmten Fernsehgespräch mit Günther Gaus sagte, ein „luftleerer Raum“ – ohne Entschiedenheit der verantwortlichen, ohne Mitgefühl der Mehrheitsgesellschaft, im persönlichen Umkreis gekennzeichnet durch den Rückzug vieler angeblicher Freunde, mit denen man bis dahin vertrauensvoll zusammengearbeitet und kommuniziert hatte.


Martialische Drohungen kündigten die „Legalisierung der Rache“ durch die neuen Machthaber an. Der Nationalsozialist Murr erklärte öffentlich, „mit aller Brutalität“ gegen ehemalige Gegner vorgehen zu wollen: „Wir sagen nicht: Aug um Aug, Zahn um Zahn; nein, wer uns ein Auge ausschlägt, dem werden wir den Kopf abschlagen, und wer uns einen Zahn ausschlägt, dem werden wir den Kiefer einschlagen.“


Bolz stellte sich den Nationalsozialisten auch nach der Ernennung Hitler konsequent entgegen. So verweigerte er Mitte Februar 1933 den Schlosshof für eine Wahlkundgebung.  Lies sich politisch zunächst nicht einschüchtern und hatte im Mai 1933 an einem Christlich-sozialen Parteitag in Salzburg teilgenommen (die Christlich-Sozialen waren die Gegner der österreichischen Nationalsozialisten) und zeigen können, dass er sich nicht der deutschen Regierung fügte, die Auslandskontakte möglichst einschränken wollte.


Anfang Juni 1933 hatte Bolz sein Landtagsmandat niedergelegt, nachdem er sich geweigert hatte, als Reichstagsabgeordneter Vorsitz der deutschen Zentrumspartei zu übernehmen und damit Nachfolger des Prälaten Kaas zu werden.


Wenige Tage später folgte er seine Vorladung zur Gestapo in das Stuttgarter Hotel Silber, die Zentrale der Gestapo.


In Stuttgart war die Bevölkerung inzwischen regelrecht aufgehetzt worden. Gefordert wurde, Landesverräter aufzuhängen. Die gegen Bolz in aller Öffentlichkeit angekündigten Übergriffe sollten die NS-Führung berechtigen, „Schutzhaft“ zu verhängen. Dies geschah dann am 19. Juni 1933. Den Druck, dem Bolz seit den Apriltagen 1933 ausgesetzt war, empfand er weniger als Gefahr für sein Leben denn als schwere politische Herausforderung und eine Diskreditierung, die auch seine Familie belasten sollte.


Als der Mob den Festgenommenen aus der Stuttgarter Gestapo-Zentrale auf einer Schandfahrt durch Stuttgart in das Gefängnis Hohenasperg, verschleppten, wandten sich manche von dieser erbärmlichen Inszenierung der nackten Macht und des Terrors ab. Wer kritisch war, erkannte: gerade diese Demütigungen konfrontierten die Öffentlichkeit schlagartig mit der Zerstörung der Rechtsstaat und der „Legalisierung ihrer Rache“, die manche früh hatten kommen sehen.


Die Konfrontation mit dem Unrecht öffnete vielen, - vielen, nicht allen! - , die Augen, schärfte den Blick, beeinflusste und schwächte oftmals der Urteilungsvermögen der Öffentlichkeit.


Schandfahrten waren in den Sommermonaten 1933 in vielen Orten an der Tagesordnung. Ebenso gängig waren Korruptionsvorwürfe. Erschreckend waren nicht nur Demütigungen, sondern das Verhalten der Bevölkerung. Bolz wurde bespuckt, mit Eiern und Kohlestücken beworfen, verlästert. Dabei war es nicht, wie später einmal der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes Mahrenholz in seiner Erinnerung an die „Schandfahrt“ des ehemaligen Justizministers des Landes Baden  Ludwig Marum durch Karlsruhe bemerkte, der „Abschaum“, der die Straßen säumte, „es waren Menschen wie wir es sind, das städtische Bürgertum, leicht mobilisierbar, leicht erregbar, vor allem, weil es sich einredete: Jetzt sind wir das Volk.“


Bolz wurde etwa vier Wochen, bis zum 12. Juli 1933, im Gefängnis Hohenasperg festgehalten, eine gute Adresse deutscher Demokratiegeschichte. Nach der Entlassung zog er sich für rund sechs Wochen in das Kloster Beuron zurück, wirkte als Steuerberater des Klosters in kritischer Zeit der Devisen- und Sittlichkeitsprozesse und wurde schließlich juristischer Berater des Caritasverbandes.


1935 beteiligte er sich an einer Ziegelsteinfabrik und konnte so Kontakt zu Regimegegnern über alle Parteigrenzen hinweg halten. Das war wichtiger als die Sicherung des Auskommens. Dieser Lebensweg ähnelte dem anderer Regimegegner wie Julius Leber oder Wilhelm Leuschner, der u.a. Bierzapfhähne produzierte, Julius Leber, der Kohlen verkaufte, oder Max Westphal, der einen mobilen Kaffeehandel betrieb.


Ein schwerer Schlag war für den gläubigen Katholiken Bolz die Einigung des Vatikans mit dem Regime auf ein Konkordat. Dieses Reichskonkordat aber lehnte er ab, weil er die Einigung mit dem Vatikan als Teil der Strategie von Goebbels und Hitlers durchschaute, Christen zu gewinnen, indem die Gegensätze zwischen der nationalsozialistischen Weltanschauung und dem Christentum durch Rituale abgeschwächt wurden. Hans Maier, lange Zeit bayerischer Kulturmisnister, hat die diabolisch zelebrierte nationalsozialistische „Politische Religion“ als verlogene Demonstration des Äußerlichen, als Ausdruck ihres umfassenden, totalitären Anspruchs auf weltanschauliche Führung analysiert.


Was Bolz zunächst blieb, war die Hoffnung auf das baldige Scheitern der Regierung Hitler. Der unbedingte Wille zur Machteroberung und Machtbehauptung unterschied das Kabinett Hitler von den vorausgegangenen Regierungen, die von Kritikern als „Brüning-, Papen- und Schleicherfaschismus“ überzeichnet worden waren. Die Folge war zunächst eine verhängnisvolle Verharmlosung des „Hitler-Faschismus“.


Gesetzes- und Verordnungsschübe veränderten bereits seit den ersten Februartagen 1933 das System dramatisch. Die Landtage wurden aufgelöst, Parteien verboten, die Grundrechte der Verfassung aufgehoben, das Gesetzgebungsrecht auf die Regierung übertragen, Gewaltenteilung und Rechtsprechung ausgehöhlt und politisiert. Frühe Konzentrationslager entstanden und wurden sehr schnell durch Lager ersetzt, in denen die SS Himmlers bestimmte. Die Kommunisten wurden ausgeschaltet, die evangelischen Gemeinden infiltriert, Gewerkschaften zerschlagen, Oppositionelle bedroht und in die Flucht getrieben.


Einige Regimekritiker wollten Verbindungen ins Ausland nutzen. Deshalb nutzte Bolz den Parteitag der Christlich-Sozialen in Salzburg, äußerte sich dabei aber öffentlich nicht einmal kritisch über die gegenwärtige Lage in Deutschland und zog dennoch den Hass der NS-Presse auf sich.


In Stuttgart besprach er sich mit Freunden, denn es kam zunächst darauf an, im Kreis Vertrauter eigene Einschätzungen und Meinungen zu überprüfen. Dazu bot sich sein kleiner Gesprächskreis an, der regelmäßig in Form fast eines Stammtisches im Stuttgarter Europäischen Hof zusammenkam. Diese Begegnungen halfen auch Bolz, die sich so rasch zum Schlechten verändernden Verhältnisse zu verstehen. Zu seinen Gesprächspartnern gehörten Reinhold Maier, Theodor Heuß, Wilhelm Keil und Josef Ersing. Weitere Kontakte zu den ehemaligen politischen Freunden wurden erleichtert, als Bolz sich seit 1935 unternehmerisch betätigen konnte. Das sagt sich leichter, als es war, denn ein Berufspolitiker musste sich völlig umorientieren und in wirtschaftliche Abhängigkeiten einfinden.


Genau sind wir über seine Gedanken und Kontakte dieser Zeit nicht informiert. Bolz verhielt sich konspirativ, wenn er seiner Frau Maria mitteilte, er „traue sich nichts zu sagen“ und könne nicht niederschreiben, was er „sonst noch denke“: „Das ist das Traurigste der heutigen Zeit, daß man sich nicht einmal ohne Scheu schreiben kann.“


Mitmachen wird er nicht, er bleibt ein verfassungstreuer Dissident und ein sehr gläubiger Christ, gleichsam ein konfessionell geprägter politischer Nonkonformist, der seiner Frau im August 1935 eröffnet: „Innerlich bin ich aufgeräumt. Mehr als je lebt in mir der Glaube und die Hoffnung, daß ich noch andere Zeiten erlebe und daß meine Passivität nicht mein ferneres Schicksal ist. Ich will ausreifen und spüre das in mir.“


Bolz wurde von den Nationalsozialisten mit der Pension eines Amtsrichters in den Ruhestand versetzt, erhielt also nicht das ihm eigentlich zustehende Ruhegehalt eines Ministers oder gar eines Staatspräsidenten. Er privatisierte und bemühte sich um einen Gasthörerstatus an der technischen Universität Stuttgart. Seine Bitte wurde vom damaligen Rektor aus Furcht vor studentischen Demonstrationen verweigert. So blieb das Selbststudium, der Versuch, Sozial- und Wirtschaftspolitik zu verstehen. Die damalige katholische Soziallehre bot beides.


Zum Motto wird ihm „Aequam servare mentem rebus in arduis“ – Gleichmut in schwieriger Lage zu bewahren. Dass er dabei den Blick gerade nicht in „Gleichmut und Ergebenheit“ von den Zeitverhältnissen abwendet, dass er nicht nur „ans Leben und ans Sterben“ denkt, zeigt die am 2. August 1936 an seine Frau gerichtete Bemerkung: „Auch ohne Philosophiebücher ist ein Leben, das nicht ‚Kraft durch Freude‘ zur Parole hat, ein ständiges Ringen um die letzten Dinge.“


Bestimmend bleibt sein Vertrauen in seine Familie in seine Frau Maria und seine Tochter Mechthild, beeindruckend ist ein sehr festes und immer wieder bekundetes, keineswegs frömmelndes oder aus der Verzweiflung gespeistes  Gottvertrauen, unverrückbar ist die Hoffnung, mit der Hilfe Gottes „das Kommende gemeinsam erleben und ertragen“ zu können.


Nach 1933 ging es immer um die Auseinandersetzung mit der sich schlagartig und dramatisch verändernden politischen Realität. 1938/39, im letzten „Friedensjahr“ ahnte Bolz die Katastrophe, war aber weit davon entfernt, sich aktiv auf das herbeigesehnte Ende des Regimes vorzubereiten. „So sorgenvoll das alte Jahr war, wir haben Grund genug, dankbar zu sein. Und das Neue? Dunkel liegt es vor uns. (…) Je mehr ich meine Freiheit beschränkt sehe, desto größer ist der Antrieb, mich auf mein Inneres zurückzuziehen.“


Endzeitgedanken kommen auf. „Wie drängt sich rückschauend im Leben alles zusammen! Es wäre zum Verzweifeln, wenn man nicht die Aussicht auf ein anderes Leben hätte und das diesseitige nur als Übergang betrachten könnte.“ In den Augusttagen 1939 lesen wir von sich zuspitzenden Sorgen, auch von „Kriegsgefahr“, aber auch: „Das Gottvertrauen verläßt mich nicht. Dem Leben gegenüber wird man immer gleichgültiger.“


Bolz traf sich weiterhin mit Gleichgesinnten, suchte seinen Stammtisch im Europäischen Hof auf und festigte und belebte dadurch seine alten Verbindungen. Brüning hat manche seiner Gesprächspartner auf Bolz verwiesen. Mit der Jahreswende 1941/42 scheinen sich dann Kontakte zwischen Bolz und Goerdeler intensiviert zu haben. Es kam zu regelmäßigen Treffen mit Goerdeler im Abstand von Monaten und Wochen.


Aber wir bleiben auf Vermutungen angewiesen, mag auch behauptet werden, Bolz als „entschlossener und zuverlässiger Mitarbeiter“ habe auf einen Anschlag hingearbeitet, dabei weder von „Ehrgeiz noch Intrigensucht bewegt“. Zutreffend ist allein, man hätte „kein Zeugnis dafür, daß Bolz je in Gewissensnot über seinen Eintritt in den ‚Verschwörerkreis‘ gekommen wäre.“ Das bedeutet: er akzeptierte den Umsturzversuch und nahm die Folgen, ohne sich zu beklagen, auf sich. Neben den regelmäßigen Gesprächen mit Goerdeler sind auch Kontakte zu Jakob Kaiser, Anderes Hermes und Wilhelm Leuschner belegt.


Nicht zu bezweifeln ist, dass Goerdeler Bolz über die militärischen Umsturzbestrebungen informiert hatte. Das wissen wir aus den Ermittlungen der Gestapo und aus dem Todesurteil des Volksgerichtshofs. Unmittelbare Briefzeugnisse, die diese Kontakte belegen, aus den Jahren 1942 bis zur Verhaftung haben wir aber nicht. Bolz wird nach den Ermittlungen der Gestapo, die später in die Urteilsbegründung des Volksgerichtshofes eingehen, seit 1942 zum Handelnden, der sich nicht auf Autoritäten berief, sondern sein Gewissen befragt hatte und dieses zur Richtschnur machte, der im Glauben vertraute und schließlich „ohne Deckung“  zu einem wichtigen Faktor der „aktiven Konspiration“ wurde, die alles auf die Beseitigung Hitlers setzte.


Helene Weber, eine Vertraute von Bolz, überliefert aus dieser Phase aktiver Konspiration: eine seiner Bemerkungen „Und wenn ich umkomme, mein Leben ist nichts, wenn es um Deutschland geht…Ich kann nicht anders. Ich muss dabei sein.“


Bolz nahm nicht unmittelbar an den Planungsgesprächen der Regimegegner teil. Deshalb steht unser Wissen über seine politische Funktionen und Ziele dieser Zeit auf unsicherem Grund. Gesichert scheint, dass Bolz1943 bei einer Besprechung in der Wohnung von Jakob Kaiser auf Vorschlag des ehemaligen hessischen Innenministers und Gewerkschaftsführers Wilhelm Leuschner als Innenminister ins Gespräch gebracht worden. Bolz hätte dann die Kontrolle über Verwaltung und Polizei sichern müssen. Leuschner sei der Auffassung gewesen, dass Bolz „für die Neugestaltung der Verfassung und der Verwaltungsordnung Deutschlands der geeignete Mann sei.“


Später, vermutlich im Mai 1944, sei dann Julius Leber als Innenminister vorgesehen worden, Bolz hätte hingegen das Reichskulturministerium übernehmen sollen. Auch dies war wichtig, denn die Wiedererziehung der Deutschen konnte nur durch Schule, Bildung, Kirche und Universitäten erfolgen. Es ging um eine Rekultivierung der politischen Kultur, des Vertrauens, des Miteinanders und des Zusammenlebens.


Dies war viel. Unverständlich ist es deshalb für mich, weshalb es später so viele Gerüchte und Nachkriegskonstruktionen brauchte, um die wichtige Rolle zu betonen, die Bolz bei der Planung der Zeit nach einem gelungenen Umsturz spielete. So wurde etwa behauptet, Bolz hätte im Frühjahr 1944 Rommel eine Denkschrift überreicht Dies ist so zweifelhaft wie die Vermutung, Bolz habe nach dem fehlgeschlagenen Bombenanschlag der Gruppe um Henning von Tresckow in der Heeresgruppe Mitte vom März 1943 Goerdeler überzeugt, seinen Kampf gegen Hitler fortzusetzen.


Gesichert ist: Bei einem Besuch des Prälaten Wittmann, der in Eichstätt lebte, schrieb er ein halbes Jahr später allerdings in dessen Gästebuch: „In schwerster Zeit des Vaterlandes ist Aussprache mit Gleichgesinnten wie Balsam. Wenn die Wolken auch schwarz am Himmel hängen, soll uns Hoffnung aufrechterhalten. Völker sterben nicht, sie wollen leben.“


Nach dem Fehlschlag des Attentats vom 20. Juli 1944 war Bolz zunächst überzeugt, ihm könne „nichts passieren“: „Ich habe nichts getan, bin an der Vorbereitung des Attentats nicht beteiligt, es ist nichts geschrieben.“ War dies Ausdruck seiner Hoffnung, unbemerkt zu bleiben? War es Ausdruck seiner Ergebenheit in das vielleicht geahnte Schicksal, gar der Unterwerfung unter das ihm Vorherbestimmte?


„Es gibt nichts Schriftliches“, damit beruhigte er sich nach der Nachricht vom Anschlag auf Hitler. Aber es gab die brutalen Verhöre der Gestapo, die schließlich Licht in die Vorgeschichte des Umsturzversuches, in die Pläne und die Nachkriegsvorstellungen der Verschwörer brachten. Wir wissen aus den Berichten Kaltenbrunners, wie gut die Gestapo über die Verschwörung informiert war. Schließlich fanden sich Dokumente, aus denen hervorging, dass Bolz zu den ständigen Gesprächspartnern Goerdelers gehört hatte. Diese ließen keinen Zweifel an seiner Bereitschaft, das administrative Vakuum nach einer Niederlage zu füllen. Entscheidend und verhängnisvoll wurde Bolz aber weniger durch Dokumente als durch Zeugenaussagen belastet.


Seine Festnahme erfolgte am 12. August 1944, vermutlich aufgrund der Anzeige von Richard Großmann, eines Spitzels des SD- Auslandsnachrichtendienstes, der selbst im Oktober 1944 „als Geheimnisträger höchsten Grades“ wegen „Unzuverlässigkeit“ selbst in ein Konzentrationslager eingewiesen wurde. Mit seiner Verhaftung und derart belastet befand sich Bolz nun in großer Gefahr. Wenige Tage später wurde die Verhaftung Goerdelers bekannt.


Weitere Verhöre fanden in Berlin statt, wohin Bolz am 27. August 1944 überführt wurde. Vom Hausgefängnis der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße 8 aus wurde er nach Fürstenberg gebracht, vermutlich im Zellenbau des Konzentrationslagers Ravensbrück inhaftiert und in der Schule der Sicherheitspolizei in Drögen bei Fürstenberg verhört.


Was sich nach seiner Festnahme ereignete, übertraf alle Befürchtungen, Erfahrungen und Ahnungen.


Wir sind vor allem durch einige wenige Briefe aus der Haft informiert. Sie spiegeln die Dynamik der Verfolgung, das Zuziehen der Schlinge, das Elend der Einsamkeit, des Schreckens, der Einsicht in die Ausweglosigkeit, die Einkehr, die Beschäftigung mit tiefreligiösen Problemen, mit den vorletzten und letzten Dingen.


Die Stationen seiner letzten Monate sind Orte des Schreckens: Eugen Bolz ist offenbar sowohl in der Prinz-Albrecht-Straße als auch bei den Vernehmungen in Drögen immer wieder misshandelt worden. „Verschärfte Vernehmungen“ oder „Hart anfassen“, so nennen das die Gestapo-Beamten. Unter dem Druck der Verhöre gab Bolz offenbar zu, dass er in den engsten Kreis der Verschwörer gehörte und nach dem Umsturz ein Regierungsamt angenommen hätte. Bolz belastete lediglich sich selbst, nicht aber seine Mitverschwörer.


Seine Frau und seine Tochter konnten Bolz erstmals am 19.10.1944 sehen. Sie sahen einen Menschen, den die Haft gezeichnet hatte. Bolz zitterte, war abgemagert und sprach „von sich selbst kein Wort“. Am 2.11.1944 wurde Bolz in das Zellengefängnis Lehrter Straße in Berlin verlegt, das jetzt der Gestapo unterstand. Seine Frau durfte ihn noch zweimal besuchen.


Aus der Haftzeit von Eugen Bolz sind einige Briefe erhalten. Der erste Brief vom 29.8.1944 ist verloren. Am 1.9. folgte eine Nachricht aus Drögen: „Behandlung gut. Also seid ohne Sorge.“ Am 19.9. ein dritter Brief zum Geburtstag seiner Frau. Der nächste Brief stammt vom 25.9.1944. Er enthält die – von der Zensur unkenntlich gemachte – Nachricht: „Dazu liegt mein Fall zu ernst. Ihr könnt nichts für mich tun. Mehr kann ich ja nicht darüber schreiben, so gern ich möchte.“


Weitere Briefe schrieb Bolz - am 2.10., am 10.10. und am 17.10. Seiner Tochter teilte er mit: „Du durchlebst eine schwere Zeit, vielleicht wird sie noch schwerer. Sie wird dich ausreifen. Leben und Eigentum gelten nichts mehr. Nur die Seele ist unerreichbar für die äußeren Mächte. Ihr muss unsere ganze Sorge gelten, damit sie gestärkt und veredelt die ernste Zeit überwindet.“ Der letzte Brief vor der Überstellung in das Gestapo-Gefängnis vom 29.10.44 verrät die große Sorge, die sich Bolz um seine Angehörigen machte.


Am 8./10.11.44 teilt er seinen Angehörigen nicht nur seine Verlegung nach Berlin mit, sondern beschreibt auch seine Befindlichkeit: „Wie gerne würde ich Euch die äußeren Sorgen abnehmen, während ich mich hier ganz in mein Inneres zurückziehen muß.“


Ein weiterer Brief ist vom 12./15.11.1944 datiert. Darin teilt Bolz seiner Frau den Grund für seine Verschwiegenheit mit. „Wie gern wollte ich in gleich warmem Ton antworten. Ich hätte Sinn und Stoff dazu. Aber an meinem Ort ist die Seele verschwiegen und verharrt in ihrer Einsamkeit. Drei Monate haben daran nichts geändert. Nur innerlicher ist man geworden.“


Seine innere Unruhe verbirgt Bolz auch in seinem Brief vom 23.11.44 so wenig wie in dem folgenden Kassiber vom 28.11.44. Im Brief vom 11.12.1944 bezieht sich Bolz auf den Besuch seiner Frau: „Ihr seid gedrückt von mir gegangen und habt mich gedrückt zurückgelassen. Hätte ich reden dürfen, so wäre es wohl beiden Teilen leichter geworden“ Am 15.12. schließt blickt er auf die vor ihm liegenden Weihnachtstage, erwähnt zugleich aber seine „Ausstoßung“ aus dem Beamtenverhältnis und bittet, „das Unabwendbare gleich mir mit Schweigen und Gleichmut hinzunehmen und alles unserem Herrgott zu überlassen.“


Die auf den 21.12.44 angesetzte Verhandlung des Volksgerichtshofes trifft ihn unerwartet, hatte er doch gehofft, dass die Weihnachtstage eine Frist bedeuteten. Die Hauptverhandlung wurde gegen Eugen Bolz, Hermann Pünder, Andreas Hermes, Franz Kempner, Fabian von Schlabrendorff und Wilhelm Staehle eröffnet. Allerdings wurde an diesem Tag nur gegen Bolz und Pünder verhandelt, Bolz wurde zum Tode verurteilt, Pünder freigesprochen. Eugen Bolz hat in dieser Zeit mit seinem Leben abgeschlossen. Nun richtete er die Gedanken auf das Leben nach dem Tode, an das er fest glaubte.


Schon lange ging es nicht mehr um Parteipolitik, sondern, wie er sagte, zunächst um Deutschland, dann um sein Verhältnis zu Gott, dem er auf eine Weise vertraute, dass sogar seine Angehörigen daraus Trost und Kraft schöpfen sollten. Er schien dem nationalsozialistischen Prozessbeobachter „verbraucht“, „zerstört“, aber er war es nicht.


Wenn der Mitangeklagte Pünder, der freigesprochen wurde, später sagte, Bolz hätte sich ungeschickt verteidigt, so ist das nicht zutreffend, denn Bolz ging gerade durch seine Art und Haltung – und nur darum ging es letztlich – aus dem Zweikampf mit Freisler als der Stärkere hervor. Freisler selbst beschrieb dies im Urteil so: „Eugen Bolz … bekannte heute vor uns, daß er kein Nationalsozialist sei. Er vermisse bei uns die individuelle Freiheit!“


Das Todesurteil spricht eine eindeutige Sprache, denn es macht die Ratlosigkeit der Blutrichter deutlich. Sie lasteten Bolz an, dass er nicht an den Endsieg geglaubt hätte, sie warfen ihm vor, dass er sich erkühnte, seine Beteiligung an der Regierung Goerdeler als Versuch zu deuten, den Zugriff der Bolschewisten auf die deutsche Führung abzuwehren. Allein das sei ein todeswürdiges Verbrechen gewesen – so die Richter: „Eugen Bolz hat sich Goerdeler für den Posten eines Reichsministers in dessen Regierung für den Fall unseres Zusammenbruchs zur Verfügung gestellt und viele Verratsbesprechungen mit engsten Mitverrätern Goerdelers gehalten.“


Unmittelbar nach dem Todesurteil konnte Eugen Bolz an seine Frau Maria schreiben: „Unerwartet war heute Verhandlung in meiner Sache. Ich wurde zum Tode verurteilt. (…) Was ich gefühlt habe kam. Erbarmungslos. Ich habe mich innerlich, religiös seit Monaten darauf eingestellt, …nehmt es hin als das mir von Gott bestimmte Kreuz. [von der Zensur gestrichen: Ich habe wenigstens die Gnade vorbereitet zu sterben und vielleicht einer bösen Zeit zu entgehen] …Ich trage mein Schicksal mit Gleichmut


Seine Angehörigen erfuhren Heiligabend von der Verteilung, Tage, bevor ihnen das Urteil offiziell mitgeteilt wurde. Am 31.12.44 und dann noch einmal am 2.1.45 besuchten Frau und Tochter den Todgeweihten, der inzwischen in einen anderen Trakt des Zellengefängnis Lehrter Straße 3 verlegt worden war. Von dort aus erfolgte am 23. Januar 1945 seine Überführung in das Strafgefängnis Plötzensee, wo er am selben Tag als letzter von insgesamt zehn Verurteilten durch das Fallbeil ermordet. Die anderen Gefangenen starben am Galgen. Bolz war zum Fallbeil „begnadigt“ worden, der Tod am Galgen galt als schimpflicher.


Bolz konnte mit dem katholischen Gefängnisgeistlichen Peter Buchholz einige Worte wechseln. Die letzten Worte, die von ihm überliefert sind, sollen gelautet haben: „Meine Frau ist hier.“


Der Leichnam wurde verbrannt, ein Nachlass ist nicht mehr vorhanden.


Was bleibt?     Andreas Hermes, einer der Berliner Mitbegründer der CDU, bezeichnete Bolz als Menschen, der in ihm „einen der tiefsten und bewegendsten Eindrücke“ hinterlassen habe. Innere Sicherheit und tiefer Glauben hätten ihm eine beeindruckende Würde gegeben und als „Kämpfer für Freiheit, Wahrheit und Recht“ bestätigt.


Bolz beklagte sich weder 1933 noch später, nach seiner Verhaftung im Spätsommer 1944 und in der unmittelbaren Konfrontation mit Freisler, über sein Schicksal. Denn er fügte sich in das als unvermeidlich erkannte. Er bat seine Unterdrücker nicht um Gnade, denn er hatte bereits in den Verhören der Gestapo und vor seiner Verurteilung durch den Volksgerichtshof abgeschlossen. Deshalb war er frei.


Dieses Gefühl hatte Bonhoeffer früh ausgedrückt, als er andeutete, alle, die sich zum Leben im Gegensatz zum NS-Staat entschlossen hätten, seien bereits ihren Tod gestorben. Wer aber tot ist, fürchtet nicht mehr um sein Leben, er ist frei von Furcht und Angst, er gehört damit wohl zu denen, die der Publizist und Politikwissenschaftler Dolf Sternberger viel später einmal „bürgerliche Radikale“ genannt hat. Deren Denken zielt auf die Substanz des Politischen, auf die Verpflichtung des Menschen, sich höchsten Zielen und letzten Dingen zu widmen, im Konflikt mit den Zeitumständen und ihren Herausforderungen geradezu „heiligmäßig“ zu leben. Eugen Bolz hinterließ bei manchen seiner Leidensgenossen diesen Eindruck.


Dennoch gilt Eugen Bolz als ein außerhalb von Württemberg weitgehend unbekannt gebliebener Regimegegner. Wenig erinnert an ihn, zu wenig. An Reinhold Frank etwa erinnert alljährlich eine Karlsruher Vorlesung. Sproll ist unvergessen bei vielen Katholiken. Elser ist zu einem der bekanntesten Regimegegner geworden, geworden sage ich, denn in den fünfziger Jahren wurde er noch als Werkzeug der SS diffamiert.


Eugen Bolz aber, politisch vielleicht einer der Wichtigsten unter den Genannten, steht zunehmend im Schatten späterer Erinnerung und damit unseres Vergessens. Dagegen möchte ich ein Zeichen setzen. Eine Sammlung seiner Reden und Schriften gibt es nicht, sein Wohnhaus existiert nicht mehr, im Gedächtnis gehalten ist er etwa durch die Webseite des Eugen-Bolz-Gymnasiums, durch wenige Denkmäler und die Benennung von Räumen im Stuttgart Innenministerium, nun auch der Stuttgarter Staatskanzlei, und gut erinnert man sich seiner in Rottenburg. In der Berlin Gropius-Stadt gibt es eine „Eugen-Bolz-Kehre“, immerhin.


Gewiss ist er uns in seiner christlichen Entschiedenheit heute fremder geworden, so fremd, dass wir einen von ihm überlieferten Satz – „Politik ist nichts anderes als praktisch angewandte Religion“ – schwer in Einklang mit unserer Vorstellung der Trennung von Kirche und Staat bringen können. Dieser Satz bleibt jedoch ein Schlüssel zu seinem sittlich begründeten Staatsverständnis und ist zugleich von exemplarischer Bedeutung für die Erforschung des Widerstands. Es geht nicht um die politische Instrumentalisierung der Religion, sondern um die Bindung des Staates an die Gebote und Normen des Christentums, wie es Bolz lebte.


In der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Widerstands geht es nach intensiver Erforschung der Fakten immer auch um das Prinzipielle, um Moral, Ethik und Zusammenhalt. Damit meine ich nicht die Versuche der Nachlebenden, eine Tradition des Widerstands zu begründen und diese für sich zu reklamieren.


Wie problematisch politisch instrumentalisiertes Erinnern sein kann, macht nicht zuletzt eine Gedenkrede anlässlich des 25. Todestages von Bolz deutlich. Hans Filbinger, damals Ministerpräsident und noch nicht als „furchtbarer Jurist“ verschrien, sagte 1970, es sei „uns aufgegeben, und wir erachten es als eine noble Pflicht, dieses Andenken wachzuhalten, damit nicht mit den letzten Gefährten die Erinnerung an Männer wie Eugen Bolz erlischt.“


Das wir an Eugen Bolz als einen für sich stehenden Regimegegner erinnern müssen, ist in meinen Augen dann wichtig und richtig, geradezu unbestreitbar, wenn es um die Reflexion über einen Kompass geht, der politisches Verhalten konditioniert.


Wie wir in Zukunft an ihn erinnern können, das bleibt jedoch nicht nur eine Frage, sondern bezeichnet eine Aufgabe. Denkmäler, Straßennamen, Gedenkstätten allein helfen hier nicht, zumal auch die Entscheidung, sein ehemaliges Wohnhaus zu zerstören, nicht korrigiert werden konnte. Es war das Recht der Erben, das hier griff.


Damit dringen wir zur Kernfrage unserer Beschäftigung mit dem Widerstand vor. Historisch, faktisch gilt diese Geschichte als „ausgeforscht“, als so gut erforscht, dass nur noch wenige Details zu klären sind. Was aber stattete die Regimegegner mit dem Willen und der Fähigkeit aus, sich dem weltanschaulichen Führungsanspruch der Nationalsozialisten zu widersetzen, sich nicht anzupassen, nicht nach der Nische zu suchen, die das Überleben ermöglichte, zugleich aber zu realisieren, was Reinhold Schneider einmal warnend ausdrückte, als er sagte: „Leben heißt schuldig werden“? Dies alles macht die Beschäftigung mit Eugen Bolz so wichtig, das alles enthebt ihn allen unseren Versuchen einer tagespolitischen Aktualisierungen, die dazu führen kann, dass die Erinnerung zuweilen im Gedenken zu vergehen scheint.


Bolz macht verständlich, was wir Nachlebende an Regimegegnern bewundern können. Sie blickten genau hin und ließ sich nicht blenden. Sie bewahrten sich Wertvorstellungen, die ermöglichten, die Wirklichkeit zu erkennen. Sie empörten sich und handelten. Und nach der Verhaftung gingen sie ihren Weg konsequent bis ans Ende, ohne um Gnade zu bitten oder sich über die Folgen ihrer Tat zu beklagen.


Mochten die Nationalsozialisten also im Zuge der Gleichschaltung verkündet haben, mit ihrer Machtergreifung hätte es sich „ausgebolzt“, so wissen wir: Sie hatten Unrecht, nicht weil sie sich irrten, sondern weil Bolz sich nicht anpasste.


Bolz hat in seiner Schrift „Katholische Aktion und Politik“ deutlich gemacht, dass gerade die Ablehnung des nationalsozialistischen Führungsanspruchs und seine Berufung auf das Naturrecht seine Distanz gegenüber dem Regime und seiner Verachtung der neuen Machthaber begründete. Aus dem Katholizismus stammend, geprägt durch die katholische Soziallehre, machte er deutlich, dass er der Proklamation eines Neuen Menschen, der Rechtfertigung einer neuen Gesellschaft, der nationalsozialistischen Ideologie der Verängstigung nicht traute. In seinem Glauben gründete sich seine Hoffnung auf einen Wandel zum Besseren, auf diese Hoffnung seine Bereitschaft und Fähigkeit, durchzuhalten.


Die Frage, ob wir an Eugen Bolz erinnern sollen, ist so eigentlich müßig. Bleibt die Frage: Wie sollen, wie können wir erinnern? Das nachhaltigste Denkmal ist die Beschäftigung mit seinem Denken, seinem Wollen, seinen Zielen – und mit der Methode, mit der er seine Gegenwart durchschaute, die ihm verhalf, Verblendungen zu vermeiden, die ihm die Kraft gab, sich zu empören, nach Abhilfe zu suchen, sein Leben einzusetzen, es zu opfern und dem Gegner nicht das Gefühl des Triumpfes zu gestatten.


Hinsehen, erkennen, sich empören, handeln und konsequent Kurs halten – das ist die Botschaft, die Bolz uns als Nachlebenden vermittelt. Auch wenn er in der widerstandsgeschichtlichen Forschung nicht die Beachtung gefunden hat, die er verdient hätte als Täter aus dem Widerstand, so wäre seine Unbeugsamkeit nach seiner Verhaftung ebenso eine Bestätigung seiner Bedeutung wie seine frühe klarsichtige und entschiedene Auseinandersetzung mit dem sich konsolidierenden NS-Regime. Diesem Regime hat er zu keiner Zeit dienen wollen, dessen Parolen sich zu keiner Zeit zu eigen machen wollen.


Mit Bolz könnte auch wir Nachlebenden lernen, den Sogströmungen unserer Zeit zu widerstehen. Er gehörte nicht einmal zu denen, die partiell und zu lange von den Zielen und den außenpolitischen Erfolgen der Nationalsozialisten beeindruckt waren und erst die Ziele, die sie einmal mit den Nationalsozialisten geteilt haben mochten, überwinden mussten, wie Rüdiger von Voss vor mehr als zwanzig Jahren formuliert hatte.


Eugen Bolz war von Anbeginn ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten, ihrer Diktatur, ihres weltanschaulichen Führungsanspruchs.


Deshalb wurde er am 23. Januar 1945 unter dem Fallbeil von Plötzensee ermordet.