Gedenken an Erwin von Witzleben

Rede
am 8. August 2022 aus Anlass der Kranzniederlegung an der Gedenk-Grabstelle des Generalfeldmarschalls Erwin von Witzleben auf dem Invalidenfriedhof Berlin, veranstaltet von der Erwin-von-Witzleben-Gesellschaft und der Offizierschule des Heeres (OSH), Dresden.


- Dr. Rüdiger von Voss, Vorsitzender der Erwin-von-Witzleben-Gesellschaft e.V. -


Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Sehr verehrter Herr General Rohde!
Sehr verehrter Herr Domprediger Kösling!


Im Namen des Vorstandes der Erwin von Witzleben Gesellschaft heiße ich Sie alle herzlich willkommen zur heutigen Gedenkstunde und Andacht zu Ehren und zur Erinnerung an den am 8. August 1944 in Plötzensee ermordeten Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, der ein entschiedener Gegner Hitlers und der nationalsozialistischen Diktatur war und sich mit seinem Leben für den Widerstand und das Attentat vom 20.Juli 1944 eingesetzt hat.


Seit der Errichtung dieses Gedenkortes anstelle eines Grabes, das es nicht gibt, am 8. August 2019 versammeln wir uns nun schon zum vierten Mal zur Erinnerung an ihn und auch an den gesamten deutschen Widerstand, die ihrem Gewissen folgten und sich für das Ende der menschenverachtenden Diktatur und die Wiedergewinnung von Freiheit und Recht, für eine gerechte und humane Ordnung eines Anderen Deutschland eingesetzt haben.


Der Offiziersschule des Heeres ist auch der heutige Einsatz, die Vorbereitung und Durchführung, Ihnen, sehr verehrter Herr General Rohde, sowie den Herrn Offizieren und Soldaten, die heute mitwirken, besonders zu danken. Die Offiziersschule des Heeres bekennt sich zum deutschen Widerstand und hat sich mit der jährlichen Vergabe des Erwin von Witzleben-Preises im Rahmen des jährlichen Schluss-Appells zur Person Erwin von Witzlebens und zugleich zum deutschen Widerstand im Sinne des Traditionserlasses in vorbildlicher Weise bekannt.


Mit der Würdigung Erwin von Witzlebens stellt sich, jedes Jahr erneut, die Frage, wie wir heute das Vermächtnis des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur im Interesse unseres Rechtstaates, unserer freien, demokratischen Ordnung und damit auch hinsichtlich des Selbstverständnisses und des Auftrages der unserer parlamentarischen Demokratie verantwortlichen Bundeswehr verstehen und auch interpretieren.


Es ist die berechtigte Frage, ob der „Aufstand des Gewissens“, das Attentat des 20. Juli 1944 des Grafen Claus von Stauffenberg und der ihn tragenden Mithelfer Tresckow, Beck, Olbricht, Merz von Quirnheim, von Haeften, um diese stellvertretend zu nennen, als Ausdruck eines „Anderen Deutschland“ Maßstäbe vermitteln kann, die uns heute zur Orientierung dienen und helfen können, den uns gestellten Herausforderungen zu genügen.


Es geht um die Frage, ob wir befähigt sind, aus dem Unheil der totalitären Diktatur der unheilvollen Zeit der Jahre 1933 bis 1945, verantwortlich auch für das Wissen um Mitschuld und Versagen gegenüber dem Ansturm von Hass und Gewalt, für mangelnden Mut zum Widerstehen und das Fehlen von Zivilcourage zu lernen. Es ist die Frage gestellt, ob und wie wir unserer Mitverantwortung für den Bestand unserer Demokratie, für Recht und Anstand, für soziale Gerechtigkeit und Solidarität entsprechen?


Es ist heute kein Raum, um über das Zusammenbrechen der Weimarer Republik ausführlicher zu berichten. Zieht man aber eine politische Bilanz dieser Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, so kann man verkürzt sagen: Die Weimarer Republik musste scheitern, weil die erste Demokratie unseres Landes, die Weimarer Republik, ihre Gefolgschaft verloren hatte und die Eliten in Staat und Gesellschaft sich dem Ansturm der Gewalt kampflos gebeugt, sich selbst aufgegeben hatten und dann unfähig waren, sich der Machtergreifung der Nationalsozialisten, des gewaltbereiten Diktators Hitler in den Weg zu stellen. Die Republik hatte ihren bewaffneten Arm der Reichswehr eingebüßt. Die Wehrmacht verlor aus politischem Opportunismus, dann schrittweise durch mangelnde Courage, durch das Fehlen staatspolitischer Gesamt-Verantwortung, auch durch blanke Bestechung ihre Ehre. Mit dem sogenannten „Röhm-Putsch“ und der Ermordung der Generale von Schleicher und von Bredow und hunderter Nazi-Gegner im Juli 1934, mit der Fritsch-Krise und dem politisch motivierten Rücktritt des Generalobersten Ludwig Beck 1938, dem die Generalität die Gefolgschaft zum Widerstand gegen die Kriegspläne Hitlers verweigerte, hatte die Wehrmacht ihre Handlungsfähigkeit gegen den Wahnsinn Hitlers endgültig verloren. Hier liegt die persönliche Verantwortung der Führung in der Wehrmacht und auch in Staat und Gesellschaft.


Witzleben erkannte schon 1933 die aufziehenden Gefahren, zuerst der ordinären Politik der politischen Gewalt, des infamen Rassismus und dann das wahre Gesicht der Diktatur. Sein christlicher Glaube ließ ihn nicht irrewerden. Er war ein Mann des Widerstandes der ersten Stunde und dies bis zuletzt. Er hat sich zu seiner Verantwortung bekannt, in der Folter geschwiegen und damit seine Mitarbeiter schützen wollen. Er ist ein Vorbild des „Anderen Deutschland“ und des „Aufstandes des Gewissens“, den wir heute ehren.


Mit der Etablierung des totalitären Staates auf allen Ebenen von Staat, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft wurde das Recht aus seiner ethischen Verankerung gelöst. Die positivistische Auffassung von Recht und Gesetz beschleunigte diese politisch verheerende Sicht der Rechtsetzung und der Legitimität gesetzten Rechts .Das Recht wurde mit sich steigernder Gewalt aus seinen sittlich vorgegebenen Bindungen gerissen, die nicht mehr akzeptiert wurden. Es vollzog sich eine „moralische Aushöhlung“ des Rechtsbewusstseins, eine „Entfesselung“ und „Verrohung“ der Verhaltensweisen auf allen Ebenen, die die alltägliche Verfolgung der politischen Gegner, der Juden, der Religionsgemeinschaften, der Homosexuellen und der behinderten Menschen ermöglichten. “Konzentrationslager“ öffneten ihre höllischen Tore, zuerst mit Dachau schon ab März 1933 wie der Gulag Stalins als Instrument der anonymisierten Vernichtung jeglicher Gegner des Terrors in Deutschland und darüber hinaus.1000 Lager waren es dann schließlich 1945, von denen keiner gewusst, die keiner gesehen haben will. Die Kirchen schwiegen als die mosaischen Brüder in Lebensgefahr gerieten und die Synagogen brannten.


Es folgte die Zerstörung des Völkerrechts und die Apokalypse trat in Erscheinung. Völkermord, Genozid, Holocaust, Weltkrieg bestimmen das von den Nationalsozialisten bestimmte Weltgeschehen. Die Nationalsozialisten zogen mit Korruption eine Gefolgschaft heran, die jegliche Verantwortung für Recht und Freiheit verweigerten und schamlos den Staat ausplünderten. Die Nationalsozialisten schlugen die Türen zu einer humanen Ordnung mit einem Knall zu, der noch zu hören ist, uns erneut beschäftigt und von uns verlangt, Position zu beziehen.


Um es klar zu sagen: wieder steht die erst schleichende, dann sichtbar werdende Korruption der Gefolgschaften, der Aufmarsch der Gegner einer aufgeklärten demokratischen Ordnung, der Bruch des Völkerrechts, die Zersetzung von Recht und persönlicher Verantwortung am Beginn einer Entwicklung, die das Gespenst des aggressiven Nationalismus wieder zurückkehren lässt und alle Regeln der internationalen Ordnung außer Kraft setzt, die nach dem 2.Weltkrieg geschaffen wurden, um Freiheit und Frieden zu bewahren. Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt und alles, was in der Zeit von 1933 bis 1945 an Unglück geschah, beherrscht die uns erreichenden Nachrichten. Die noch lebende im Krieg geborene Generation erlebt mit Erschrecken die gleichen Bilder wie im II. Weltkrieg. Wieder werden die Städte und Landschaften, die Heimat, die kulturellen Einrichtungen erbarmungslos zerstört, unschuldige Erwachsene und Kinder wahllos getötet, geschändet und beraubt sowie millionenfach zur Flucht getrieben.


Die Bilder der Besetzung der Krim, des in der Ukraine tobenden totalen Krieges Putins und seiner Gefolgschaften und der mit Putin sympathisierenden Länder zeigen uns das ganze Ausmaß einer Verachtung von Freiheit, Recht und Demokratie, der uns leitenden Gedankenwelt und Kultur.



Der von Goebbels im Glaspalast in Berlin am 18. Februar 1943 schreiend eingeforderte „totale Krieg“ manifestiert sich jetzt erneut, vorangetrieben mit Lügen, falschen Nachrichten und Erpressungen jeder Art und unterlegt mit atomarer Drohung. Putin selbst ist als Kriegsverbrecher zu bezeichnen und lastet Russland eine historische Verantwortung auf, die verheerende Folgen für Russland und seine Bürger nach sich zieht. Eines Tages wird er dorthin zurückkehren, woher er kam, friedlos und historisch verfemt. Es ist zu hoffen, dass die Jugend in Russland erkennt, dass Putin ihnen die Zukunft raubt!


So wie Witzleben, Beck, Tresckow, Leber, Mierendorff, Maaß, Moltke, Reichwein, Delp, Bonhoeffer und andere sich nicht täuschen ließen und die Gefahren für die Freiheit, das Recht und den Frieden klar erkannten, sind wir heute gefordert, hinzuschauen und uns klar zu entscheiden, für was wir stehen. Es wird wieder gefragt, wo warst Du, Bruder? In Wahrheit ist Putins Krieg die substantielle Existenzprobe, eine Bewährungsprobe für die Demokratie und die uns tragenden Werte, für unsere Vorstellungen von einem freien Leben und des Friedens in Zukunft. Europa rückt zusammen und die westliche Allianz steht.


Es ist nicht nur Widerstand gefordert. Es ist die Stunde der „Notwehr“, so wie es Axel von dem Bussche-Streithorst formulierte, die uns rechtlich wie politisch legitimiert. Anders formuliert, nicht nur die „streitbare Demokratie“ ist aufgefordert. Es ist die „militante Demokratie“, die sich stellen muss und von uns auch Opfer fordert. Kriegsverbrechen, die Mord, die unfassbare Gewalt und Zerstörung sind nicht verhandelbar. Das Urteil der Geschichte ist schon gesprochen und das Weitere folgt.


Fragen wir also nach einem „Vermächtnis“ oder nüchterner nach einer der historischen Erfahrung entsprechenden Wertorientierung zum Handeln, ist unbestreitbar, dass wir an der Seite des ukrainischen Widerstandes stehen müssen, aus Verantwortung und Solidarität gleichermaßen. Bezogen auf das Grundverständnis des soldatischen Handelns sind die unserem Verfassungsverständnis vorgegebenen ethischen Voraussetzungen klar. Aus diesen ergibt sich eine Verpflichtung zur Abwehr der beschriebenen Gefahren für Recht und Freiheit, für eine humane Ordnung, für die Sicherung einer die Völker verbindenden Friedensordnung, die Inhalt des Völkerrechts ist.


Die Hoffnung bleibt, dass wir auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.


 


 


 


 


 

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08.08.2022
Brigadegeneral Olaf Rohde
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