Ihr Geist und ihre Haltung sind uns Vorbild

Generalmajor Henning Wilcke

Ihr Geist und ihre Haltung sind uns Vorbild

Gedenkworte des Befehlshabers im Wehrbereich II, Generalmajor Wilcke, am 20. Juli 1966 im Ehrenhof des Bendlerblocks in der Stauffenbergstraße, Berlin

Ich empfinde es als eine Auszeichnung, hier in Berlin an dieser geschichtlichen Stätte die Gedenkworte für die Bundeswehr zu sprechen. Ich fühle mich nicht nur der alten Hauptstadt verbunden, es bewegen mich auch persönliche Erinnerungen an den Oberst Claus von Stauffenberg, da wir zusammen vor 40 Jahren Soldaten wurden. Er starb an dieser Stätte.

Wenn heute die Bundeswehr in allen Garnisonen und Kasernen – von denen große Truppenunterkünfte die Namen von Generaloberst Beck, Julius Leber, Henning von Tresckow, Feldmarschall Rommel, Graf Stauffenberg und Alfred Delp tragen – des Jahrestages der Erhebung als einem „Aufstand des Gewissens” in Appellen gedenkt, so tut sie es in dem Bewusstsein, die Erinnerung an Männer wach zu halten, die ihr Leben für Recht und Freiheit unseres Volkes geopfert haben und somit das Vermächtnis des 20. Juli 1944 zu wahren.

Je weiter der Tag zurückliegt, desto weniger stehen die Vorgänge selbst, als vielmehr die geschichtlichen Zusammenhänge und die Frage nach der sittlichen Berechtigung im Vordergrund unserer Verpflichtung und Betrachtungen. Ihr Wissen verpflichtete ihr Gewissen; sie setzten für ihre Überzeugung ihr Leben ein. Dies den nach uns Kommenden nahe zu bringen, sehe ich als eine bleibende Verpflichtung an, denn in wenigen Jahren wird in unseren Streitkräften kein Offizier mehr sein, der diese Zeit bewusst miterlebt und zu diesen Männern dienstliche oder persönliche Bindungen gehabt hat.

Wir fühlen uns den Soldaten unter den Männern des Widerstandes besonders zu Dank verpflichtet. Sie haben uns gelehrt und aufgerufen, über die Fragen der Pflicht, des Eides und des Gehorsams tief nachzudenken. Das Beispiel das 20. Juli zeigt uns aber auch, dass ohne Gewissen kein verantwortungsvolles Handeln möglich ist. Wenn wir die Männer und die Tat des 20. Juli richtig sehen, so mahnen sie uns, über die Enge des täglichen Pflichtenkreis hinaus, das Ganze zu sehen. Sie zeigen uns, wie notwendig es ist, unser Handeln stets der Entscheidung unseres Gewissens zu unterwerfen, das allein bestimmt wird durch das natürliche und göttliche Sittengesetz.

Eindringlicher als alle Worte lehrt uns der Aufstand des 20. Juli, wie unerträglich jede Gewaltherrschaft ist und wie schwer es ist, die einmal verlorene Freiheit wiederzugewinnen. So haben uns die Männer des 20. Juli ein mahnendes und zugleich verpflichtendes Vermächtnis hinterlassen, das der erste Generalinspekteur der Bundeswehr, General Heusinger, in diesen prägnanten Sätzen der Truppe als eine über alle Zeiten zu bewahrende Verpflichtung übermittelte: „Die tragische Wahrscheinlichkeit des Scheiterns vor Augen, entschlossen sich freiheitlich gesinnte Kräfte aus allen Lagern, in vorderster Front Männer aus den Reihen der Soldaten, zum Sturz des Tyrannen. Das christlich-humanistische Verantwortungsbewusstsein, das diesen Entschluss bestimmte, gab ihrem Märtyrertum die Weihe. Wir Soldaten der Bundeswehr stehen in Ehrfurcht vor dem Opfer dieser Männer, deren Gewissen durch ihr Wissen aufgerufen war. Sie sind die vornehmsten Zeugen gegen die Kollektivschuld des deutschen Volkes. Ihr Geist und ihre Haltung sind uns Vorbild.“





Weitere Reden

20.07.1966
Dr. Hans Speidel
Dr. Hans Speidel