Orientierung für die Zukunft

Robert von Steinau-Steinrück

Orientierung für die Zukunft

Ansprache des Vorsitzenden des Vorstands der „Stiftung 20. Juli 1944“ Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück am 19. Juli 2014 im Berliner Rathaus

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Müller

Sehr geehrte Ehrengäste und Angehörige,

Sehr geehrter Herr Schleicher,

es ist eine schöne – und in diesem runden Gedenkjahr – großzügige Tradition des Berliner Senats, die Angehörigen am Vorabend des 20. Juli hier im Roten Rathaus zu empfangen. Heute Abend bei dem Empfang sind es immerhin um die 560 Angehörige.

Besonders erwähnen seitens der Angehörigen möchte ich, dass sich Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg für dieses Wochenende angemeldet hat, die gestern ihren 100. Geburtstag gefeiert hat. Den dann ältesten Angehörigen, Heidenreich Freiherr von dem Bottlenberg- Landsberg, Jahrgang 1921 möchte ich hier herzlich begrüßen und ebenso Camilla von Schulthess-Rechberg, geboren am 13. März 2013.

Weiter möchte ich unsere französischen Freunde Alain Faber und Richard Roll begrüßen.

Schließlich möchte ich ganz herzlich Adriaan de Winter aus den Niederlanden und seine Frau begrüßen. Adriaan de Winter war selbst als junger Mann im Widerstand gegen die Nationalsozialisten und engagiert sich trotz seiner bitteren Erlebnisse seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unermüdlich für die Aussöhnung zwischen den Niederlanden und Deutschland.

Ihnen, lieber Herr Bürgermeister Müller danke ich für Ihre Worte, vor allem für Ihre Anerkennung für das Wirken der Angehörigen.

Seit 62 Jahren gibt es in Berlin eine Gedenkfeier am 20. Juli. Aus der Generation der Kinder derjenigen, die im Widerstand waren, sind einige heute Abend hier, die viele dieser Gedenkfeiern miterlebt haben. Es waren vor allem ihre Mütter, die dafür gesorgt haben, dass es dieses Erinnern gibt. Nicht nur sind ihre Männer von den Nationalsozialisten ermordet worden, sie – wie auch ihre Kinder – mussten in den 1950er und 1960er Jahren dafür kämpfen, dass ihre Ehre wiederhergestellt und ihr Tun anerkannt wird. So unterschiedlich politisch, gesellschaftlich und konfessionell diejenigen waren, die im Widerstand waren, so sind es auch die hier versammelten Angehörigen. So wie die Frauen und Männer des Widerstands das Ziel geeint hat, Hitler und den Nationalsozialismus zu beseitigen, damit Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit wieder in ein besseres Deutschland zurückkehren, so eint die hier versammelten Angehörigen – bei allen Unterschieden und Kontroversen – über die Generationen hinweg das Ziel, genau das nicht zu vergessen.

Es geht uns Angehörigen und der Stiftung nicht darum, unsere Großväter, Väter oder Urgroßväter und ihre Frauen zu (fernen) Helden zu verklären. Ganz im Gegenteil. Morgen erscheint im Tagesspiegel ein lesenswertes Gespräch zwischen Alfred von Hofacker und Tobias Korenke auch darüber. Ich zitiere einen Satz daraus: „Nur wenn wir begreifen, dass sie Individuen waren mit sehr menschlichen Widersprüchen, kommen sie uns näher.“ Wir möchten, dass sie uns nahe bleiben. Nicht, weil es uns darum geht, die Vergangenheit hoch zu halten. Es geht uns um die Vermittlung der Orientierungslinien für die Zukunft, die wir daraus gewinnen können.

Eine dieser Orientierungslinien dreht sich für mich um die Frage des „Scheiterns“ des Aufstandes. Welche Ausstrahlungswirkung kann für uns, gerade auch für junge Menschen, von einem gescheiterten Aufstand ausgehen? Ist es dann eigentlich sinnvoll, gegen den Strom zu schwimmen, wenn das eigene Gewissen es nahelegt? Bundestagspräsident Lammert hat dazu vor kurzem gesagt, der Widerstand des 20. Juli 1944 sei doch gerade „im Scheitern erfolgreich“ gewesen. Ohne ihn sei die Wiederherstellung des Ansehens Deutschlands in der Welt nur schwer möglich gewesen. Vor allem aber sei er eine wichtige Grundlage für die Wiederentdeckung des Rechtsstaates in Deutschland gewesen.

Wer sich diese Zusammenhänge klarmacht, versteht leichter, dass das Eintreten für Menschenwürde und Rechtsstaat nicht auf den kurzfristigen „Erfolg“ in der konkreten Situation angewiesen ist, sondern seine Richtigkeit immer aus der prinzipiellen, langfristigen Perspektive bezieht. Für den Kompass des eigenen Gewissens ist das eine wichtige Erkenntnis.

Die Stiftung möchte ihren Beitrag leisten, dass sich junge Menschen gerade das klarmachen. Deshalb freuen wir uns besonders, dass dieses Mal auch viele jüngere Angehörige und Interessierte heute Abend und morgen teilnehmen.

Lieber Herr Bürgermeister Müller, Sie haben die „Stadtrallye“ schon angesprochen. Sie liegt uns am Herzen, auch weil es damit erstmals einen eigenen Programmpunkt für Jüngere gibt. Die Teilnehmer der „Stadtrallye“ haben rund 12 „Stationen“ angelaufen. Der erste Ort auf der Liste – Sie haben ihn ebenfalls bereits erwähnt, lieber Herr Bürgermeister Müller – ist der Bendlerblock und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Hier hat die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister am 1. Juli die neue Dauerausstellung eröffnet. In ihrer Eröffnungsrede sagte die Kanzlerin (ich zitiere), dass es „unerlässlich ist, dass junge Menschen lernen, welches Leid von Deutschland ausging, dass sie verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass sie extremistische Denkweisen entlarven können, dass sie für sich Wege finden, wie sie selbst extremistischen Verführungen und Verführern entgegentreten können.“

An der Stelle möchte ich im Namen aller Angehörigen den Professoren Tuchel und Steinbach für unsere langjährige persönliche gute und intensive Zusammenarbeit danken, in diesem Jahr vor allem aber für die gelungene und von allen Seiten hochgelobte Konzeption der neuen Dauerausstellung.

Ebenfalls danken möchte ich der Konrad-Adenauer-Stiftung und hier Christian Schleicher persönlich, mit dem wir ebenfalls schon lange und intensiv zusammenarbeiten. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat die Stadtrallye organisiert. Zu Orten übrigens, die sicher nicht alle hier im Saal kennen, die es aber wert sind, auch und neben der Dauerausstellung besucht zu werden. So etwa das Museum „Blindenwerkstatt Otto Weidt“ in der Rosenthaler Straße. In seiner Besen- und Bürstenwerkstatt hat Otto Weidt u.a. Inge Deutschkron beschäftigt und ihr geholfen, zu überleben.

Es sind gerade auch diese vielen Gedenkstätten und Denkmäler, die Berlin so besonders machen. Das Interesse an Berlins Geschichte ist auch ungebrochen. Entgegen dem bundesdeutschen Trend verzeichnen Geschichtsmuseen und Gedenkstätten Jahr für Jahr steigende Besucherzahlen. Dem Senat und Ihnen, lieber Bürgermeister Müller, möchte ich im Namen aller Angehörigen danken, dass Sie das ermöglichen.

Und nun leite ich über zu Herrn Schleicher und der Konrad-Adenauer-

Stiftung zu der Siegerehrung für die heutige Stadtrallye.







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