Vorbilder der Freiheit und Menschenwürde

Emil Henk
Vorbilder der Freiheit und Menschenwürde
Ansprache des Kuratoriumsvorsitzenden der Stiftung „Hilfswerk 20. Juli 1944“, Emil Henk, am 19. Juli 1958 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Wer vor diesen Mauern steht, weiß, dass kaum sonst wo in der Welt so viel menschliches Leid zusammengekommen ist, wie hier, wo die Opfer des Dritten Reiches in Haft saßen und in einem schrecklichen Gang ihr Leben ließen. Menschen und Leid und Geschichte sind an diesem Ort dasselbe.

Über den einzelnen Menschen hinaus aber begegnet man in Plötzensee dem Geheimnis des totalen Staates: Er benutzt die Macht und den Tod als Regenten des Lebens. Die Nachtseite des Daseins beherrscht die Existenz. Hier, an diesem Ort, versinken die Namen der unzähligen Einzelnen und sichtbar wird ein Stück des Leidens unseres ganzen Volkes und der Schmerzensgang einer ganzen Nation.

Wir wissen, und die Welt, ja unser eigenes Volk soll es hören: Hier an diesem Ort wurden die geistigen Träger einer ganzen Generation hingerichtet, Menschen, die in eine tragische Weltlage hineingeboren wurden. – Es waren die Menschen, die im europäischen Raum als erste den Zusammenstoß des freien Menschen mit dem totalen Staat durchzuführen oder zu erdulden hatten.

Und welch eine Fülle von Geist, von politischem Verstand, von kultureller Höhe und auch von tiefer religiöser Existenz ging hier einen letzten, unsagbar schweren Gang.

Sie waren wohl alle Vorbilder der Freiheit und Menschenwürde und darunter waren einige Unvergessliche, die versucht hatten, eine tragische Weltgeschichte zu ändern. Sie alle, die hier in den Tod gingen, haben in der großen Verrechnung von Mensch und Geschichte Ungeheures gewollt und auch Ungeheuerliches erlitten.

Wir grüßen in dieser Stunde unsere toten Freunde, die bekannten und die zahllosen unbekannten und verneigen uns vor ihnen, denen die Freiheit des Menschen und Würde und Freiheit eines Volkes mehr war als Sicherheit und Glück des eigenen Lebens.