An die Opfer des deutschen Widerstandes

Hans Koschnick

An die Opfer des deutschen Widerstandes

Gedenkrede des Bürgermeisters a. D. Hans Koschnick MdB am 20. Juli 1989 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Wir sind hier zusammengekommen, um der Frauen und Männer zu gedenken, die vor 15 Jahren ihr Leben einsetzten, um dem mörderischen Wüten eines totalitären Unrechtssystems ein Ende zu bereiten.

Zusammengekommen in einem Jahr, das uns besonders mit den schrecklichen Folgen eines in unglaublicher Verblendung begonnenen Krieges konfrontiert. 50 Jahre ist es her, dass mit dem Hitlerschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann; ein Weltkrieg, der Europa verwüstete, Millionen von Menschen in Not und Leid stürzte, nationale Grenzen verschob und letztlich diesen Kontinent in zwei Gesellschaftssysteme spaltete.

Manche mögen sich fragen, warum diese Verbindung beider Daten, des 1. September 1939 und des 20. Juli 1944, ist das nicht gar zu willkürlich? Doch wer die Geschichte des deutschen Widerstandes nachvollziehen, über Motivation und Zielsetzung reflektieren will, muss sich mit beiden Daten beschäftigen. Schließlich stehen am Anfang des Kampfes gegen die sich etablierende braune Diktatur die fast in Vergessenheit geratenen Namen derer, die schon Anfang der 30er Jahre warnten: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ und die deshalb gleich nach der Usurpation der Staatsmacht durch das Nazi-Regime aktiven Widerstand leisteten.

Die Warnungen und Proteste engagierter Christen, die in der Verletzung des „Inneren Friedens“ durch Rassengesetze, Meinungsterror und Diskriminierung politisch Andersdenkender die Vorboten einer auch gewaltsamen Unrechtspolitik gegenüber dem Ausland erkannten, wurden ab 1937 von nicht wenigen Kräften eines anfangs politisch nicht so kritischen, überwiegend nationalen oder konservativen Lagers geteilt. Gerade sie, die von Herkunft und Tradition geprägt einer staatsbürgerlichen Emanzipation im Rahmen republikbewusster Politik eher skeptisch – wenn nicht ablehnend – gegenüberstanden, hatten später aktiven Anteil an der Vorbereitung und Durchführung des 20. Juli 1944. Triebfeder ihres Handelns war die Sorge um die Erhaltung des Friedens, die Hoffnung auf Wiedererlangung individueller Freiheit und rechtsstaatlicher Sicherheit.

Hatten diese konservativen Kräfte am „Tage von Potsdam“ (21.3.1933) gehofft, die Energien einer nationalistischen Bewegung in Bahnen nationaler – nicht nationalistischer – Politik zu lenken und Exzesse populistischen Machtrausches durch die Unabhängigkeit der Reichswehr als einzigem bewaffneten Machtträger des Staates einzugrenzen, so wurde ihnen im Laufe der Jahre klar, dass das ein Trugschluss war. Wer sich deshalb nicht von den Tageserfolgen Hitlers berauschen ließ, wer nicht auf Ansehen und Aufstieg in einem immer erkennbarer werdenden Unrechtsstaate setzte, der begann sich von den Machthabern jener Zeit und ihrer Politik abzusetzen.

Absetzen, das bedeutete für den größeren Teil der jetzt Einsichtigen den Rückzug ins Privatleben. Da Widerstand gegen die Obrigkeit nicht zu den überlieferten Werten gehörte und für sie immer noch mit dem Odium des Verrats belehnt war, schien der Abschied von der Politik eine adäquate Antwort, war das Privatisieren eine für sie angemessene Reaktion auf die Unbill der Zeit.

Absetzen bedeutete für einen anderen Kreis die „innere Emigration“, war passive Resistenz. Diese Form der Ablehnung zeigte sich in großen Teilen früher einmal politisch engagierter Arbeitnehmerschaft. Man fand sie bei Christen, die wegen der NS-Ideologie und ihrer unübersehbaren staatlich geförderten Einwirkung auf die Kirchen nicht mehr mitmachen wollten, und ebenso bei bewussten Anhängern des nationalliberalen und konservativen Lagers.

Der Übergang vom passiven zum aktiven Widerstand war fließend. Die sofortige Aufnahme eines aktiven Widerstandes, die Arbeit im Untergrund gleich nach 1933, war – wenn überhaupt – nur den geschlossenen Gruppen und Einzelpersönlichkeiten aus dem überzeugten republikanischen Lager der Weimarer Zeit eigentümlich. Diese wollten zurück zu demokratischen, zu selbstverantworteten gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Sie wollten das System beseitigen.

Die Hinwendung zu aktivem Widerstand erfolgte in konservativen Kreisen in Schritten. Zunächst bemühte man sich, Freunde, Standesgenossen, Partner aus Wirtschaft und Beruf, Vertreter der Wissenschaft für ein gemeinsames Aufbegehren zu gewinnen. Gemeinsame Aktionen sollten die Offenlegung einer zwangsläufig zum Kriege führenden Politik bewirken; man erwartete Einsicht und Korrektur eines unheilvollen Weges und dachte zunächst nicht an einen Umsturz.

Wir wissen, dass diese Hoffnungen auf Einsicht sich nicht erfüllten. Die äußeren Umstände sprachen gegen alle Bemühungen, dem politischen Machtrausch entgegenzuwirken. Hitler erhielt vom Ausland alles das, was den Demokraten der Weimarer Republik verwehrt oder nur in kleiner Münze zugestanden wurde. Seine Politik schien gerade die erfolgversprechendste Vertretung deutscher Interessen gegenüber dem Ausland zu sein. Die Warnungen vor den Folgen seiner Politik wurden in den Wind geschlagen; sie waren wenig erfolgversprechend bei der breiten Zustimmung der Bevölkerung zur damaligen Führung des deutschen Staates.

Das klare Bewusstsein, dass mit Anwendung von Gewalt keine dauerhaften Friedenslösungen zu erreichen waren und der „Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ keinen Bestand mehr hatte, bei gleichzeitiger Erkenntnis, dass die Überschätzung der eigenen Kräfte und die Unterschätzung der Kräftemobilisierung des demokratischen Europas im Kriegsfalle nur zu neuen katastrophalen Ergebnissen für die deutsche Nation führen mussten, bewegte frühzeitig Männer wie Beck und Goerdeler.

Aus den Berichten der Angehörigen und Freunde, aus den Unterlagen der Archive und aus wissenschaftlichen Dokumentationen, ja selbst aus den Berichten des Reichssicherheitshauptamtes (nach dem Scheitern des Attentats) wissen wir, was die Frauen und Männer des Widerstandes umtrieb, was sie bewegte!

Ihre zu Recht gehegten Befürchtungen, Hitler werde Deutschland in den Krieg führen, und ihr Wissen, dass dann das Vaterland am Ende schlimmer geschunden und geschwächt sein würde als am Ende des Ersten Weltkrieges, trieb sie zur Tat, ließ sie nach Gleichgesinnten Ausschau halten. Und sie gewannen Männer aus dem militärischen Führungsbereich, der Staatsverwaltung und der Wirtschaft. Sie verbanden sich mit Vertretern der demokratischen Parteien der Weimarer Republik; auch stießen Männer der Kirche zu ihnen, die, wie Bonhoeffer, nicht nur aus religiöser, sondern auch aus politischer Motivation Widerstand leisteten.

Bei aller Gefährdung, die allzu breite Diskussionen über eine bessere Zukunft mit sich bringen konnten, fand man sich in der engeren und weiteren Familie gestärkt und getragen. Manche Aktivität ging auch vom Engagement der Frauen aus, die ihrerseits dem Regime wegen seiner Gewaltpolitik, seiner Friedlosigkeit in nicht nachlassender Ablehnung gegenüberstanden und dabei ihr Leben ebenfalls aufs Spiel setzten.

Die Betroffenheit der Kräfte des Widerstandes, den Einmarsch in die Tschechoslowakei und den von ihnen befürchteten Ausbruch des europäischen Krieges nicht verhindert zu haben, blieb auch nach den ersten Blitzkriegserfolgen ungetrübt. Ihr Mitleiden wegen der Geschehnisse an der Front und hinter der Front, ihr Entsetzen darüber, wie das Regime in den besetzten Gebieten wütete, wie Ausbeutung, Mord und Vernichtung von unbeteiligten Menschen – nur wegen ihrer Abstammung oder Nationalität – Praxis und wie das Ansehen des deutschen Volkes dadurch von Tag zu Tag mehr verspielt wurde, führte schließlich zu Überlegungen und dann zu Schritten, die in ursprünglich tradierten Wertvorstellungen keinen Platz hatten.

Der Schritt weg von der vermeintlichen Staatsräson hin zum aktiven Widerstand, die Diskussionen um die Pflichten aus der Eidesbindung und die Problematik eines Anschlages auf eine zwar verbrecherisch erkannte, gleichwohl aber von breiten Schichten akzeptierte Führung, verlangte eine Gewissensentscheidung, die den Einzelnen aus dem bisherigen Konsens seiner Gesellschaftskreise heraufführte. Einsamkeit war ein Preis dieser aus Gewissenspflicht gewachsenen Entscheidung – und sie war nicht leicht zu tragen.

Wer, wie ich, gleich nach 1933 den Gang des Vaters durch Gefängnis, Zuchthaus und KZ sowie die nachfolgende polizeiliche Überwachung erlebte, dabei auch von der Mutter für längere Zeit wegen ihrer Inhaftierung getrennt war, weiß um die Einsamkeit der Eltern, auch um die bohrenden Fragen im Freundeskreis nach dem Sinn des Widerstandes – mindestens in Bezug auf die Folgen für die Familie. Die Gewissheit, das auszuhalten, die Hoffnung, dass letztlich doch die Familie den Weg gut heißt, ist heute leicht gesagt; damals verlangte es viel: von allen dadurch Betroffenen!

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,

die Versuche der Widerstandsgruppen aus der Arbeiterbewegung, aus der Jugendbewegung und der studentischen Generation, aus den Kirchen sowie aus den Kreisen, die sich anfangs nur auf den „Tag danach“, auf den Neuanfang nach einem befürchteten schrecklichen Kriegsende vorbereiteten, ließ bei allen die Erkenntnis reifen, dass in dem Machtsicherungssystem des „Dritten Reiches“ nur ein Umsturz der Verhältnisse möglich sein würde, wenn die Wehrmacht dazu bereit wäre. Auf eine Hand voll entscheidender, aber auch die Befehlsstruktur des Militärs tatsächlich beeinflussende Männer wurde dabei gesetzt. Man fand in Claus Graf Schenk von Stauffenberg und seinen Freunden die Gruppe, die bereit war, den entscheidenden Schritt zur Entmachtung der Staatsführung zu gehen. Sie wollten zugleich dafür sorgen, dass die Truppe für eine bestimmte Zeit zur Gewährleistung der Sicherheit im Innern zur Verfügung stand. Ohne Truppenverbände schien sonst ein Bürgerkrieg unausweichlich und damit der Verlust der Friedensfähigkeit gegenüber den Alliierten zwangsläufig. Insoweit gab es nur eine Chance zur Beendigung der braunen Herrschaft, und das war die von patriotischen und verantwortungsbewussten Offizieren getragene Bereitschaft zur Tat!

Dass diese Tat ihre besondere Absicherung durch die Einbindung von Repräsentanten der früheren Arbeiterbewegung wie der demokratischen Parteien der Weimarer Zeit sowie von tragenden Kräften aus der Verwaltung und der Wirtschaft benötigte, war unbestritten. Zwar war anfangs die Einbeziehung der Vertreter der Arbeiterbewegung nicht unumstritten, doch gerade die zur Tat bereiten Offiziere und jüngere Repräsentanten des bürgerlichen wie konservativen Widerstandes drängten auf eine Bündelung aller Widerstandskräfte. Sie gelang! Einte doch die Ablehnung des Terrorsystems und die Verzweiflung über die Verbrechen am eigenen Volk wie an den Menschen anderer Nationen die unterschiedlichsten Gruppierungen. Alle wollten der Gewaltherrschaft Einhalt gebieten, den Krieg beenden und dem Ausland beweisen, dass es auch ein „anderes Deutschland“ gab, welches Partner für die notwendige Friedenslösung sein konnte. Dafür war sie bereit, mit ihrem Leben einzustehen. Die Konzeption künftiger Staatsordnung war deshalb nicht vorrangig; die Auseinandersetzung darüber wurde bis nach dem erhofften Friedensschluss vertagt.

Verehrte Anwesende!

„Denn über alle Schmach des Krieges

geht die der Menschen,

von ihm nichts mehr wissen zu wollen,

indem sie zwar ertragen, dass er ist,

aber nicht, dass er war.

Die ihn überlebt haben, ihnen hat er

sich überlebt.“

Das sagte vor Jahrzehnten der sprachgewaltige Karl Krauss.

Dieses vorausgeschickt, frage ich mich, ob das der Grund ist, warum bei uns in so geringem Maß Geschichtsbewusstsein präsent ist? Bei aller Notwendigkeit der Aufarbeitung unserer Geschichte stellen wir überwiegend nur die dunklen Taten dieser Zeit in den Mittelpunkt der Betrachtung, ohne gleichzeitig auf die hellen Zeichen eines besseren Deutschland auch und gerade in diesen schrecklichen Tagen zu verweisen. Die Widerstandsbewegung hat solche Zeichen gesetzt. Bei all unserer Scham über das, was im deutschen Namen angerichtet worden ist, stehen doch die Frauen und Männer, die ihr Leben ließen, für ein anderes Deutschland. Sie handelten, um im Sinne von Henning von Tresckow zu sprechen, „aus Gewissenspflicht, ohne Sicherheit auf Erfolg, damit im eigenen Volk die Hoffnung auf eine bessere Welt weiterleben kann und die Zukunft nicht im Trümmerfeld der Schuld zermalmt wird.“

Ich stelle diese Frage auch an mich und meine Freunde nicht anders, wie ich sie an die anderen demokratischen Gruppierungen in unserem Lande richte. Haben wir eine Mitverantwortung für die neue Geschichtsbestimmung auf Seiten des „rechten“ politischen Lagers, weil wir die Darstellung des Widerstandes zu lange in die Seminare wissenschaftlicher Hochschulen verbannt oder nur als Teil staatsbürgerlicher Erziehung gesehen haben, ihn aber nicht als stets gegenwärtiges Erlebnis sichtbar werden ließen? Oder liegt es daran, dass für nicht geringe Kreise unserer Bevölkerung der Widerstand gegen die „braune Diktatur“ immer noch nicht gesellschaftsfähig ist? Zwar haben die Verfassungsväter nach 1945 den Widerstand gegen ungerechte und totalitäre Gewalt zur Verfassungspflicht gemacht, doch wurzelt dieser Auftrag anscheinend nicht tief. Anders ist es doch nicht zu verstehen, dass Franz Schönhuber, der Anführer der wieder hochgespülten Rechten, der „Republikaner“, ohne wesentliches Aufbegehren der Medien sagen durfte:

„Mir steht der Arbeiteraufstand des 17. Juni näher als der 20. Juli. Der Aufstand der Arbeiter dort drüben jenseits der Mauer war der Aufstand eines Volkes. Der 20. Juli war ein Putsch, wenn auch mit vielen ehrenwerten Herren“.

Hier finden wir doch wieder die alte Einstellung nicht nur von Stammtischstrategen. Honorig ist Widerstand nur, wenn er sich gegen ein kommunistisches Regime richtet. Verwerflich dagegen, zumindest weniger honorig, der Widerstand, der sich gegen verbrecherisches Wüten einer angeblich nationalen Führung richtete. Diese Herabwürdigung des Opferganges engagierter Patrioten als Abenteuer von Putschisten hat Methode. Obwohl vielfach geübt, nimmt das demokratische Deutschland das nur kopfschüttelnd zur Kenntnis – statt auch hier den Anfängen zu wehren!

Sind denn die „Republikaner“ oder ihre Partner im Geiste, die „Deutsche Volksunion“, wirklich nur eine Sammlung unverbesserlicher Gestriger? Ist ihr Aufbegehren: „Genug von der deutschen Schuld“ wirklich nur eine Leugnung der Singularität einer Politik, deren Synonyme Auschwitz und Treblinka heißen – oder ist das mehr? Dieses für mich nicht nachvollziehbare Leugnen eines geschichtlich gesehen einmaligen Vernichtungswillens gegenüber den jüdischen Menschen in Europa ist wirklich mehr als bestürzend. Auch die Verblendung in Bezug auf die Verfälschung der übrigen Gewalttaten des NS-Regimes, das „Nicht-zur-Kenntnis-nehmen-Wollen“ der Konsequenzen eines total geführten aber auch total verlorenen Angriffskrieges gleicht einem Menetekel. Ein bewusster Verzicht auf Wahrhaftigkeit gegenüber der Geschichte und damit Verantwortungslosigkeit gegenüber der kommenden Generation kennzeichnet diese Haltung. Ich betone das nicht, weil ich Angst habe, es könnte uns schon heute eine national-extremistische Flut überschwemmen, und auch nicht allein wegen der heute schon spürbaren verheerenden Wirkung auf das Ausland, sondern weil wir uns mögliche Gefahren für die Zukunft unseres Volkes hätten ersparen können, wenn wir das Ringen, die Last und die Verantwortung der Frauen und Männer aus dem Widerstand im öffentlichen Bewusstsein präsenter gehalten hätten!

Waren und sind wir nicht schon wieder auf dem besten Wege, die Fehler von Weimar zu wiederholen? Wächst nicht der ideologische Grabenkrieg stärker als die Bindungskräfte, die uns aus dem Widerstand überliefert wurden? Haben wir hier schon ein Teil dieses pflegebedürftigen Erbes verspielt? Sind wir in den letzten Jahren wirklich miteinander den Weg des Gedenkens und des Bedenkens gegangen, der eigentlich als Verpflichtung aus gemeinsamer Not uns aufgegeben war, und ist nämlich nicht aus tagesopportunistischen Gründen, aus bloßem Schielen nach Wählergunst das preiszugeben, was Widerständler aller Schichten und aller Kreise einte? Forderte nicht ihr Opfer von uns rechtzeitig, dem Ungeist zu widerstehen und der Wahrheit – auch der unpopulären – eine Gasse zu schlagen?

Und das bedeutet auch für mich, das Anwachsen extremistischer Stimmen strategisch nicht in das Kalkül wahltaktischer Überlegungen zu Lasten des einen oder anderen Lagers einzubeziehen, sondern gemeinsam der freiheits- und rechtsstaatschädlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Gerade weil uns Demokraten mehr eint als trennt, dürfen wir jetzt nicht in Passivität verfallen oder unsere tagespolitischen Süppchen kochen. Und das bedeutet für das ansonsten notwendige Ringen um den besseren Weg, jedenfalls in dieser Frage zusammenzustehen und gemeinsam zu streiten. Hier sind wir alle von den Opfern des Widerstandes in die Pflicht genommen.

Nur so kann eine unreflektierte Reaktion ob des Stimmenzuwachses für die neue Rechte vermieden, deutschtümelnde Bekundungen nach dem Motto: „Wir sind doch wieder wer“ als Bramarbasierung entlarvt werden. Nur so kann der wieder aufgeflammten unseligen Diskussion über den Fortbestand des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 ein notwendiger Halt entgegengesetzt werden. Diese Beschwörung einer vermeintlichen Rechtsposition schreckt doch alle europäischen Nachbarn und führt zur Sorge über die erneut unruhigen Deutschen. Will man denn nicht wahrhaben, dass die Antwort der Nachbarn in Nord und Süd, in Ost und West nur eine vertiefte Skepsis ist gegenüber dem legitimen Wunsch der Deutschen, in einem – wie auch immer gestalteten – gemeinsamen Staatsverband zu leben? Hat denn Andreotti, der große italienische Christdemokrat, nicht die Vorstellungen unserer Nachbarn richtig artikuliert, als er betonte, dass die Zweiteilung der deutschen Nation der Friedensstabilisierung in Europa dient (und dabei unausgesprochen hinzugefügt: jedenfalls solange die Deutschen die nach 1945 gefundenen Grenzen infrage stellen?). Wer glaubt, mit solchen und anderen populistischen Positionen den extremen Kräften den Boden zu entziehen, täuscht sich sehr; er fördert nur ungewollt den Nährboden für extremistische Politik.

Dies ist nicht nur ein Appell an eine Seite; wir alle unterliegen gar zu häufig dem opportunistischen Trieb, Stimmungen nachzugeben, und sollten deshalb sorgfältiger im Umgang miteinander sein. Schließlich haben wir alle den „Stein der Weisen“ nicht gefunden. Ewige Wahrheiten werden in der Politik nicht verkündet; Grundwerte und Grundpflichten bestimmen in der staatlichen Gesellschaft das Zusammenleben wie die Auseinandersetzung um den richtigen Weg in eine hoffentlich weiter friedliche Zukunft. Und dieses Miteinander verlangt den offenen Austausch der Gedanken; Pluralismus nicht Einheitlichung, aber auch nicht Einerlei ist angesagt.

Diese Besinnung auf das notwendige pluralistische Miteinander ist die angemessene Antwort auf die Herausforderungen der Zeit, zugleich aber auch die Konsequenz aus den Hoffnungen und Erwartungen der Frauen und Männer des Widerstandes.







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