Das Werk mutiger Einzelner

Eduard Oswald

Das Werk mutiger Einzelner

Ansprache des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Eduard Oswald am 20. Juli 1998 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße, Berlin

Sehr geehrte Familienangehörige der Opfer des 20. Juli 1944,

sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen der Bundesregierung darf ich Sie zu dieser Feierstunde aus Anlass des Gedenkens an den 20. Juli 1944 sehr herzlich begrüßen.

Das Gedenken an diesem Tag ist Ausdruck unserer Achtung und unseres Dankes an die Männer und Frauen, die das Attentat auf Hitler gewagt, ihr Leben dafür eingesetzt und in den meisten Fällen auch verloren haben.

An diesem Tag offenbarte der Nationalsozialismus in besonderer Weise sein wahres Gesicht. Gewaltherrschaft und die Verachtung menschlicher Würde und Existenz demonstrierten sich im Exzess an denen, die ihn gerade wegen dieser Perversionen mit letzten und verzweifelten Mitteln beseitigen wollten. Dass es im Falle des Scheiterns so kommen würde, war wohl allen klar, die den Widerstand wagten. Henning von Tresckow sagte am Tag nach dem gescheiterten Attentat und wenige Stunden, bevor er sich das Leben nahm, um seinen Mördern zu entgehen: „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben.“

Wir befinden uns hier an einem Ort, der die ganze Geschichte Deutschlands in diesem Jahrhundert wie ein Brennglas bündelt und spiegelt. Er symbolisiert in besonderem Maße Licht und Schatten deutscher Geschichte.

Es ist der Ort, wo Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften ermordet wurden sowie Ludwig Beck in den Freitod getrieben wurde. Aus tiefer christlicher Gläubigkeit heraus machten sie den 20. Juli 1944 zum Aufstand des Gewissens.

Politischer Widerstand sowie Vorbereitung und Ausführung des Attentats waren letztlich das Werk mutiger Einzelner, die auf verschiedenen Wegen und Umwegen zum Widerstand gekommen waren.

Sie waren Offiziere und Arbeiter, Staatsbeamte und Pfarrer, Adelige und Gewerkschafter, Parlamentarier der Weimarer Republik und Studenten. Sie kamen aus unterschiedlichen politischen Richtungen. Der Widerstand gegen das totalitäre und menschenverachtende System hat sie zusammengeführt. Sie alle stimmten überein in der Forderung nach Menschenwürde, nach Glaubens- und Gewissensfreiheit, nach Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit, nach friedlicher Zusammenarbeit mit allen Völkern. Ihr Ziel war es, Freiheit und Würde des Menschen wiederzugewinnen und eine Staatsordnung zu errichten, die diese sicherte.

Der Versuch dieser Männer und Frauen, das terroristische Regime der Nationalsozialisten von innen heraus zu bewältigen, war eine Rehabilitation des deutschen Namens in der Welt. Es war eine Demonstration, dass das „andere Deutschland“ Fortbestand hatte.

Die humanistischen und freiheitlichen Traditionen unserer Geschichte waren verschüttet; der Widerstand hat damit begonnen, sie wieder freizulegen – insofern hat er Maßstäbe gesetzt, an denen die Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet ist und sein muss.

Wir schulden diesen Menschen dafür höchsten Respekt und bleibendes Gedenken.

Die Bundesregierung hat sich ganz bewusst dafür entschieden, mehrere zu Zeiten der nationalsozialistischen Herrschaft errichtete Gebäude einer demokratischen Nutzung zuzuführen. Denn durch Abriss und Beseitigung kann man Geschichte nicht ungeschehen machen, sondern man vermeidet lediglich die beständige Konfrontation und macht damit das Grauen des Geschehenen unfruchtbar für die Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft.

Der Bendler-Block als Ort des Gedenkens ist vor allem mit dem deutschen Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verbunden. Aus diesem Grunde war es richtig und notwendig, dass die Gedenkstätte Deutscher Widerstand hier errichtet wurde.

Die Menschen, die in diesen Gebäuden arbeiten werden, sollen beständig an ihre Verantwortung erinnert werden.

Die Nutzung dieser Gebäude verdeutlicht unsere Bereitschaft, ja unsere Verpflichtung, die Vergangenheit nicht unter den Tisch zu kehren. Wir wollen Orte erhalten, wo die Erinnerung uns innehalten lässt.

Wir müssen die Widersprüchlichkeiten unserer Geschichte für künftige Generationen bewahren.

Denn auch damit tragen wir dem großen Vermächtnis der Männer und Frauen des 20. Juli 1944 Rechnung. Denn dies sind wir den Opfern dieses Tages schuldig.






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