Der Widerstand gegen Diktatur und Unterdrückung ist niemals umsonst

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Harald Wolf

Der Widerstand gegen Diktatur und Unterdrückung ist niemals umsonst

Ansprache des Berliner Bürgermeisters Harald Wolf am 20. Juli 2008 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße, Berlin

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

heute jährt sich zum 64. Mal der Tag, an dem sich tapfere Männer und Frauen gegen Hitler erhoben. Der 20. Juli: Das war ein Aufstand des Gewissens und ein Aufstand auf jede Gefahr. Eine kleine Gruppe mutiger Verschwörer stellte sich der entfesselten Barbarei entgegen.

Es besteht inzwischen ein Konsens, dass die Verschwörer um Claus Graf Schenk von Stauffenberg und der Widerstand gegen das Naziregime das geistig-moralische Fundament unserer Republik legten: für Freiheit, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit im Innern, für Frieden, Ausgleich und europäische Integration in der Beziehung zu unseren Nachbarn.

Dass wir in dieser Weise das Vermächtnis des 20. Juli ehren, ist wichtig für unser historisches Selbstverständnis. Wir müssen wissen, auf welchen Schultern wir stehen und welch hohen Preis die Wegbereiter eines freiheitlich-demokratischen Deutschland gezahlt haben.

Wir gedenken am heutigen Tag der Verschwörer des 20. Juli, wir erinnern zugleich daran, dass es auch andere Menschen gab, die dem organisierten Unrecht nicht tatenlos zusahen.

Das waren Menschen und Gruppen, die sich in den Jahren 1933 bis 1945 gegen die nationalsozialistische Diktatur gewehrt und ihre Handlungsspielräume genutzt haben.

Das waren Christen, Juden und Atheisten. Es waren Gewerkschafter und Angehörige bürgerlicher Gruppen, Sozialdemokraten, Kommunisten und Anarchisten.

Und Widerstand: Das waren Menschen, die Zivilcourage im Alltag zeigten und zum Beispiel Juden beim Überleben im Untergrund halfen. „Stille Helden“ hat Inge Deutschkron sie genannt. Ohne diese „Stillen Helden“ wäre sie heute nicht mehr am Leben.

Der 20. Juli erinnert uns vor allem an jene, die alles riskierten, um Deutschland von einer verbrecherischen Gewaltherrschaft zu befreien.

Zwischen widerständigem Verhalten im Alltag und dem aktiven Hinwirken auf einen Umsturz liegen Welten. Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit: Die aufrechte Weigerung, sich in den Strudel der Unmenschlichkeit hineinziehen zu lassen.

Davon zeugt besonders der Widerstand, den die Männer und Frauen des 20. Juli geleistet haben. Er war ungeheuer radikal, weil er jedem Einzelnen nicht nur äußersten Mut, sondern auch die Bereitschaft zu einer qualvollen Gewissensprüfung abverlangte.

Das galt vor allem für die zahlreichen Offiziere als größte und wichtigste Widerstandsgruppe des 20. Juli. Sie waren zu unbedingter Loyalität verpflichtet. Aber sie waren auch zu ethischem Denken und ethischem Handeln erzogen worden. Daraus erwuchs ein Konflikt zwischen auferlegter, absoluter Gehorsamspflicht und dem eigenen Gewissen, das immer vernehmlicher zu ihnen sprach.

Wenn wir heute in den Briefen und Aufzeichnungen der Männer und Frauen des 20. Juli lesen, dann ist dieser Abgrund stets spürbar, aber mehr noch eine enorme moralische Kraft, die am Ende alle Zweifel überwindet.

Nicht nur um das eigene Leben und das ihrer Angehörigen mussten die Verschwörer fürchten. Sie fürchteten auch, dass ihre unerhörte Tat folgenlos blieb. Gewiss: Der Umsturz ist gescheitert. Aber auch nach mehr als sechs Jahrzehnten stechen der Mut und die moralische Integrität der Männer und Frauen des 20. Juli aus der deutschen Geschichte heraus.

Der Umsturzversuch war nicht umsonst. Die Tragik des Scheiterns öffnet unseren Blick auf die Menschen und ihre Motive. Die Männer und Frauen des 20. Juli haben in Deutschlands dunkelster Stunde ein Zeichen gesetzt. Ein Zeichen für Freiheit und Menschlichkeit.

Wir können aus ihrem Beispiel lernen, dass Mut, Verantwortungsbewusstsein und Zivilcourage Werte sind, die man erkämpfen muss und für die man kämpfen muss.

Wir können lernen, dass Widerstand gegen Diktatur und Unterdrückung niemals umsonst ist – nicht einmal in scheinbar aussichtloser Lage.

Zu erkennen, dass der Einsatz für diese Werte Voraussetzung für eine gerechte, demokratische und solidarische Gesellschaft ist – darin liegt der Sinn des Gedenkens. Aus dem Widerstand gegen ein System, das Menschlichkeit ausschloss, ist das moralische Fundament eines Staates geworden, der in seiner Verfassung die Würde des Menschen zum Bezugspunkt allen staatlichen Handelns macht. Darin liegt das Vermächtnis der Männer und Frauen vom 20. Juli sowie aller anderen, die sich Diktaturen widersetzen.

Deshalb ist es richtig und bleibt es richtig, dass wir auch nach mehr als sechs Jahrzehnten noch an den 20. Juli erinnern, stellvertretend für alle, die sich der Barbarei widersetzten. In diesem Sinne verneigen wir uns vor den aufrechten und mutigen Frauen und Männern des Widerstandes.







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