Die lebendige Ausstrahlung des Widerstandes

Achim Oster

Die lebendige Ausstrahlung des Widerstandes

Ansprache von Generalmajor Achim Oster am 20. Juli 1971 im Ehrenhof der Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße, Berlin

Es ist nicht leicht für den Soldaten, hier im lieben alten Berlin, an dieser uns teuren Stätte im Jahre 1971 ein Wort zum 20. Juli zu sagen, das nicht alte Wunden aufreißt und damit neue Probleme schafft – denn zu weit haben wir uns nicht nur räumlich von dem entfernt, was unsere Toten zu retten versuchten: Das Reich!

Und immer mehr gerät das Erinnern an diesen Aufstandsversuch gegen den Unrechtsstaat vom Jahre 1944 in die Gefahr, von Landsleuten dieser oder jener Richtung für sich in Anspruch genommen zu werden, denen eigenes Miterleben der Lage im Dritten Reich als einer einmaligen Situation unbekannt blieb.

So ist es vielleicht für unsere Zeit nützlich und auch dankbar den Männern des 20. Juli gegenüber, den Versuch zu wagen, Claus Stauffenberg und seine Freunde, die an dieser Stelle endeten, in eine Beziehung zu setzen zu unseren Tagen.

Da ist sicher vieles, das nach heutigem Maßstabe befremdet und erschreckt, weil auch das uns fern scheint: Sie waren in der Mehrzahl Soldaten aus Berufung und Passion. Manche von ihnen trugen große, in der Geschichte unseres Landes bewährte, zuweilen auch umstrittene Namen.

Sie waren keine Demokraten in unserem Sinne, wenn auch Claus Stauffenberg in einem Hause groß geworden war, in dem die württembergische Königsdemokratie praktiziert wurde. Aber sie lehnten eins unerbittlich ab: Den Terror der braunen Gewalthaber!

Viele von ihnen waren Edelleute in des Wortes wahrster Bedeutung und alles Unehrenhafte hatte keinen Raum bei ihnen – aber sie hatten mit klarem Blick und wachem Sinn erkannt, dass mit dem Dritten Reich auch die ehrwürdigen Formen des alten Reiches endgültig zerbrechen würden, dass etwas ganz Neues aus diesem Inferno geboren werden müsste. Sie wussten auch um das schmerzliche Abschiednehmen von liebgewordenen Formen in ihrem Berufe wie in jedem anderen Stande. Der Drang nach dem Neuen beflügelte ihr Tun – und manchem unter ihnen lief die Uhr der Zeit zu langsam, allen voran dem schwäbischen Grafen.

In ihren Gedanken waren, wie wir wissen, große und kühne Ansätze, zu Lösungen zu kommen, um das grenzenlose Unrecht an den gepeinigten Nationen wieder gut zu machen, das durch Hitlers frevelhaft leichtsinnigen, im Tiefsten amoralischen Überfall entstanden war. Und im Kreisauer Kreis des Freundes Helmuth Moltke wurden die Gedanken vorangetrieben, die das unselige Missverstehen zwischen Führenden und Geführten beenden und einer partnerschaftlichen Lösung zuführen sollte. Gerade in unseren Tagen wissen wir, wie sehr der Geist der Erneuerer aus dem Widerstand gegen Hitler uns bei diesem Bestreben heute fehlt.

Und einige der Verschwörer hatten schon frühzeitig bewusst und in voller Verantwortung vor der Geschichte die Grenze überschritten, die ihnen die normalen Gesetze des Staates setzte, um dem Lande den Krieg überhaupt zu ersparen! So sehr hatten Soldaten aus Verpflichtung dem Volke gegenüber die Brücken hinter sich und auch ihren Familien abgebrochen. Soldaten, die in der Bewahrung von Gesetz und Befehl erzogen waren – ich meine, hier war schon umwälzend Revolutionäres geschehen in unserem Vaterlande.

So wird auch verständlich, dass eine moderne, revolutionär denkende Generation sich bei ihrem Wollen und Fordern auf Stauffenberg und die Seinen zu beziehen sucht. Und da ist manche Berechtigung in solchem Tun.

Aber hier muss nun eins gesagt werden, auch auf die Gefahr, die lebendige Ausstrahlung des Widerstandes im Dritten Reich auf unsere Tage einzudämmen und dabei Kritik herauszufordern. So sehr die Männer des 20. Juli ihr Leben einsetzten für die Wiedergewinnung der Freiheit und so sehr sie von der Notwendigkeit überzeugt waren, fundamental neue Formen in der Begegnung untereinander zu finden, so sehr wussten sie um die zwingende Bindung an das Bonum Commune. Sie wussten, dass auch die freiheitlichste Bewegung ihr Ziel nur erreichen kann in der Bindung an den Staat, der unserer aller Heimat sein und bleiben muss. Und über all ihrem Tun stand die beispielhafte Gesinnung des Dienens für die Allgemeinheit.

Dieses „ich diene“ hatte einst in Preußen seine höchste Vollkommenheit erreicht – aber seitdem war es längst auch in den anderen deutschen Ländern heimisch geworden. Und über dem Kanal ist das „wright or wrong – my country“ eine noch viel stärkere Dokumentierung dieser Gesinnung. Aber da Preußen im Inferno unterging und manch neuer Gelehrter mit dem Dritten Reich gleich Preußen mit verdammte, ist auch das schmucklose und unprätentiöse Gefühl des Dienens für den Staat außer Mode gekommen. Ich sage: außer Mode gekommen, nicht abgeschafft! Denn mancher Berufszweig, zum Beispiel der des Arztes für den Nächsten und der des Soldaten für die Allgemeinheit, kommt ohne die überzeugte und überzeugende Auffassung vom Dienen nicht aus.

Und ich sollte meinen, dass diejenigen, die in der jungen Generation so sehr dabei sind, neue Formen des Zusammenlebens zu suchen und zum Teil auch zu praktizieren, und sich dabei zuweilen auch auf den Widerstand unter Hitler als Leitbild berufen, gut beraten wären, nicht daran vorbeizusehen, dass ohne die Bindung des Dienens für die Allgemeinheit auf die Dauer keine Freiheit erkauft und gesichert werden kann.

So steht heute ein Soldat an dieser Stelle, das ehrende Gedenken des Bundesministers der Verteidigung, Helmut Schmidt, und aller Soldaten der Bundeswehr für die Gefallenen des 20. Juli 1944 zum Ausdruck zu bringen – das Gedenken der Männer, die den der Vergottung verfallenen Terrorstaat wieder zum würdigen Wohnhaus für alle seine Staatsbürger machen wollten und dabei ihr Leben ließen.

Die Soldaten der Bundeswehr werden sie nicht vergessen!






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20.07.1971
Dr. Friedrich Georgi
Dr. Friedrich Georgi