Für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte

Michael Müller


„Für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte einstehen!


Begrüßung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, anlässlich des Empfangs für die Angehörigen am 19. Juli 2018 im Roten Rathaus


Meine Damen und Herren,


ein herzliches Willkommen hier im Roten Rathaus, hier in unserem Festsaal. Ich freue mich, dass es wieder so eine große Resonanz gibt, und dass Sie, dass Ihre Familien und Angehörigen wieder am Vorabend des 20. Juli hier zusammengekommen sind, und dass wir gemeinsam diesen Abend begehen können. Sie haben ja noch einen weiteren Programmpunkt heute, aber ich freue mich sehr, dass dieser Vorempfang immer möglich ist.


Meine Damen und Herren, wir haben vor wenigen Tagen hier in diesem Saal zwei großartige Damen zu Ehrenbürgerinnen unserer Stadt gemacht, nämlich Inge Deutschkron und Margot Friedländer. Die beiden Damen, inzwischen 95 und 96 Jahre alt, wurden mit dieser Ehrenbürgerwürde auch für ihr großartiges Engagement ausgezeichnet, in dem sie immer wieder erzählen von einer schrecklichen, von einer furchtbaren Zeit, in der sie als junge Jüdinnen in unserer Stadt verfolgt wurden. Sie und ihre Familien wurden verfolgt und mussten fliehen, große Teile der Familien wurden ermordet. Sie sind ins Ausland gegangen und sind, wie im Fall von Margot Friedländer, im Alter von 90 Jahren zurückgekommen aus Amerika nach Berlin und leben jetzt wieder hier.


Und das Besondere bei diesen beiden großartigen Frauen ist, dass sie beinahe jeden Tag unterwegs sind, in unserer Stadt und auch darüber hinaus und erzählen. Sie erzählen von einer schlimmen Zeit und sie erzählen davon, wie man damit umgehen kann. Und sie sprechen vor allen Dingen mit vielen jungen Menschen und können auch authentisch berichten und können sensibilisieren. Sie können auf Missstände aufmerksam machen, sie können über Sorgen, die sie sich machen, berichten, wenn sie das eine oder andere auch heute wieder mitverfolgen und miterleben in unserer Gesellschaft.


Und, meine Damen und Herren, das ist ein Engagement, wofür ich mich auch bei Ihnen ganz herzlich bedanken möchte, weil ich weiß, dass sehr, sehr viele von Ihnen das genauso leben. Dass auch Sie als Angehörige, als Familienmitglieder der Verschwörer vom 20. Juli eben auch diesen Gedanken weitertragen und berichten können, was das in Familien ausgelöst hat. Wie man mit dieser Gewissensnot, in der sich die Attentäter ja auch befunden haben, umgeht. Was es für die Familien bedeutet aus dieser klaren Haltung, die sich am 20. Juli ausgedrückt hat, dann aber auch selbst auf einmal verfolgt zu werden als Familienangehöriger. Wie man in den Jahrzehnten danach darauf angesprochen wird und wie man damit umgeht und das auch verarbeitet, einerseits diesen Gewissenskonflikt, dann die Taten selbst, die Verfolgung, die Ermordung, alles das sind ja schwierige Lebenssituationen.


Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen dafür bedanken! Und ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass es Menschen gibt, die reden, die erzählen, die das Gespräch suchen und die genau darüber, was ich gerade angesprochen habe, reden wollen. Man denkt ja immer, es ist eigentlich alles lange her und vieles ist schon wunderbar erklärt und dargestellt worden und man hat sich doch über Jahrzehnte mit so einer schwierigen Situation auseinandergesetzt. Und wir sind ja heute auch in einer vergleichsweise komfortablen Lage, auch das kann man sagen. Man kann heute seine Meinung sagen, ohne befürchten zu müssen, dass man inhaftiert oder sogar ermordet wird, oder dass die Familie darunter leiden muss.


Und doch erleben wir, wie wichtig es ist, dass weiter diese Gespräche gesucht werden, und dass weiterhin berichtet wird. Denn es geschehen wieder viele Dinge um uns herum, die man nicht unkommentiert lassen sollte: Antisemitismus, Diskriminierung, Ausgrenzung, Rassismus. Alles das gibt es und das gibt es auch in Berlin. Antisemitische Übergriffe, diskriminierende Übergriffe gibt es leider auch in unserer Stadt. Wir erleben Populismus, Rechtspopulismus, aber Populismus kann man sagen in seiner vielfältigen Form von vielen Seiten, die wieder bedrückende Entwicklungen auslösen.


Ich bin 54 Jahre alt und bin in Frieden und Freiheit aufgewachsen. Ich habe nie etwas anderes kennengelernt als diese Demokratie, als ein offenes und freies Land und ein offenes, freies und friedliches Europa. Und auf einmal frage ich mich, ob ich und vor allen Dingen auch meine Kinder das weiter so erleben werden, weil es offensichtlich doch nicht so selbstverständlich ist, in diesem friedlichen, freien und offenen Europa zu leben. Es gibt zumindest Menschen, die arbeiten an etwas anderem. Die arbeiten wieder an Ausgrenzung, an nationalstaatlichen Interventionen und ich glaube, da müssen wir aufmerksam sein und da müssen wir vielleicht auch wieder gemeinsam unsere Stimme erheben. Und vor allen Dingen auch Menschen wie Sie sind da, so glaube ich, auch ganz wichtige Partner in diesem Zusammenhang, wenn es darum geht, eine klare Haltung auch zu vermitteln und deutlich zu machen, dass es eben schon einmal eine schlimme Zeit gab, die den Menschen genau das nicht ermöglicht hat, was heute unser Leben, unser gutes und friedliches Zusammenleben ausmacht.


Sich in diesem Sinne zu engagieren, das ist, so glaube ich, sehr, sehr wichtig und gar nicht so selbstverständlich. Ich habe ja bereits gesagt, dass es in unserer Stadt antisemitische Übergriffe gab, vor einigen Wochen zum Beispiel einen schlimmen Vorfall in Neukölln, einige von Ihnen werden das ja vielleicht auch mit verfolgt haben. Und wir alle miteinander haben uns sehr darüber gefreut, dass es dann auch eine Antwort aus der Stadtgesellschaft heraus gab, eine Demonstration vor der Jüdischen Gemeinde in der Fasanenstraße. Um die 4.000 Menschen waren da. Wir haben uns darüber gefreut. Und als wir dann am Abend nach der Veranstaltung zusammen standen, haben wir gesagt, dass eigentlich, so schön es auch ist, dass 4.000 Menschen da waren, doch hätten 40.000 kommen müssen. Es hätten sich doch eigentlich viel mehr Menschen engagieren müssen. Wenn man das dann einmal sacken lässt und man sich dann damit auseinandersetzt und es einem bewusst wird, was da eigentlich möglich gewesen wäre, dann wird einem umso mehr bewusst, wie nötig es ist, eben an jeder Stelle, an jedem Ort für Demokratie, für Freiheit, für Menschenrechte einzustehen und sich gemeinsam dafür zu engagieren. Es kann nie genug Engagement in diesem Sinne geben.


Meine Damen und Herren, in diesem Sinne ein großes Dankeschön an Sie, an Sie alle, die Sie das, so wie ich es empfinde, wie ich es eben ausdrücken wollte, mit begleiten und sehr engagierte Partner sind.


Ich freue mich darüber, dass wir heute Abend hier zusammengekommen sind, ich hoffe natürlich auch, trotz der ernsten Themen und schwierigen Diskussionen, die immer geführt werden rund um den 19. und 20. Juli, dass Sie eine schöne Zeit in unserer Stadt haben werden. Viele von Ihnen sind angereist und ich hoffe, dass Sie das Programm und die Stadt ein bisschen genießen können.


Ich glaube, bei allen Problemen, die es tatsächlich auch in Berlin gibt, ist es auch eine Stadt, die sich großartig entwickelt hat, in der man sehr gut leben kann, eine Stadt, inzwischen nicht nur der Kultur, sondern auch der Wissenschaft, denn wir werden zunehmend auch als Wissenschaftsstandort wahrgenommen. Aber eine Stadt, die sich tatsächlich auch nach wie vor rasend schnell und immer weiter verändert. 40.000 Menschen kommen jedes Jahr zusätzlich in unsere Stadt, um hier zu leben und um zu arbeiten. Es gibt immer wieder neue Kulturprojekte und Bauprojekte. Es lohnt sich, sowohl das historische Berlin kennenzulernen, sich damit auseinanderzusetzen mit den positiven wie negativen Facetten unserer Stadt, wie eben auch dieses neue, dieses Berlin der Zukunft kennenzulernen.


In diesem Sinne noch einmal ein herzliches Willkommen und viel Kraft für die Zukunft!

Weitere Reden

19.07.2018
Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück
Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück