Gewalt und Brutalität können das Unheil nicht beseitigen.

Pfarrer Gerlach

Gewalt und Brutalität können das Unheil nicht beseitigen.

Predigt von Pfarrer Gerlach am 20. Juli 1972 im Gemeindezentrum Plötzensee, Berlin

Predigttext Lukas 24, 13-23 und 28-35

Liebe Gemeinde!

Als der Wiener Grafiker und Bildhauer Alfred Hrdlicka den Auftrag bekam, einen „Plötzenseer Totentanz“ zu schaffen, tauchte die Frage auf: „Ist es nicht zu wenig, nur einen „Totentanz“ im Raum der Kirche anzubringen. Fehlt nicht ein Gegengewicht, in dem die Hoffnung des Lebens zum Ausdruck kommt? Hat die christliche Verkündigung nicht mehr zu sagen, als dass der Mensch des Menschen Tod geworden ist? Wo bleibt also die Botschaft von der Auferstehung, die das Opfer des Menschen für andere vor der Sinnlosigkeit bewahrt?“

Der Künstler kam durch diese Frage in einige Verlegenheit. Er erklärte sich außerstande, irgendeine supranaturale Auferstehungsszenerie zu entwerfen, mit der die Realität des Todes und des Opfers nicht mehr übereinstimmen würde. Im Gespräch wurde er hingewiesen auf jene Auferstehungsgeschichte von Emmaus, die wir vorher gehört haben. Und sofort fragte er zurück: „Kann der Ort Emmaus auch eine Gefängniszelle in Plötzensee sein?“ Diese Frage muss mit ja beantwortet werden; denn das Wesentliche an Emmaus ist das Brotbrechen, die Feier des Abendmahls als Zeichen des gemeinsamen Lebens mit Christus. Wo immer Abendmahl gefeiert wird, lässt Christus seinen Tod und die Überwindung des Todes zu einem neuen Leben verkündigen und gestalten.

In den Gefängniszellen von Plötzensee ist dieses Abendmahl gefeiert worden angesichts des sicheren Todes, angesichts der bitteren Notwendigkeit des Opfers, das die Hingabe des eigenen Lebens erforderte. Und wir selbst wollen heute dieses Abendmahl feiern inmitten der Szenerie des Todes, die uns umgibt.

Wir gedenken dabei all der Frauen und Männer, die ihr Leben damals für eine bessere Zukunft in die Waagschale warfen und hingaben. Wir gedenken aber zugleich auch all derer, die an anderen Orten unserer Welt ihr Leben eingesetzt haben und einsetzen, um der sinnlosen Gewalt und der sinnlosen Zerstörung menschlichen Daseins entgegenzutreten. Es ist weder recht noch sittlich notwendig, dass der Mensch des Menschen Tod wird. Unsere Welt ist keine heile Welt. Unser Leben ist kein heiles Leben. Aber Gewalt und Brutalität können das Unheil nicht beseitigen. Sie werden es höchstens verändern, aber nicht von Grund auf bessern.

Wer den Frieden will, wer wirklich heilen möchte, muss andere Wege gehen. Und einer, vielleicht sogar der einzige Weg zum Frieden und zum Heil ist der, dass ein Mensch von sich selbst absehen lernt und sein Leben einsetzt für die gute Sache, die er erkannt hat, für die Menschen, die der Hilfe bedürfen. Auf diesem Weg hat Jesus gelebt und gelitten bis zum Tod, indem er sich nicht selbst rettete, sondern starb, weil er nicht Gewalt, sondern Frieden stiften wollte: Frieden im Sinne eines besseren Zusammenlebens der Menschen. Sein Abendmahl war und ist das Zeichen dieses Friedens; es ist das Zeichen dafür, dass der Einsatz für den Frieden ein hoffnungsvolles Unternehmen bleibt. Denn was bedeutet jene Abendmahlsfeier von Emmaus anderes, als dass nun sein Werk weitergeht, dass es nicht im sinnlosen Tod versinkt, sondern zu neuem Leben erwacht unter denen, die ihm nachfolgen.

Damals waren diese Nachfolger die Jünger. Sie hatten das Werk des Friedens weiterzutreiben. Durch die Jahrhunderte hindurch folgten ihnen viele andere Menschen auf dem gleichen Weg. Auch die Opfer des 20. Juli 1944 starben für eine bessere und friedlichere Welt. Aber wer ist heute dran, das Werk des Friedens zu tun? Wir können uns nicht zurückziehen auf die Vergangenheit anderer Menschen, wenn es um diese Aufgabe geht. Wir selbst sind herausgefordert und beauftragt zu solcher Nachfolge Christi. Und die Feier des Abendmahls soll uns dazu Mut machen. Sie darf uns trösten über unser Versagen, aber auch ermutigen, den Weg des Friedens zu gehen und das Werk des Friedens an allen Menschen zu tun.

Dieser Weg in die Zukunft ist nicht hoffnungslos, solange von jenseits der Todeslinie das Brotbrechen der Emmausgeschichte in unser Leben hineinkommt. Im Sinne Jesu ist der Frieden für die Welt machbar, auch wenn das Werk des Friedens nie zum Abschluss kommt und unser Leben sich darin verzehrt oder gar geopfert werden muss.

Amen.