Heute sind wir von neuem zum Opfer gerufen.

Odilo Braun

Heute sind wir von neuem zum Opfer gerufen.

Predigt von Pater Odilo Braun am 20. Juli 1972 in der Kapelle der Grauen Schwestern, Berlin

Die Vormesse ist nun beendet und wir dürfen die eigentliche Opfer-Feier begehen. Sie enthält drei Teile: die Opferung, die Wandlung und die Kommunion. Im Abendmahlssaal nimmt Christus Brot und den Kelch mit Wein in Seine Hände und opfert sie Seinem Vater im Himmel auf. Dann verwandelt Er Brot und Wein in Seinen heiligen Leib und Sein heiliges Blut und reicht Sich selbst unter den Gestalten von Brot und Wein Seinen Jüngern in der ersten heiligen Kommunion. Das tut Er, den Karfreitag mit seinem blutigen Geschehen vor Augen. „Tut dies zu meinem Andenken, damit ihr nie vergesset, was meine Liebe tut.“

Als unsere Männer, Söhne, Väter, Brüder und Freunde und mit ihnen wir alle zum Opfer gerufen wurden, da war es ihnen und uns allen zum Heile, dass wir es nicht vergessen hatten. Wie schwer und niederdrückend war es zunächst für sie und für uns alle, als der Opfergang begonnen wurde. Sicher gab es hier und da Angst und innere Auflehnung. Dann stand der Herr vor uns und wir hörten Sein Wort: „Damit ihr nie vergesset, was meine Liebe tut.“

Angesichts Seines Opfers, dargebracht aus Liebe zu uns allen, ging dann etwas von der Größe dieses Opfers auf, bei ihnen, derer wir heute gedenken und bei uns allen. Es ging eine Wandlung vor sich: Aus Angst wurde Stärke, aus Verzweiflung wurde Bereitschaft, aus dunkler Ungewissheit wurde die lichte Erkenntnis, dass wer sich Ihm zugesellt in hoher Opferbereitschaft, nicht umsonst das Opfer bringt, dass es durch Ihn und mit Ihm und in Ihm zum Segen werden muss. Eins mit Ihm in der Bereitschaft und in der Hingabe, das war dann die Communio, das Einssein mit Ihm für immer und ewig.

Heute sind wir von neuem zum Opfer gerufen. Das Schwere an diesem Opfer ist, dass es so überflüssig erscheint, darum so bedrückend und Angst erregend. Kein Wunder, dass es zu einem Aufruhr der Gefühle kam, der sich sehr laut kundtat, ja, dass sogar ungute Worte gerufen wurden, als heute Mittag bekannt gegeben wurde, dass das Berliner Generalvikariat den gemeinsamen Gottesdienst untersagt habe. Diese Erregung kann gut verstehen, der davon weiß, wie groß die Sehnsucht der Hinterbliebenen war, an der Opferstätte ihrer Lieben gemeinsam – aber unter sorgfältiger Wahrung dessen, was jeder Konfession zu eigen ist – zu beten und die heilige Eucharistie zu feiern. So verständlich die Enttäuschung und Erregung nun auch sein mögen, wir wollen uns nicht verbittern lassen.

Auch dieses unser neues Opfer will der Herr in Sein Opfer hineinnehmen, ebenso wie er das Opfer unserer Märtyrer, derer wir heute gedenken, in sein Opfer hineingenommen hat. Wir müssen uns der heiligen Berichte erinnern: Die Pharisäer und die hohen Priester waren es, die die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen verrieten, als sie aus Eigenliebe, Herrschsucht, Neid und Hoffart den Herrn dem Pilatus zum Opfer auslieferten. Alles, was dem Herrn widerfahren ist an widerlicher Gemeinheit, an Schändung und Schmähung, das haben auch unsere Märtyrer erlitten und haben es ertragen in der Nachfolge des Herrn. So mag man auch uns schmähen und uns Böses zufügen, weil wir zu ihnen gehören. Ja, wir gehören zu ihnen auch in der Nachfolge Christi. Golgatha und Plötzensee: Bis zum Kreuz des Galgens gehen sie und verlästern die Opfer. Des Herrn Antwort: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Dieses Herren-Wort soll uns in diese Opferfeier hinein begleiten: Herr, vergib ihnen und erbarme Dich ihrer. Lass sie Deiner Gnade teilhaftig werden und vollziehe an ihnen die Wandlung, damit sie nicht der ewigen Communio verlustig werden.

Amen.