Sie haben ihr Leben eingesetzt für den Schutz der Menschenwürde.

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Peter Struck

Sie haben ihr Leben eingesetzt für den Schutz der Menschenwürde.

Ansprache des Bundesministers der Vereidigung Dr. Peter Struck am 20. Juli 2002 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin

Sehr verehrte Angehörige, sehr verehrte Damen und Herren,

zu dieser Gedenkveranstaltung anlässlich des 58. Jahrestages des 20. Juli 1944 begrüße ich Sie,

hier im Hof des Bendlerblocks wurden heute vor 58 Jahren, von Helfern eines verbrecherischen Regimes, Oberst Graf von Stauffenberg, General Olbricht, Oberst von Quirnheim, Oberleutnant von Haeften hingerichtet.

Sie hatten ihr Leben eingesetzt für den Schutz der Menschenwürde, des Rechts und der Freiheit. Sie nahmen es auf sich, ihr Gewissen mit einem Attentat zu belasten, um eine Gewaltherrschaft zu beenden. Sie nahmen es auf sich, ihre Familien zu gefährden, sie nahmen es auf sich, obwohl sie wussten, dass ihnen Folter und Tod drohten.

Der 20. Juli 1944 wurde zum Inbegriff und zum Symbol des deutschen Widerstandes gegen Hitlers Gewaltherrschaft. Das mutige Handeln der Männer des gescheiterten Attentats war, wie wir heute dankbar feststellen dürfen, eine wichtige Voraussetzung für die Rückkehr des deutschen Volkes in die Wertegemeinschaft der demokratischen Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie haben unserem Land Würde und Ehre bewahrt, die ihm ein totalitäres Regime geraubt hat. Sie waren dabei Teil einer Minderheit, die aber alle Schichten der damaligen deutschen Gesellschaft umfasste, Offiziere und Diplomaten, Arbeiter und Studenten, Bürgerliche und Adlige, Gewerkschafter und Kommunisten, Christen und Juden.

Wir ehren heute alle Opfer des Unrechtsregimes, die auf Grund ihrer Zivilcourage, ihrer Bereitschaft persönlich Verantwortung zu übernehmen, ihres Muts anderen beizustehen oder ganz einfach wegen ihrer Überzeugung und ihrer Gesinnung ihr Leben lassen mussten.

Hier im Hof des Bendlerblocks begann mit dem Mord an den vier Offizieren eine beispiellose Verfolgung all derer, ob Familienangehörige, Freunde oder Mitwisser, die in den Verdacht gerieten, mit dem Widerstand verbunden zu sein.

In der Hinrichtungsstätte des Strafgefängnisses Plötzensee, wo wir heute ebenfalls der Opfer gedenken werden, wurde die Perversion menschlichen Denkens und Handelns fortgesetzt.

Peter Weiss hat die Gräuel in seinem Buch „Die Ästhetik des Widerstands“ eindrucksvoll beschrieben. Hier wurden nicht nur Beteiligte und Mitwisser des gescheiterten Umsturzversuches vom 20. Juli hingerichtet, sondern eben Tausende von Widerstandskämpfern, Kriegsgefangenen, Deserteuren und politischen Gefangenen aus Deutschland, aber eben auch aus Tschechien, Polen, Russen, Franzosen oder Belgier.

Der nationalsozialistische Irrsinn manifestierte sich hier in seiner fürchterlichsten Ausprägung. Wir gedenken heute Menschen, die ermordet und verfolgt wurden, als eines dunkelsten Kapitels deutscher und europäischer Geschichte geschrieben wurde.

Wir gedenken ihrer, indem wir uns an solchen Tagen bewusst machen, wie gefährlich es für den Einzelnen ist, in einer Diktatur, seinem Gewissen zu folgen und für die unveräußerlichen Menschenrechte einzutreten.

Warum es wichtig ist, in einer Gesellschaft auch den Anfängen von Intoleranz, Menschenverachtung und Fremdenhass entgegenzutreten. Warum es richtig ist, jenen auf der Welt zu helfen, die Opfer sind von Staatsterror, von Vertreibung, von Unterdrückung.

Die Geschichte des im deutschen Namen begangenen Unrechts wird uns Deutsche auf Dauer begleiten. Als Mahnung für die innere Verfasstheit unseres Gemeinwesens und als politische und moralische Vorgabe für unser Verhalten nach außen.

Zu Begin des 21. Jahrhunderts steht das vereinigte und demokratische Deutschland, Seite an Seite mit seinen europäischen Nachbarn für ein demokratisches und integriertes Europa und im Kampf gegen rohe Gewalt, Vertreibung und Völkermord.

Es ist unsere Geschichte, die es verbietet, abseits zu stehen, wenn andere auf unsere Hilfe zählen. Unsere Geschichte hat es uns auch aufgegeben, die Versöhnung und den Ausgleich mit denen zu suchen, die Opfer von Nazigewalt geworden sind.

Heute Abend wird hier in Berlin erstmalig der polnische Präsident Kwasniewski an einem feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr teilnehmen. Wenn Deutsche und Polen in dieser Weise zusammenkommen bei der Vereidigung ihrer Soldaten, ist dies ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie weit wir auf dem Weg der Partnerschaft zwischen unseren Ländern gekommen sind, die Gräben der Geschichte überwunden werden können. Ich möchte an dieser Stelle auf die Sonderausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, über den bei uns wenig bekannten Warschauer Aufstand vor 58 Jahren, hinweisen. Etwa 170 000 Polen mussten dabei ihr Leben lassen, Zigtausende wurden in Konzentrationslager geschickt und ermordet oder deportiert. Noch etwas anderes wird durch die Teilnahme des polnischen Staatspräsidenten am heutigen Gelöbnis unterstrichen. Die Bundeswehr ist zu einem der wichtigen Instrumente deutscher Friedenspolitik geworden. Sie ist dabei fest, anders als die Wehrmacht vor ihr, in der Demokratie verankert, mehr noch, die verpflichtenden Ideale des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus sind eine der wichtigsten Traditionen dieser ersten demokratisch legitimierten Streitkräfte in Deutschland.

Unsere Geschichte gibt uns die Verantwortung vor, die wir wahrnehmen müssen. Es ist wichtig, dass wir am 20. Juli der Opfer gedenken. Es ist aber ebenso notwendig, die richtigen Lektionen aus unserer Geschichte zu lernen und anzuwenden. Zu wenige fanden damals die Kraft zum Widerstand gegen Gewalt und Unrecht mit verheerenden und furchtbaren Folgen für die Angehörigen des Widerstands selbst und für weitere zahllose Opfer der Nazidiktatur inner- und außerhalb Deutschlands. Heute sind Deutschland und die Bundeswehr aus historischer moralischer Verantwortung heraus solidarisch mit denjenigen, deren Menschenwürde und Freiheit bedroht sind.

Graf von Stauffenberg und seine Mitstreiter waren keine engstirnigen Nationalisten. Aus dem Widerstand gegen einem totalitärem und kriegführenden Regime entwickelte sich unter den Widerstandskämpfern bei aller Unterschiedlichkeit ihrer politischen und sozialen Herkunft die gemeinsame Vision einer europäischen Friedensordnung zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten. Toleranz, Recht und Freiheit im Innern, eine auf Frieden ausgerichtete Politik, der Wille zur Verständigung und zur politischen Stabilität in Europa nach außen – dies sind Parameter einer Politik, die wir den Frauen und Männern schuldig sind, die für diese Ideale ihr Leben gaben.







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