Stauffenberg und Moltke - Zwei der Größten im Deutschen Widerstand vor 100 Jahren geboren

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Ekkehard Klausa

Stauffenberg und Moltke - Zwei der Größten im Deutschen Widerstand vor 100 Jahren geboren

Festvortrag von PD Dr. Ekkehard Klausa am 6. März 2007 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin aus Anlass der Präsentation des Sonderpostwertzeichens „100. Geburtstag Claus Schenk Graf von Stauffenberg und 100. Geburtstag Helmuth James Graf von Moltke“

Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Helmuth James Graf von Moltke ragen im deutschen Widerstand hervor wie zwei Dreitausender in einem wolkenverhangenen Gebirge. Der eine durch die viele Menschen mitreißende Kraft seiner Täterschaft, der andere durch seine von braunem Dunst nie getrübte Klarheit der Einsicht und der ethischen Regimegegnerschaft von Anfang an.

Claus Stauffenberg wurde 1943 zum Antreiber des Widerstandes, ohne den die Tat, die äußerlich gescheiterte, aber doch moralisch befreiende Tat, nie geschehen wäre. Helmuth James Moltke wurde seit 1940 als Schöpfer des Kreisauer Kreises zum Anführer einer Großen Koalition des Anderen Deutschlands, zum Anstifter einer ethischen Neubesinnung und zum Visionär eines heute noch unerreichten Europas mit übernationaler Souveränität.

Große Koalitionen genießen in einer Demokratie, die von klaren Alternativen und starker Opposition lebt, nicht immer den besten Ruf. Aber in einer Diktatur, zumal einer die Völkermord begeht, war die Große Koalition der Regimegegner das Gebot der Stunde. Moltke brachte sie alle zusammen, zu intensiver gemeinsamer Arbeit für ein neues Deutschland: Arbeiterführer und Aristokraten, Wissenschaftler und Diplomaten und nicht zuletzt Geistliche beider Konfessionen, die damals so leicht nicht zusammenfanden.

Moltke kam dabei die intellektuelle und ethische Führerschaft zu. So sehr ich überflüssige Anglizismen verabscheue, hier würde in der Tat der unbelastete Begriff „leadership“ leichter von den Lippen gehen, ebenso wie junge Menschen, die im Ferienlager gemeinsam arbeiten, aus zeithistorischen Gründen nicht vom Arbeitslager, sondern vom „workcamp“ sprechen und Wachleute in U-Bahn und Kaufhaus selbst in unsicheren Zeiten nicht das Etikett „Sicherheit“, sondern nur „Security“ tragen dürfen.

Moltke aber war ein intellektueller und ethischer Führer, der im Dschungel moralischer Verwahrlosung einen Pfad zurück in die Zivilisation, in die Zivilgesellschaft vorzeichnete. Dabei ging es ihm, wie er 1942 an seinen englischen Freund Lionel Curtis schrieb, mehr noch als um Organisationsfragen darum, das geschändete „Menschenbild in den Herzen seiner Mitbürger“ wiederaufzurichten. Immer stärker stützte sich der ursprünglich konventionelle und damit recht weltliche Protestant auf das Christentum als letzte ethische Bastion gegen den wertnihilistischen Nationalsozialismus, der fast alle anderen Bastionen geschleift hatte.

Es waren weniger die Kirchen als Institutionen, wohl aber das religiöse Gewissen vieler Einzelner, was immer dringlicher zum Widerstand gegen Gewaltherrschaft und vor allem gegen den Völkermord aufrief. Das merkte und vermerkte auch die Gestapo in ihren Verhören der Verschwörer.

Aber dann kommt die Gretchenfrage: Wie hielten es Moltke und seine Freunde mit der Demokratie? Du, Moltke, „bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub‘, du hältst nicht viel davon.“ Viele Nachgeborene nehmen hier gern eine freundlich-herablassende Haltung ein: ja, ja, schon ganz gute Ansätze, aber erst wir haben es dann in Herrenchiemsee so herrlich weit gebracht. In Moltkes Plänen fehlen ja völlig die gehätschelten Heiligen Kühe unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die politischen Parteien.

Keine Widerstandsgruppe konnte sich damals eine Wiederbelebung der gescheiterten Parteiendemokratie von Weimar vorstellen. Tatsächlich wurde die Wiederbelebung nach dem Krieg zur Erfolgsgeschichte – mit energischer Geburtshilfe der Westalliierten. Aber das ist kein Einwand gegen die Kreisauer, dass sie nicht mit einer zweiten Chance des Parteienstaates in Deutschland rechneten, sondern von der Tatsache des Scheiterns – nicht nur in Deutschland, sondern im größeren Teil Europas – ausgingen. Außerdem hätte sogar ein Hellseher, der 1944 den Erfolg der Bonner Republik voraussah, nach einem geglückten Umsturz der Naziherrschaft nichts anderes vorsehen können als eine autoritäre Regierung zumindest für den Übergang, insbesondere für die Wiederherstellung des Rechtsstaates. Denn Hitler hätte auch zu dieser Zeit noch jede freie Wahl gewonnen.

Vor allem aber ist die Kreisauer Staatsvorstellung mehr als ein gegenüber dem Grundgesetz defizitäres Modell: So altmodisch es uns heute in Teilen erscheint, es ist doch immer noch ein interessantes alternatives Denkmodell, das gegenüber der realexistierenden Demokratie Stärken wie Schwächen hat. Es wollte die höheren Staatsebenen, die Landtage und den Reichstag, mithilfe indirekter Wahlen aus den menschennahen Selbstverwaltungskörperschaften, den von Moltke so genannten „kleinen Gemeinschaften“, aufbauen. Nur dort, in Ortschaften und Landkreisen, sollte direkt gewählt werden. Auf allen Ebenen sollten bekannte Personen und nicht Parteilisten zur Wahl stehen, um dem Demagogen in der Massengesellschaft keine Chance zu geben.

Aber auch neben diesen politischen Gebietskörperschaften wollte Moltke „kleine Gemeinschaften“ ermächtigen, nämlich ehrenamtliche Gruppen, die Gemeinwohlbelange jenseits eigener Interessen vertraten. Sie sollten sogar mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen ausgestattet werden. Können wir nicht darin einen Vorgriff auf die Rolle der Nichtregierungsorganisationen in der Zivilgesellschaft sehen?

Und was haben uns die Kreisauer Europa-Vorstellungen heute noch zu sagen? Konservative im Widerstand wie Hassell und Goerdeler wandten sich zwar entschieden gegen die Versklavung anderer Völker, wollten aber für Deutschland eine hegemoniale Einflusssphäre etwa im Sinne der alten Reichsidee erhalten.

Radikal anders, nämlich anti-hegemonial, will der Kreisauer Kreis den Neubau Europas. Theodor Steltzer brachte 1942 einen Entwurf nach Schweden. Er geht in manchem noch über den sechs Jahrzehnte danach erreichten Stand der Europäischen Union hinaus. Er will die fatale Rivalität der Nationalstaaten ein für allemal überwinden, indem er weitgehende Souveränitätsrechte auf Europa überträgt und eine echte Europaregierung vorsieht.

Fremd für uns, ja altertümlich, wirkt, dass ein christlicher Universalismus Grundlage des neuen Europas sein soll, ja dass die Kirchen sogar im Bundesrat als oberstem Europaorgan vertreten sein und ein Vetorecht gegen die Berufung höchster Amtsträger haben sollen. Das wäre mit heutigem deutschen und europäischen Verfassungsverständnis natürlich unvereinbar: die Religionsfreiheit verpflichtet den Staat und die europäischen Organe zu „respektvoller Nicht-Identifikation“, so das Bundesverfassungsgericht, mit jeder einzelnen Religionsgemeinschaft.

Aber vielleicht lässt sich auf einer höheren Abstraktionsebene die Fremdheit verringern; wenn wir nämlich nicht das Christentum, sondern die gemeinsame politisch-moralische Wertetradition Europas als Grundlage nehmen. Das ist ja wiederum ein durchaus heutiger Begriff und eine Messlatte für die Mitgliedschaft in der Union. Dass dieser Begriff nicht bloß appellatorisch sein, sondern gelegentlich auch einmal operativ werden kann, wurde offenbar, als die Europäische Union vor einigen Jahren zwar keinen christlichen Kreuzzug gegen das Heidentum, wohl aber einen politisch-moralischen gegen das Haidertum ausrief.

Moltke nimmt in seiner Europa-Konzeption den ganzen Kontinent im Geiste auseinander und setzt ihn zu einem europäischen Ganzen neu zusammen. In einer Denkschrift von 1941 schreibt er: „Der Friede bringt eine einheitliche europäische Souveränität von Portugal bis zu einem möglichst weit nach Osten vorgeschobenen Punkt, bei Aufteilung des ganzen Festlandes in kleine nicht-souveräne Staaten. [...] Einheitlich sind mindestens: Zollfragen, Währung, Auswärtige Angelegenheiten einschließlich Wehrmacht, Verfassungsgesetzgebung, möglichst außerdem Wirtschaftsverwaltung.“ Das Übergewicht der großen Nationalstaaten Deutschland und Frankreich will Moltke brechen durch Ermächtigung der überstaatlichen, aber auch der unterstaatlichen Ebenen, der föderalen Gebietskörperschaften.

Hans Mommsen, der gestrenge Kritiker aller rückwärtsgewandten Gesellschaftsbilder im deutschen Widerstand, sieht in dieser Konzeption Zukunftspotential, wenn er schreibt:

„Die Vision, dass der deutsche Föderalismus den Nukleus des europäischen darstellen könnte, mag als Ausfluss utopischen Denkens bewertet werden, und doch entfalten die Ideen Kreisaus im Hinblick auf die Zukunft Europas [...] mit einer Konzeption des Dualismus zwischen dem europäischen Gesamtstaat und den unterhalb des Nationalstaates liegenden Regionen ein bis heute nicht überholtes Lösungsmodell für den inneren Ausbau des europäischen Bundesstaates.“

Manche Historiker meinen, Moltke und die Kreisauer seien ein reiner Debattierclub und gegen praktische Aktion gewesen. Damit sitzen sie der Verteidigungsstrategie der Kreisauer vor der Gestapo auf, die längst nicht alles wusste. Zwar wurden sie hingerichtet, weil sie „gemeinsam gedacht hatten“, wie Moltke schrieb, aber in Wahrheit war Moltke ein Politiker und hat sehr viel Politik gemacht. Er baute mehr Kontakte als jeder andere im deutschen Widerstand zu europäischen Widerstandsbewegungen auf, in Frankreich, Belgien, Dänemark und Norwegen und betrieb damit gesamteuropäische Freiheitspolitik.

Auch betrieb er im ganzen Jahr 1943, seinem letzten in Freiheit, vorwiegend Außenpolitik. Er bereitete in Istanbul sogar ein Geheimtreffen mit seinem alten Freund Alexander Kirk in Ägypten vor, dem ehemaligen US-Botschafter in Berlin. Und wenn irgendjemand im deutschen Widerstand das Vertrauen der Westalliierten gewinnen und über Geheimdienstkontakte zwecks „Abschöpfung“ hinaus gelangen konnte, dann war es Moltke.

Es ist auch eine Irrlehre, dass Moltke immer gegen einen Staatsstreich war. Er hat jahrelang auf einen Aufstand der Armeeführer gehofft, bis er merkte, dass mit denen kein Staat und erst recht kein Staatsstreich zu machen war. Wenn er immer wieder die höchsten Befehlshaber in Belgien, Frankreich und Skandinavien besuchte, ist es nicht nur um völker- und besatzungsrechtliche Einzelfragen gegangen, für die er im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht als Jurist zuständig war.

Als alle diese Hoffnungen gescheitert waren, lehnte Moltke freilich ein Attentat in letzter Stunde ab, weil er eine neue Dolchstoßlegende fürchtete und eine Umkehr seines Volkes erst nach dem militärischen Zusammenbruch für möglich hielt.

Helmuth James von Moltke verband in Herkunft und Person dreierlei: die beste geistige, insbesondere rechtsstaatliche und soziale Tradition Preußens, wie sie sein Urgroßonkel verkörperte, der von ihm hochgeschätzte Generalstabschef der Reichsgründungszeit, sodann die weltbürgerlichen und liberalen Werte, die ihm seine britischstämmige Mutter vermittelte, und schließlich die Religiosität, die ihm in seinen letzten Jahren immer mehr den Weg wies. In der politisch-moralischen Finsternis der Gewaltherrschaft mit ihren Menschheitsverbrechen - und im Zwielicht, in dem auch viele Regimegegner zwischen Anpassung und Widerstand umhertappten - blieb dieser Mann ein Leuchtturm ethischer und politischer Klarheit und Konsequenz.

Sehr viel länger war Claus Stauffenbergs Weg zur Einsicht. Er war ungleich stärker als Moltke Fleisch vom Fleische seines Volkes. Nationalsozialist war er nie, aber wie Millionen von Patrioten geblendet von Hitlers außen- und sozialpolitischen Erfolgen. In seinem Herzen und so vielen anderen war Balsam auf die schwärende Wunde von Versailles, wie Hitler sich einfach nahm, was die westlichen Demokratien dem demokratischen Deutschland verweigert hatten.

Stauffenberg wählte aus Überzeugung den Soldatenberuf und machte Karriere als hochbegabter Generalstabsoffizier. General Köstring nannte ihn einmal „den einzig genialen deutschen Generalstabsoffizier, der ein würdiger Nachfolger der Feldmarschälle Moltke und Schlieffen zu werden versprach“. Er war viel zu geistig, um kommissig zu sein, vielmehr ein Liebhaber der Poesie und Jünger des Dichter-Propheten Stefan George. Dessen Aura faszinierte ihn, dessen Idee einer geistesaristokratischen Elite, genannt das „geheime Deutschland“, prägte sein Denken. Noch wenige Tage vor dem Attentat beschäftigten sich Stauffenberg und seine Freunde nicht nur mit der Redaktion der Aufrufe zum Umsturz, sondern auch mit der Überprüfung einer Übersetzung von Versen Homers.

George ließ sich, anders als andere Geistesaristokraten wie Gottfried Benn, Carl Schmitt und Martin Heidegger, von den Nationalsozialisten nicht vereinnahmen. Vielleicht waren sie ihm zu pöbelhaft, das grölende Deutschland war kein geheimes. Ob Georges Gedichte, in denen ja von Tat und Befreiung die Rede ist, mit ein Wegweiser zu Stauffenbergs Tat gewesen sein mögen?

Wenn einst dies geschlecht sich gereinigt von schande

Vom nacken geschleudert die fessel des fröners

Nur spürt im geweide den hunger nach ehre:

Dann wird auf der walstatt voll endloser gräber

Aufzucken der blutschein [...]

Wenn je dieses volk sich aus feigem erschlaffen

Sein selber erinnert der kür und der sende: [...]

Dann flattert im frühwind mit wahrhaftem zeichen

Die königsstandarte und grüsst sich verneigend

Die Hehren. die Helden!

Denkbar, dass Stauffenberg sich von solchen Versen inspirieren ließ. Ebenso plausibel wäre jedoch die These, dass die Georgesche Welt eher weltabgewandt und esoterisch als täterschaftlich gewesen ist. Vielleicht lenkte sie Stauffenberg eher von den Realitäten in Deutschland ab, die etwa seinen späteren Freund und Mittäter Henning von Tresckow schon nach kurzer anfänglicher NS-Begeisterung in die Opposition trieben. Jahre später allerdings, als die Realitäten des Holocaust sich unabweisbar aufdrängten, trug Stauffenbergs elitäres Selbstbewusstsein ganz sicher zum Tatentschluss bei, mag dieses Elitebewusstsein nun georgisch oder, wahrscheinlicher noch, eine Frucht seines Stammbaums gewesen sein. Sehr viele Adlige haben ja anfangs munter und tatkräftig an der nationalsozialistischen Verblendung und ihrer pseudoelitären Ideologie teilgehabt, haben sich aber nach später Einsicht schließlich von dem Johann Gottlieb Fichte zugeschriebenen Motto leiten lassen (das ein später Fichte-Schüler so formulierte):

„Und handeln sollst du so, als hinge

von dir und deinem Tun allein

das Schicksal ab der deutschen Dinge

und die Verantwortung wär dein.“

Ähnlich verlief Stauffenbergs Weg. Als Hitlers Aufrüstung goldene und silberne Sterne auf die Schulterstücke der Militärs regnen ließ, bedrängte ihn wohl kaum der Gedanke an die in Konzentrationslagern inhaftierten Sozialisten und Demokraten. Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne. Das widerliche Schauspiel des Kristallnacht-Pogroms fand er ekelhaft, pöbelhaft, eine Schmach für Deutschland.

Den Überfall auf Polen nimmt er rein professionell: der Krieg, so erklärt er seinem Buchhändler, von dem er sich philosophische Literatur für den Feldzug holt, sei schließlich „sein Handwerk von Jahrhunderten her“. An seine Frau schreibt er aus Polen: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk welches sich sicher nur unter der Knute wohlfühlt“.

Von prinzipieller Regimegegnerschaft kann noch lange kaum die Rede sein. Wie so viele Konservative betrachtet Stauffenberg die braunen Parteibonzen geringschätzig, steht aber noch im Banne des Führermythos. Seine einsetzende Kritik an der Führung ist vornehmlich militärfachlicher Art. Noch im Winter 1941/42 reagiert er euphorisch auf Hitlers persönliche Übernahme des Heeresoberbefehls und erhofft davon eine Besserung der Kriegslage.

Stauffenberg war also im Vergleich zu Tresckow, Oster, Beck, ganz zu schweigen von Moltke und Dohnanyi, ein Spätberufener in der Regimegegnerschaft. Heftige Kritik an den Verbrechen der Besatzungspolitik in der Sowjetunion äußerte Stauffenberg aber schon 1941. Als er aber gefragt wurde, ob er sich an einer Aktion gegen Hitler beteiligen würde, antwortete e: Während des Krieges darf man so etwas nicht machen, vor allem nicht in einem Krieg gegen die Bolschewisten. Aber dann, wenn wir nach Hause kommen, werden wir mit der braunen Pest aufräumen. Angesichts des Völkermordes an den Juden forderte er aber im Herbst 1942 die Beseitigung Hitlers. Zunächst wollte er hohe Armeeführer wie Feldmarschall von Manstein dafür gewinnen. Vergeblich. Nach seiner schweren Verwundung in Afrika erklärte der kaum Genesene im August 1943: „Nachdem die Generale nichts erreicht haben, müssen nun die Obersten handeln“. Und er handelte mit unglaublicher Energie, obwohl er bei seiner schweren Verwundung in Afrika ein Auge, die rechte Hand und zwei Finger der linken verloren hatte.

Von nun an arbeitete er unermüdlich auf das Attentat hin. Zunächst hatte er selbst keinen Zugang zu Hitler und warb andere an, so den Hauptmann Axel von dem Bussche, der sich bereiterklärte, sich mit Hitler bei einer Uniformvorführung in die Luft zu sprengen. Als Stauffenberg Mitte Juni 1944 Chef des Stabes des Ersatzheeres wurde und damit selbst Zugang zu Hitlers Lagebesprechungen hatte, beschloss er, trotz seiner Behinderung die fast unmögliche Doppelaufgabe zu schultern: als Attentäter im fernen Ostpreußen und als Stabschef des Umsturzes im Berliner Bendlerblock.

Am 20. Juli und in den Monaten zuvor war Stauffenberg Kopf, Herz und Hand des deutschen Befreiungsversuches. Was er geschafft hat, ist trotz des äußeren Misslingens eine übermenschliche Leistung. Als Hitler die Detonation von Stauffenbergs Bombe überlebt hatte, wurde der Umsturz unmöglich. Aber Stauffenberg hatte seinen Landsleuten und der Welt ein Lebenszeichen des Anderen Deutschlands gegeben, er hatte ein Fanal gegen die Gewaltherrschaft gezündet, das bis heute fortwirkt als Datum in der europäischen Freiheitsgeschichte.

Die Todesliste des 20. Juli liest sich in weiten Teilen wie ein Lebenslauf von Claus Stauffenberg, bezogen auf seine frühen und späten Bekanntschaften, Freundschaften, Kameradschaften, nicht zu vergessen die Verwandtschaft. Vettern und Onkel, Kriegsschul- und Regimentskameraden und auch ehemalige Vorgesetzte gehören zu dem von Stauffenberg rastlos geknüpften Netzwerk des Widerstandes. Seiner Ausstrahlung, seiner dringlichen Aufforderung zur Tat konnten und wollten sich viele seiner früheren Weggefährten nicht entziehen. Ewald von Kleist, einer der jungen Offiziere des Potsdamer Infanterieregiments 9, die Stauffenberg am 20. Juli zur Seite standen, spricht vom gewinnenden Charme und dem glühenden Idealismus dieses Mannes. Nur in solchen persönlichen Netzwerken ist Widerstand im Polizeistaat noch möglich, wo Organisationen zerschlagen oder gleichgeschaltet sind. Aber nur eine charismatische Persönlichkeit wie Stauffenberg war fähig, so viele Weggefährten zum todesmutigen Sprung ins Dunkle zu bewegen.

Zwei Jahre danach schrieb die über 80jährige Dichterin Ricarda Huch – 1946, als Stauffenberg und Beck, Moltke, Trott und Delp den meisten Deutschen noch als Hoch- und Landesverräter galten - über den Widerstand folgendes nieder:

“Wie wir der Luft bedürfen, um zu atmen, des Lichtes, um zu sehen, so bedürfen wir edler Menschen um zu leben. Sie sind das Element, in dem der Geist wächst, das Herz rein wird. Sie reißen uns aus dem Sumpf des Alltäglichen.“

Das mag etwas altmodisch formuliert klingen für eine junge Generation, der „cool“ das höchste Lob bedeutet. Gleichwohl: wir bedürfen entschieden der Erinnerung an Helmuth James von Moltke und Claus Schenk von Stauffenberg.








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06.03.2007
Dr. Barbara Hendricks
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