Ein nationaler Gedenktag ersten Ranges

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Dr. Philipp Held

Ein nationaler Gedenktag ersten Ranges

Gedenkrede des stellvertretenden Bayerischen Ministerpräsidenten und Staatsministers der Justiz Dr. Philipp Held am 20. Juli 1973 im Herkulessaal der Residenz in München

Wir wollen heute, an diesem herausragenden Datum des Widerstands gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, all der Männer und Frauen gedenken, die beim Widerstand ihr Leben opferten. Wir ehren alle, die in Deutschland und in den besetzten Gebieten den Mut und die Kraft fanden zum Widerstand gegen die Diktatur. Wir gedenken natürlich im Besonderen der Männer des 20. Juli selbst.

Der 20. Juli 1944 ist nicht nur ein besonders wichtiges Datum des Widerstands gegen Hitler. Er ist für uns Deutsche ein nationaler Gedenktag ersten Ranges, ein Markstein auf dem Weg zu einem freiheitlichen, rechtsstaatlichen und friedlichen Deutschland, wie wir es in den Jahren nach dem Krieg aufbauen konnten und wie wir es gegenüber allen Anfechtungen und Zweifeln erhalten wollen. Es war der Wunsch nach Frieden, der Abscheu vor Unrecht und Gewalt und die Sehnsucht nach Wiederherstellung der individuellen Freiheit, die das Handeln der Männer prägte, die sich zum Umsturzversuch vom 20. Juli zusammengefunden haben, Männern im Übrigen der verschiedensten Herkunft und unterschiedlicher politischer Zielsetzung im Einzelnen. Neben Stauffenberg, Bolz und Goerdeler standen Leuschner und Leber.

Der Tyrannenmord, die Wiederherstellung von Recht und Freiheit, die Beendigung des Kriegs sind nicht gelungen. Die Völker Europas und das deutsche Volk mussten Terrorregime und Krieg noch fast ein weiteres Jahr ertragen. Trotzdem war der 20. Juli, das ist oft gesagt worden, kein Fehlschlag, trotzdem waren die furchtbaren Opfer, die für den Widerstand gebracht wurden, nicht umsonst.

Ich will heute nicht darüber sprechen, welch unschätzbaren Wert der Widerstand gegen Hitler nach dem Krieg für uns hatte, als es um die Wiedereingliederung Deutschlands in die Völkergemeinschaft ging. Hierfür hat sich, es ist Ihnen bekannt, Winston Churchill schon zwei Jahre nach dem Krieg vor dem Britischen Unterhaus selbst zum Zeugen gemacht.

Ich darf es auch nicht wagen, darüber zu sprechen, wie es der französische Justizminister Edmond Michelet am 20. Juli 1963 vor Ihnen tat, dass das Unternehmen des 20. Juli 1944 all denen ein Hoffnungslicht anzündete, die damals in der unmittelbaren Gewalt der verbrecherischen Machthaber waren. Von allen Beschreibungen über das Echo des 20. Juli hat mich diese seine Schilderung mit am meisten beeindruckt: Wie die Häftlinge im Konzentrationslager Dachau damals das erste Licht am Ende eines langen Tunnels aufleuchten sahen.

Ich will etwas Politischeres sagen. Ich glaube, dass die Rolle des 20. Juli 1944 für das Selbstverständnis unseres Volkes, insbesondere aber für das Verhältnis der Nachkriegsjugend zu unserem Staat überhaupt nicht überschätzt werden kann. Diese nach dem Krieg heranwachsende Jugend, die heute schon in die Führungsstellen in Staat und Gesellschaft einrückt, diese Jugend, die keinen Anteil hatte an der Verstrickung in die Verbrechen des Regimes, sie hat, wenn sie mit der finsteren Epoche der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 konfrontiert wurde, in den Männern des 20. Juli stellvertretend das andere Deutschland erkennen können. Ein Deutschland, an das sie anknüpfen konnte, das ein Bindeglied darstellte zum moralisch-kulturellen Erbe und zu den hoffnungsvollen Versuchen von 1848 und der Weimarer Republik. Da ich von der Jugend spreche und da wir in München sind, möchte ich in diesem Zusammenhang gerne auch der ergreifenden Tat der Geschwister Scholl und ihres Kreises gedenken.

Das Verhältnis der Jugend zum 20. Juli und darüber hinaus zum Widerstand gegen die Gewaltherrschaft allgemein, ist auch der Punkt, wo wir alle einigen Anlass zur Sorge haben. Ich hatte anlässlich der Feierstunde zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau vor einigen Wochen Gelegenheit zu einem Gespräch mit einem Vertreter des Internationalen Dachaukomitees. Er sagte mir, das größte Problem des Komitees sei, dass die nachwachsende Generation kein Interesse für die Aufgaben habe, die sich das Komitee gestellt hat. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein allgemeines Problem liegt. Die geistige Auseinandersetzung mit der Tyrannei, die Anteilnahme an ihren Opfern, die Verehrung der Widerstandskämpfer und die dankbare Annahme ihres Vermächtnisses: Recht, Freiheit und Frieden ist, so scheint mir, schwächer geworden. Teile vor allem der akademischen Jugend, haben ihre Helden anderswo gefunden als bei den Frauen und Männern des Widerstands und ihre Gedanken kreisen nicht um die Prinzipien des freiheitlichen Rechtsstaates, für die so viele hervorragende Männer und Frauen gestorben sind. Ich kann den Gründen hier nicht nachgehen. Aber ich wünsche uns allen, dass es Ihnen und uns gelingen möge, den Gedanken an die Schrecken des Naziregimes, an den Mut der Widerstandskämpfer und an die Grundsätze, für die sie gekämpft haben, in unserem Volk lebendig zu halten. Dann können wir mit größerer Zuversicht hoffen, dass unsere Mitbürger den Schlagworten des politischen Radikalismus auch in Zukunft widerstehen werden.

Lassen Sie mich hierzu noch eine gedankliche Verbindung herstellen. Es war u. a. auch Fritz Erler, der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der den 20. Juli 1944 in eine Reihe mit dem März 1848 und dem 17. Juni 1953 stellte. Er hat zwischen dem 20. Juli und dem 17. Juni 1953, an dem im anderen Teil Deutschlands das Volk gegen die Diktatur aufstand, ebenfalls ohne Erfolg, bei allen Unterschieden, wie viele vor und viele nach ihm, doch das wesentliche Gemeinsame gesehen: Dass es sich um einen Aufstand der Freiheit gegen die Gewalt handelte. Und damit hatte er, glaube ich, Recht. Weil es so ist bestand Grund, den 17. Juni zum nationalen Gedenktag zu erklären. Und weil es so ist, habe ich nicht verstehen können, wie kürzlich der Gedanke Raum gewinnen konnte, dieser Gedenktag sei durch die Ereignisse überholt. Was immer man zur Festigung des Friedens und zur Förderung des Ausgleichs unter den Völkern und in Deutschland tun muss:

Wir dürfen uns nicht daran hindern lassen, eine Diktatur eine Diktatur zu nennen, den Aufstand vom 17. Juni 1953 als einen Aufstand gegen die Gewaltherrschaft zu würdigen und seiner Helden ehrend zu gedenken. Wie es Freiherr von Guttenberg in seiner letzten großen Rede im Bundestag sagte, „die Demokratie lebt davon, dass die Demokraten die Wahrheit sagen, und zwar die ganze Wahrheit“.

Meine Damen und Herren, ich überbringe Ihnen die Grüße der Bayerischen Staatsregierung und hoffe, dass die heutige Veranstaltung in unserem Volk Widerhall finden möge.






Weitere Reden