Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Otto Bezold

Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht

Gedenkrede des Bayrischen Staatsministers a.D. am 20. Juli 1973 im Herkulessaal der Residenz in München

Welch eine Welt von Gegensätzen liegt zwischen dem Verhalten derjenigen, die heute, sei es aus Geschäftemacherei oder aus Lust nach einem willkommenen Gruseln in Wort und Bild die Zeit der Gewaltherrschaft heraufbeschwören und der Männer, die aus der Not dieser Zeit das Letzte wagten und ihr Leben opferten. Es sind dies wohl die beiden gegensätzlichen Fixpunkte menschlicher Anteilnahme an geschichtlichen Abläufen. Auf der einen Seite das bequeme verantwortungslose Empfinden oder Nachempfinden, auf der anderen das Bewusstsein der Verantwortung und zumindest der Versuch auf das Geschehen einzuwirken und so dieser Verantwortung gerecht zu werden. Es gilt hier nicht in langen Ausführungen über die beiden Standpunkte zu richten. Im Grunde ist es die immer wieder an den Menschen herantretende Entscheidung, ob er seiner Menschlichkeit gerecht werden will und den dornigen Weg der moralischen Pflichterfüllung geht oder ob ihm der leichte Weg eines warmen Vegetierens genügt.

Dass es den Opfern des 20. Juli, die den steilen Weg zur Wiedererlangung der Freiheit wählten, nicht gelang dieses Ziel zu erreichen, schmälert ihren Verdienst nicht. Nur wer den unermesslichen Druck der Wochen um den 20. Juli 1944 miterlebt hat weiß, dass es wirklich die letzte Not einer geknechteten und ermüdeten Bevölkerung war, die den Männern den Zeitpunkt für ihr Handeln gab. Wenn die Königin der Niederlande am 16. Mai dieses Jahres in der Nähe von Leiden eine psychiatrische Klinik für die Opfer der Verfolgung eröffnet, dann beweist dies allein, dass der seelische Druck von damals Menschen, die ihn erlebt haben, noch heute quält und Hunderte von Ärzten können dies bestätigen. Das Tun der Männer des 20. Juli war eine Manifestation der Moral und eines edlen Willens und ist der gesamten Menschheit gegenüber zu einem unübersehbaren Zeugnis dafür geworden, dass in einem Deutschland, das sich in den letzten Erstickungsanfällen der entsetzlichen Gewaltherrschaft wand, die Sehnsucht nach Freiheit und Recht noch nicht vollständig erloschen war. In der Beurteilung Deutschlands durch die Welt hat uns das sehr genützt und wird uns immer wieder nützen. Auch im Ausland selbst war die Tat für alle fast ganz Verzweifelten ein Strahl hoffnungsträchtigen Lichtes, der plötzlich durch giftiges, undurchsichtiges Gewölk drang.

Freilich, einen fühlbaren sofortigen Nutzen hätte die Tat nur haben können, wenn sie gelungen wäre. Ihr Misslingen reiht den 20. Juli in die Unglückstage der deutschen Geschichte ein; eng verwandt mit den Tagen im März 1848 und um den 17. Juni 1953. Ihr Misslingen hat es gefügt, dass die Demokratie mit ihren Freiheiten den Besiegten von außen dargeboten wurde; mit viel Eifer und gutem Willen zweifellos, aber über den mühsamen Weg der Belehrung und der Erkenntnisse. Hätte das deutsche Volk in einem gewaltigen Aufstand die Zäune der Diktatur niedergerissen, wäre es uns vergönnt gewesen, in einem einmaligen Kampf getragen von der Glut unserer Herzen der Freiheit die Wege zu öffnen; es wäre gewesen, wie wenn ein starker Körper aus eigener Kraft eine schwere Krankheit besiegt ohne der Hilfe scharfer Medizin zu bedürfen. Das gibt die wahre, frohe Gesundheit und das hätte wohl eine engere und natürlichere Verflechtung unseres Volkes mit unserer Staatsform gegeben. Die Männer des 20. Juli wollten diese Entwicklung einleiten und hätten sie eingeleitet, wenn sie ihr Ziel erreicht hätten. Es ist zu wenig, ihrer deshalb immer wieder in Ehrfurcht und Trauer zu gedenken. Ihr Opfertod verpflichtet uns mit allen Kräften zu arbeiten an dem, was sie gewollte haben und besorgt zu sein, dass ihr Vermächtnis und ihr Wille, die auf den unumstößlichen Grundlagen jeder Demokratie beruhten, uns erhalten bleiben. Denn neben der Trauer für die Opfer muss die Erkenntnis aus den Jahren vor dem 20. Juli stehen: Die Freiheit ist immer gefährdet und hat Feinde an denen, die sich ein Volk zu Eigen machen wollen. Sie ist kaum wiederzugewinnen, wenn dieses Volk einmal in die Ketten seiner Gegner geraten ist. Zur Freiheit zu stehen, sie zu schützen und zu verteidigen kann der einzige Dank sein, den wir dem Opfertod der Männer des 20. Juli zollen können.

Glaubt man wirklich ihr Verdienst durch den Hinweis zu schmälern, dass sie lange vor ihrem Handeln eingegangene Bindungen - und seien es Eide - gebrochen haben. Die Frage des Rechtes des Tyrannenmordes ist durch die Jahrhunderte der Geschichte diskutiert worden. Schon in der griechischen Demokratie haben ihn Plato und Aristoteles bejaht. Und das ruhmvolle Beispiel der Tyrannenmörder Harmodius und Aristogaiton hat durch die Jahrhunderte geleuchtet. Auch im Mittelalter haben sich zahlreiche Philosophen und Theologen auf den Standpunkt gestellt, dass der Mord an Tyrannen rechtens sei. Wollte man dies verneinen, so hieße es der Freiheit die Eigenschaft als eines der höchsten Rechtsgüter aberkennen. Es hieße, jeden welch immer gearteten Versuch, die verlorene Freiheit zurückzugewinnen, als Unrecht verurteilen und jeder Tyrannei und Diktatur die Note des Rechtes zu geben. Das kann nicht der Sinn menschlichen Zusammenlebens sein und würde unsere ganze Auffassung der Geschichte auf den Kopf stellen. Ich glaube, Sie sind mit mir darüber einig, dass in diesen Fragen die unsterblichen Verse Schillers im Wilhelm Tell ihre Gültigkeit behalten. Die Antwort auf die Frage, ob ein Volk eine zur Staatsform gewordene Tyrannis erdulden muss, gibt Schiller in den Versen:

Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht.

Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,

wenn unerträglich wird die Last - greift er hinauf

getrosten Mutes in den Himmel,

und holt herunter seine ew’gen Rechte,

die droben hangen unveräußerlich und unverz-

brechlich wie die Sterne selbst -

der alte Urstand der Natur kehrt wieder

wo Mensch dem Menschen gegenübersteht -

zum letzten Mittel, wenn kein anderes mehr ver-

fangen will, ist ihm das Schwert gegeben -

der Güter höchstes dürfen wir verteidigen gegen

Gewalt -.






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